Hamburg. Die israelisch-iranische Sängerin Liraz gab ein starkes Konzert in Hamburg. Musik und Tanz sind für sie ein Akt der Auflehnung.

Als Liraz auf die Bühne des Knust kommt, trägt sie ein rotes Kopftuch. Die Sängerin benutzt es nicht, um ihr schwarzes Haar zu verschleiern – so wie es Vorschrift in einigen islamischen Ländern ist. Auch ist es kein einfaches modisches Accessoire, sondern es wird zum politischen Symbol, indem sie es abnimmt, wie ein Lasso über den Kopf schwingt und irgendwann auf den Boden wirft.

Genauso wie es gerade Abertausende von Frauen im Iran tun, die gegen das repressive System der Mullahs und Religionswächter protestieren. Auslöser war der Tod einer jungen Frau, der iranischen Kurdin Mahsa Amini, die von der gnadenlosen Sittenpolizei festgenommen worden war, weil sie sich nicht an die strengen Kleidervorschriften gehalten hatte. Mitte September starb sie in Polizeigewahrsam.

Konzert Hamburg: Auftakt zur Deutschland-Tournee

Wenn Liraz das Kopftuch wegpfeffert, ist das Ausdruck ihrer Kritik an diesem Symbol des islamischen Patriarchats. Auch ihr golddurchwirkter bauchfreier Hosenanzug würde die Sittenwächter im Iran wohl sofort auf den Plan rufen.Liraz Charhi allerdings kommt gar nicht direkt aus dem Iran, sondern aus Israel. Ihre Eltern sind sephardische Juden, die schon vor ihrer Geburt im Jahr 1978 und vor der Machtübernahme durch den Ayatollah Chomeini den Iran verlassen haben und nach Tel Aviv gekommen sind.

„Bei uns zu Hause wurde Farsi gesprochen. Dort war ich das brave persische Mädchen. Wenn ich in die Schule gegangen bin, musste ich meine Identität wechseln. Dann wurde ich zum wilden Kind, das unbedingt auf eine Bühne wollte. Ich besitze zwei kulturelle Identitäten. Ich muss meine Herkunft nicht verleugnen, ich bin gleichzeitig Israeli und Iranerin“, erzählt sie in einem Zoom-Interview zwei Tage vor dem Hamburger Konzert, mit dem sie eine kurze Deutschland-Tournee beginnt.

Konzert im Knust ein mitreißender Abend

Die Entscheidung, Songs auf Farsi zu singen, traf sie, nachdem sie eine Zeitlang in den USA als Schauspielerin gearbeitet hatte. In Los Angeles gibt es die größte iranische Auslandsgemeinde mit mehr als 500.000 Exilanten. „Tehrangeles“ wird dieser Teil von L.A. auch genannt. „Dort bin ich durch die Restaurants und Läden gestreift und habe sehr viel Vinylplatten mit persischer Popmusik gefunden. Seit 1979 ist es Frauen im Iran verboten, zu tanzen und zu singen. Das aber wollte ich wieder beleben“, erzählt sie.

Zum Beispiel in Hamburg: Das Konzert im Knust wird zu einem mitreißenden Abend. Liraz und ihre exquisite Band knüpfen an die Tradition populärer iranischer Musik an und bringen das Publikum zum Tanzen, weil die Songs einen tollen Groove besitzen. Sie selbst singt, tanzt, schlägt das Tamburin und animiert die Zuschauer mitzumachen. Die Musik erinnert an psychedelische Rockmusik der 1970er-Jahre, doch es gibt auch viele Passagen mit typisch persischen Rhythmen. Liraz’ Gitarrist hat seine E-Gitarre so hell gestimmt, dass sie wie eine elektrisch verstärkte Tar, eine Langhalslaute, klingt. Im Publikum sind viele Iraner, die ihre Texte verstehen, für die anderen erklärt sie kurz, worum es in den Liedern geht. Viele Songs sind Liebeslieder, in denen aber noch eine weitere Botschaft steckt: Es geht um Freiheit.

Songs auf „Roya“ handeln von Hoffnung

„Roya“ heißt das aktuelle Album von Liraz, es ist vor wenigen Tagen auf dem deutschen Glitterbeat-Label erschienen und die dritte Platte, auf der Liraz in ihrer Muttersprache singt. Die Umstände der Studioaufnahmen waren ungewöhnlich. Damit sie mit ihren iranischen Musikern und Sängerinnen gemeinsam aufnehmen konnte, reiste Liraz mit ihrer israelischen Band nach Istanbul. Da Iraner dorthin ohne Visum reisen können, war ein Treffen möglich. Produziert wurde dennoch an einem geheimen Ort. „Nicht einmal meine Familie wusste, wo ich hingegangen bin“, erzählt Liraz. Die Namen der Musiker sind auf dem Cover nicht erwähnt, weil es ihnen streng verboten ist, Kontakt mit Israelis zu haben und überhaupt öffentlich zu singen.

Die Songs auf „Roya“ handeln von Hoffnung („Omid“), Tanz als Akt der Auflehnung („Bishtar Behand“) und von der Fantasie, sich ein anderes Leben vorzustellen („Roya“). Alle diese tanzbaren Songs hat Liraz in ihrem Live-Repertoire. Auf „Zan Bezan“ vom Vorgänger-Album wird sie noch deutlicher: „Zusammen werden wir eine Revolution starten“, heißt es darin.

"Diese Frauen haben nichts mehr zu verlieren"

„Mir war lange klar, dass dieser Aufstand von den Frauen ausgehen würde. Diese Frauen haben nichts mehr zu verlieren. Sie brauchen Hoffnung und kämpfen für ihre Kinder, damit die später ein besseres Leben haben werden.Es gibt arme und reiche Leute im Iran. Aber alle werden unterdrückt und dürfen nicht singen. Obwohl viele Frauen sehr gebildet sind, haben sie keine Chance auf eine Karriere, weil sie Frauen sind. Es ist jetzt ihre Zeit“, gibt sich Liraz zuversichtlich. Zugleich kritisiert sie, dass die UN und viele westliche Regierungen nicht genug Druck auf das Regime in Teheran ausübten.

Liraz’ Lieder sind im Iran inzwischen weit verbreitet, obwohl sie dort keine Tonträger vertreiben kann. „Ich poste auf Instagram und biete an, Musik zu schicken. Wer interessiert ist, dem sende ich die Song-Files über Telegram und Whats App. Dann werden sie weiterverbreitet. Es gibt auch viele Iraner, die Kontakte in den Westen haben und darüber an die Musik kommen“, sagt sie.

Konzert Hamburg: Junge Menschen tanzen zu Songs von Liraz

Junge Menschen im Iran tanzen auf geheimen Partys genauso zu ihren Songs wie Fans in Israel – oder wie im Hamburger Knust. Liraz glaubt fest an den Umsturz: „Die Frauen haben Macht, sie sind entflammt und erheben ihre Stimme.“ Einen großen Traum hat Liraz auch: „Bald in Teheran aufzutreten.“