Hamburg. Robert Seethaler legt mit „Das Feld“ seinennächsten Roman vor. Und der ist ein großer Erfolg

    Einer in diesem Reigen der Durchschnittsmenschen heißt Karl Jonas. Er ist Bauer und beackert Felder, die immer wieder absaufen. Das Leben steckt voller Niederlagen. Aber Karl Jonas ist stoisch, er hält es aus. Dinge passieren. Alles geht seinen Gang. „Ich kaufte einen dunkelblauen Anzug und ging zum Tanztee in den Schwarzen Block, wo ich eine Frau fand. Sie konnte nicht arbeiten, aber wir hatten zusammen fünf Kinder, von denen uns drei blieben. Sie gingen irgendwann fort. Wenn alles gut gegangen ist, leben sie noch“, berichtet Karl Jonas.

    Das ist der typische Sound des österreichischen Erzählers Robert See-thaler, der das Menschsein in seinen Büchern konsequent entschlackt. Alles, was den Menschen zustößt, ist von existenzieller Folgerichtigkeit: Man hat das Leben so zu leben, wie es ist. Mit diesem Pathos der Einfachheit überwältigte Seethaler 2014 ein großes Lesepublikum. Seine Geschichte von Andreas Egger, dem gewöhnlichen Mann auf dem Berg, dem seine Heimat genügte, trägt den Titel „Ein ganzes Leben“ und wurde zu einem Bestseller.

    Gleiches ist auch Seethalers neuem Buch beschieden: Es steht derzeit auf Platz eins der „Spiegel“-Bestsellerliste. „Das Feld“ wiederholt nicht nur im Erzählstil, der so reduziert ist wie die Möglichkeiten der Menschen, von denen er berichtet, sondern auch im Thema den Vorgänger. Nur, dass sich Andreas Egger nun vervielfacht hat. „Das Feld“ ist ein ­Kaleidoskop-Roman, der souverän komponiert ist und in einzelnen Sätzen im Grunde banale Wahrheiten ausspricht, die aber gerade deswegen nachschwingen. „Die Kindheit ist der Ort der ersten Male“, heißt es einmal.

    Auf dem Feld des Bauern Jonas wurde einst der Friedhof angelegt, den die Bewohner des Ortes Paulstadt dann auch weiterhin als das „Feld“ bezeichnen. Einer dieser Bewohner schlendert bei gutem Wetter jeden Tag durch die Gräberreihen, und dann setzt er sich irgendwann „auf eine Holzbank unter einer krummgewachsenen Birke“. Von dort hört er die Stimmen der Toten, die von ihrer Zeit als Lebende berichten, von prägenden Erfahrungen und letzten Dingen. Zu Wort kommen der Bürgermeister, der Journalist, die Dorfjugend, der Briefträger, die Geschäftsfrau – die Gemeinschaft eines Ortes, wie es ihn oft gibt, auch in der Literatur, er könnte in Österreich liegen, in Mecklenburg oder in Ohio.

    Die Schicksale der Menschen hier, die alle nach ihrer Façon glücklich zu sein versuchen, werden von den Umständen geformt. Die Lebensverhältnisse, wie Seethaler sie in den Blick nimmt, sind eher beengt als offen. „Lebe lieber gewöhnlich“ als Maxime, beinah keine Ausschläge, nirgends; See-thalers Figuren sind Menschen mit Normalbiografien.

    Als Leseerfahrung mag das entweder tröstlich oder niederdrückend sein, für die Literatur ist mit der demonstrativen Ballung der unabwendbaren Durchschnittlichkeit des Lebens freilich besonders dann etwas gewonnen, wenn Humor und, vielleicht auch das, Übertreibung ins Spiel kommen. See­thalers Witz ist trocken, aber warmherzig. Die Stammesälteste Annelie Lorbeer („Zum Hundertfünften ist niemand mehr gekommen. Nicht einmal ich selbst war so richtig dabei“) ist dennoch vor allem diejenige, die, Überalter hin oder her, das Allgemeinmenschliche repräsentiert, das mit Vergessen einhergeht: „Erst war ich ein Kind. Dann eine Dame. Dann wieder ein Kind. An das dazwischen kann ich mich nicht erinnern.“

    Heide Friedland ist ein weiteres Beispiel dafür, dass Seethaler sein Ensemble der kleinen Leute am Ende doch ein wenig zu langweilig gefunden haben könnte. Heide hatte im Verlaufe ihres Lebens 67 Liebhaber, und in einer zwischen Bitternis („Aber im Grunde ist den Männern das Aussehen einer Frau egal. Sie wollen sich selbst gut fühlen, das ist alles“), Melancholie und Sehnsucht wechselnder Auflistung geht sie diese imposante Reihe kursorisch durch. Lieben ist menschlich, aber auch lächerlich.

    Es gibt mindestens einen Vorgang im Ort, der ganz und gar außergewöhnlich ist. Und weil die Bewohner natürlich auch glauben oder zumindest ein Verhältnis zum Glauben haben, ist der Schlag, den ihr Erfinder Seethaler seinem Paulstadt versetzt, ein eigentlich ganz schön gemeiner: Der Pfarrer selbst ist es, der die Kirche niederbrennt, als sei dies ein gottloser Ort.

    Die Einwände gegen dieses Buch: Der meist illusionslose, lakonische Ton, in dem die Figuren reden, ist eigentlich allen gemeinsam. Da hat sich ein Erzähler entschieden, seine vom Publikum zuletzt schon so freudig angenommene Stimme einfach allen Figuren einzupflanzen; als gäbe es keine Unterschiede in Temperament, Per­spektive, Lebenserfahrung. Und vermeintlich große Sätze à la „Erst war ich Mensch, jetzt bin ich Welt“ sind lediglich auf einen Effekt aus, der sich genau deswegen nicht einstellen will.

    Lesung am 16.9. auf dem Harbour Front Festival, St. Pauli Theater, 20 Uhr, 14/17/20,-