Hamburg. Das Bucerius Kunst Forum zeigt die Expressionistin in der großen Ausstellung „Menschenbilder“ – und will für eine Preissteigerung sorgen.
Nein, das sofort ins Auge fallende Königsblau, das die Ausstellungsräume dominiert, soll auf keinen Fall auf den „Blauen Reiter“ hinweisen, so die entschiedene Antwort von Kathrin Baumstark. Zwar hat einer ihrer Gründer, der russische Maler Wassily Kandinsky (1866–1944), eine Zeit lang mit Gabriele Münter, um die es hier ausschließlich geht, zusammengelebt und gearbeitet. Und sie verwaltete nach seinem Tod den Nachlass der berühmten Künstlergruppe. Doch im Bucerius Kunst Forum soll Gabriele Münter als eigenständige Künstlerin vorgestellt werden – denn das war sie. Die Farbe Blau wurde gewählt, damit ihre Bilder strahlen können, so die Direktorin und Kuratorin.
Gabriele Münter wurde 1877 in Berlin geboren und zog in ihrer Kindheit und Jugend mit der Familie erst nach Herford, dann nach Koblenz. 1886 starb ihr Vater, ein Jahr später ihre Mutter. Im selben Jahr begann die 20-jährige Frau, Zeichenunterricht an einer privaten Damenkunstschule in Düsseldorf zu nehmen. Ebenfalls außergewöhnlich für die damalige Zeit war die lange Reise durch die USA, die sie zwischen 1898 und 1900 zusammen mit ihrer Schwester Emmy Schroeter unternahm. Im Gepäck: ihre erste Fotokamera, eine Kodak Bull’s Eye No. 2.
Nach ihrer Rückkehr nahm sie ihr Kunststudium an der Damen-Akademie des Münchner Künstlerinnen-Vereins auf und bildete sich in zahlreichen Kursen, finanziert durch ihr Erbe, weiter. So erlernte Gabriele Münter Bildhauerei, Holzschnitt, Druckgrafik und Malerei, letzteres bei Kandinsky, mit dem sie eine Beziehung einging und durch Europa reiste. Sie eröffnete ihr eigenes Atelier in München und nahm sich ein Zimmer in Paris; ihre Arbeiten wurden in Galerien und Salons ausgestellt.
Gabriele Münter im Bucerius Kunst Forum: Weg mit dem Spachtel, her mit dem Pinsel!
79 Bilder aus allen Schaffensperioden zeigen eine Künstlerin, die sich zwischen Impressionismus und Neuer Sachlichkeit bewegte und vor allem in den Porträts, die einen Großteil des Werkes ausmachen, ihre Meisterschaft in vielen unterschiedlichen Techniken offenbart. Dabei ist das Porträt, das sie 1909 von ihrer Künstlerfreundin Marianne von Werefkin in Murnau anfertigte, das Berühmteste, denn es markiert einen Wendepunkt in ihrer Malerei, weg vom Spachtel hin zum Pinsel, die leuchtenden Farbflächen sind von starken Konturen gerahmt, inspiriert von der bayrischen Hinterglasmalerei. „Ich habe da nach einer kurzen Zeit der Qual einen großen Sprung gemacht – vom Naturabmalen – mehr oder weniger impressionistisch – zum Fühlen eines Inhalts – zum Abstrahieren – zum Geben eines Extraktes.“
Das Bild „Schlafendes Mädchen“ (Öl auf Pappe, 1934), zu dem Gabriele Münter während einer Zugfahrt inspiriert wurde, bei der sie ein Mädchen beobachtete, besticht durch seine klare Linienführung und einfache Farbverteilung. Für die Kuratorin wird darin „das Friedliche, Entrückte, Überzeitliche sichtbar“. Besonders die Interaktion zwischen Mutter und Kind faszinierte die Künstlerin, weshalb sie diese Paarung sehr häufig festhielt. „Mutter mit schlafendem Kind“ (Öl auf Leinwand“, 1934) strahlt ein „universelles Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit“ aus, so Kathrin Baumstark.
Gabriele Münter: Auch Wassily Kandinsky taucht als Modell auf
Die Werke sind luftig auf 800 Quadratmetern gehängt, so dass Besucherinnen und Besucher mit den Augen dazwischen hin- und herspringen können, der Chronologie folgend oder sich einen eigenen Parcours gestaltend. Dass nur wenige, kurz gefasste Kapiteltexte die Ausstellung strukturieren, ist kuratorische Absicht: „Ihre Biografie hat stets ihr Schaffen überschattet“, sagt Baumstark. „Dabei hat sie nie private Themen in ihrer Kunst verarbeitet, sie war eine Kosmopolitin, literarisch interessiert, sehr gut mit anderen Künstlern vernetzt. Dass sie nichts Vernünftiges mehr zustande gebracht hat nach der Trennung von Wassily Kandinsky ist ein Mythos. Auch das will ich mit dieser Ausstellung zeigen.“ Hatte der Kunstverein Hamburg 1988 in der Ausstellung „Die Blaue Reiterin“ Gabriele Münter noch als Schülerin Kandinskys Schülerin präsentiert, gelingt ihr nun mit „Menschenbilder“ vollends die Emanzipation von ihm.
Münter hat sich immer für die Menschen in ihrer Umgebung begeistert, sie hat sie fotografiert, gezeichnet und gemalt. Ob Verwandte, Nachbarn, Freunde, oder Fremde, die sie auf Reisen kennenlernte – stets begegnete sie den Porträtierten mit Respekt, denn nur so sei es möglich, „ein wahres Abbild“ zu erschaffen, so die Künstlerin. Natürlich taucht auch Kandinsky in ihren Bildern auf. Interessant ist die Geschlechter-Umkehr, die mit dieser Ausstellung vollzogen wird: Hier sind es nicht die berühmten Maler, die die Frauen in Szene setzen, sondern es ist Gabriele Münter, die ihren Lebensgefährten darstellt, grübelnd beim Teetrinken, am Harmonium, als Farblinolschnitt mit Pfeife.
- Fanclub der Hamburger Kunsthalle: 100 Jahre Freu(n)de!
- Wenn das Leben immer wieder wie ein lahmer Hund zurückkommt
- Ein mysteriöser Winterwald von Edvard Munch
Nach einer Phase des Rückzugs zwischen 1940 und 1946 in Murnau zusammen mit ihrem zweiten Ehemann, dem Kunsthistoriker Johannes Eichner, feierte Gabriele Münter in den 1950er-Jahren noch einmal ein Comeback. Sie nahm an der Biennale in Venedig und der ersten documenta in Kassel teil, wurde in zahlreichen Ausstellungen präsentiert und von Galerien und Sammlungen erworben. 1962 starb sie in ihrem Haus in Murnau.
Bucerius Kunst Forum will mit Ausstellung Münters Bilder teurer machen
Vergleicht man heute die Summen, die bei Versteigerungen ihrer Werke erzielt werden, liegt die Künstlerin weit unter dem, was für einen Kandinsky gezahlt wird. Laut einer Auktionatorin würde ein Münter-Werk mit 1,4 Millionen Pfund (entspricht knapp 1,6 Millionen Euro) gehandelt – ein Werk von Kandinsky mit dem 33-Fachen davon, erzählt die Kuratorin.
Diese Ungleichheit greift das Rahmenprogramm zur Ausstellung auf: Am 16. Februar lädt das Aktionsbündnis „Equal Pay für Hamburg“ („Gleiche Bezahlung“) zu einer Online-Podiumsdiskussion mit Vertreterinnen aus Theater, Film, Musik, Literatur und bildender Kunst ein. Auch Kathrin Baumstark wird dabei sein. „Ich hoffe, dass das nächste von Gabriele Münter versteigerte Bild teurer verkauft wird und wir mit dieser Ausstellung einen Teil dazu beitragen können.“
„Gabriele Münter. Menschenbilder“ 11.2.–15.5., Bucerius Kunst Forum (U Jungfernstieg), Alter Wall 12, täglich 11.00–19.00, Do 11.00–21.00, Eintritt 9,–/6,– (erm.), www.buceriuskunstforum.de