Hamburg. „Tom“ von der Londoner Gruppe Bullyache erweist sich auf Kampnagel als unbehagliches Stück zwischen Ballett und Pop.

Kurz denkt man bei Bullyaches „Tom“ auf Kampnagel, dass man in eine Boyband-Choreografie geraten ist. Die harten Rhythmen, die genau getakteten Bewegungen, der hierarchisch aufgebaute Gruppentanz – alles da. Nur dass das Sextett auf der Bühne nicht aus Boys besteht, sondern aus Männern, Frauen, nicht-binären Personen. Und dass die Rhythmen zwar scharf konturierte Bewegungen nach sich ziehen, allerdings nach ein, zwei Takten wechseln, ins Stolpern geraten und den Flow ausbremsen, das ist auch nicht Boyband-typisch.

Beyoncé-Tänzer führt in Hamburg Zombie-Ballett auf

Bullyache stammen aus London, Jacob Samuel und Courtney Deyn haben sich während der Pandemie zusammengefunden, um eine Mischung aus Tanz, Popmusik und Theater zu machen, geprägt durch das elektronische Rauschen der Algorithmen von TikTok und YouTube.

Ihr Ensemble besteht aus Künstlerinnen und Künstlern, die alle einerseits einen klassischen oder zeitgenössischen Tanzhintergrund haben, bei der London Contemporary Dance School (Yen-Ching Lin) etwa oder beim Nederlands Dans Theater (Boston Gallacher). Und die sich andererseits aber auch in der Popkultur bewegen – James Callego Olivo etwa tanzte unter anderem für Beyoncé und Mykki Blanco, Belen Leroux für Dua Lipa und Kylie Minogue.

Theater Kampnagel: Unterschiedliche Welten, zersplittertes Zombie-Ballett

Diese unterschiedlichen Welten bringen sie in „Tom“ zusammen, als zersplittertes Zombie-Ballett, in dem die Figuren zwar noch die geforderten Bewegungen perfekt nachstellen, sie aber nicht mehr in einem großes Ganzen vereinen können. Der Tanz als Körperkunst ist noch erkennbar, aber er findet keine Einheit mehr.

„Tom“ ist unbehaglich, weil Tanz hier auf der einen Seite als etwas Verführerisches, Schönes aufscheint, das die Körper auf der anderen Seite aber anstrengt, am Ende auch zerstört. Inhaltlich geht es darum, den „Orpheus-Mythos dem britischen Ministerium für Arbeit und Rente“ gegenüberzustellen – zumindest behauptet der Programmzettel das, tatsächlich werden Mythen nur im Subtext angedeutet. Das Ministeriumssetting aber ist erkennbar, im flackernden Neonlicht, das die Bühne erhellt, in der Lieblosigkeit von Wasserspender und 08/15-Sitzgelegenheiten, auf denen die Performer mit leerem Blick rumlümmeln, Theaterfiguren auf dem Abstellgleis.

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Bullyache lassen die Kunst mit verzweifelter Leidenschaft gegen eine Wand aus Bürokratie fahren – wie hier queere Ästhetik und Arbeiterklassen-Tristesse parallel geführt werden, ist die große Qualität des Abends. Und natürlich das handwerkliche Können, das in „Tom“ immer wieder aufblitzt. Relevé, Fouetté, Spagat, all das beherrschen die Tänzerinnen und Tänzer hier noch, aber sie tanzen es in die Leere hinein, als lebende Tote, gekleidet in Lumpen (Kostüme: Jordan Sherman). Der Glamour der Popwelt: ein Totentanz.

„Tom“ läuft bis zum 7. Oktober, 20.30 Uhr, Kampnagel, Jarrestraße 20, Tickets unter 27094949, www.kampnagel.de