Hamburg. 45.600 Menschen in 240 Unterkünften: Die Behörde schlägt Alarm. In Duvenstedt werden im Kleinen die großen Probleme sichtbar.

Es muss kurz nach 20 Uhr gewesen sein, als Angela Lautenschläger genug hatte. Die 53-Jährige verließ das Duvenstedter Max-Kramp-Haus wütend. Mehr als zwei Stunden hatten sie und rund 300 andere Duvenstedter mit zwölf Vertretern der Stadt vor einigen Tagen über eine geplante Flüchtlingsunterkunft auf der sogenannten Festwiese im Dorfzentrum diskutiert.

Angela Lautenschläger ist in Duvenstedt aufgewachsen. Und nun ist sie sauer. „Die Stadt hat die Duvenstedter bereits über die geplante Erstaufnahmeeinrichtung im vergangenen Sommer nicht unterrichtet. Und auch jetzt ist die Informationspolitik schlecht“, sagt sie ein paar Tage später, als sie sich ein wenig beruhigt hat.

Flüchtlinge Hamburg: In Stadt gibt es 240 Unterkünfte für 45.600 Personen

An ihrer Meinung hat sich nichts geändert: Die geplante Flüchtlingsunterkunft in Duvenstedt will sie verhindern. Dafür haben sie und bislang 33 Mitstreiter nun sogar den Verein Dorfgemeinschaft Duvenstedt e.V. gegründet. Und überhaupt: „Die Leute wollen wissen, wie es weitergehen soll mit der Flüchtlingspolitik. Wo sollen in Hamburg noch überall Flüchtlingsunterkünfte errichtet werden? Und wie ist die Perspektive?“

Wer die große Flüchtlingsdebatte in Deutschland und Hamburg verstehen will, der sollte in diesen Tagen ins kleine Duvenstedt fahren. Hier gibt es den beliebten Kinderladen Simsalabim, Caros Konditorei und Café („Hunde erlaubt“) und jeden Sonnabend Markt. Und auf diesem wird seit Wochen vor allem ein Thema diskutiert: die geplante Flüchtlingsunterkunft mit 320 Bewohnern. Oder wie Angla Lautenschläger es formuliert: „Wie viele Menschen sollen noch aufgenommen werden?“

Unmut von Anwohnern wächst über neu geplante Flüchtlingsunterkünfte

Lautenschläger ist mit dieser Frage nicht allein. Nicht in Duvenstedt – und auch nicht in Hamburg. In immer mehr Stadtteilen regt sich Widerstand gegen geplante Flüchtlingsunterkünfte. Am Luisenhof in Farmsen-Berne wurden auf das Gelände einer neu geplanten Flüchtlingsunterkunft abgetrennte Köpfe und Gliedmaßen von schwarzen Puppen sowie Fäkalien hinterlegt. Am Überseering in der City Nord beschweren sich Anwohner über vermüllte Straßen und angeblich Betrunkene und an der Wichmannstraße in Bahrenfeld wurde Petra Lotzkat, die Staatsrätin der Sozialbehörde, bei einer Infoveranstaltung ausgepfiffen.

Die Stimmung ist aufgeheizt. Welcome Refugees? Das war 2015. Heute heißt es eher: Flüchtlinge, nein Danke. Oder zumindest: nicht hier, nicht bei uns, nicht in der Nachbarschaft.

Flüchtlinge Hamburg: 96,1 Prozent aller Unterkünfte sind belegt

„Die Lage ist sehr angespannt.“, gibt eine Sprecherin der Sozialbehörde zu – und rechnet vor: „Wir haben aktuell an rund 240 Standorten rund 45.600 Personen öffentlich rechtlich untergebracht.“ 96,1 Prozent aller Betten sind belegt. Die bislang bestehenden Unterkünfte sind rappelvoll. Die Behörde schreibt: „Die aktuelle Unterbringung der Geflüchteten stellt eine sehr große Herausforderung für die Stadt Hamburg dar.“

Und die Herausforderung wird jeden Tag größer. Im ersten Halbjahr – zwischen Januar und Juni 2023 – wurden 24 Standorte mit einer Gesamtkapazität von 5704 Plätzen neu in Betrieb genommen. „Aufgrund der Stadtstaatlichkeit Hamburgs sind die zur Verfügung stehenden Flächen sehr begrenzt“, lässt die Behörde ausrichten – und appelliert an Berlin: „Der Bund muss mehr steuern, um für Verteilungsgerechtigkeit in Deutschland zu sorgen. Außerdem erwarten wir vom Bund, dass er sich auf europäischer Ebene stärker für eine europaweite Verteilung von Schutzsuchenden einsetzt. Auch in der Frage, wie wir die Herkunftsländer unterstützen, zum Beispiel mit Aufbauprogrammen oder humanitären Hilfen, muss sich der Bund stärker einbringen.“

Durch Ukraine-Krieg mussten zusätzlich 15.900 Plätze geschaffen werden

Bis es so weit ist, verschärft sich in Hamburg das Kapazitätsproblem zunehmend. Im Jahr 2022 wurden im Kontext des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine rund 15.900 zusätzliche Plätze geschaffen. Bis Ende 2023 werden nach derzeitigem Planungsstand zehn weitere Standorte mit insgesamt rund 2250 Plätzen realisiert. Und während bei den einen das Verständnis für die Notsituation der Geflüchteten und die heikle Situation der Stadt immer größer wird, wächst bei anderen das Unverständnis und die Wut.

So verteilen sich die Flüchtlingsunterkünfte im Hamburger Stadtgebiet.
So verteilen sich die Flüchtlingsunterkünfte im Hamburger Stadtgebiet. © HA Infografik | Thomas Kühn

So auch in Duvenstedt. In dem kleinen Stadtteil an der Landesgrenze zu Schleswig-Holstein ärgern sich manche vor allem darüber, dass die Stadt die Bewohner nicht besser an dem Prozess teilhaben lässt.

In Duvenstedt ärgert man sich über Vorgehen der Stadt

Die Kritikpunkte: Die Unterkünfte im Ortskern sind dreistöckig geplant, obwohl es in ganz Duvenstedt kaum dreistöckige Gebäude gebe. Der Bauantrag sei bereits vor der Informationsveranstaltung eingereicht worden, die Logistik für die Baustelle sei nicht durchdacht – und auch die Vorschläge aus der Bevölkerung für Alternativflächen in der Nähe würden nicht ernst genommen.

„Wenn man ernsthaft versuchen will, Menschen in so ein kleines Dorf wie Duvenstedt zu integrieren, dann muss man anders mit den Einwohnern umgehen“, sagt Lautenschläger, die Anrainerin der Festwiese ist und sich die Teilnahme bei einer Anwohner-Informationsveranstaltung, zu der eingeladen wurde, per einstweiliger Verfügung beim Verwaltungsgericht erstreiten musste.

Sozialbehörde spricht von „konstruktivem“ Austausch

In der Behörde sieht man die Sachlage anders. „Für die Sozialbehörde ist bei den Planungen von Unterkünften für geflüchtete und wohnungslose Menschen eine gute Einbindung der Kommunalpolitik und der Anwohnerinnen und Anwohner im direkten Umfeld von Unterkünften von besonderer Bedeutung“, heißt es in einer Antwort an das Abendblatt.

Und konkret zum Fall in Duvenstedt heißt es: „Die Atmosphäre bei diesen Veranstaltungen ist zwar naturgemäß auch kritisch, insbesondere wenn es um Themen wie die Auswahl der konkreten Flächen, die Belastung des Sozialraums, die Anbindung an den ÖPNV oder auch die Geschossigkeit von Einrichtungen geht, aber bisher immer konstruktiv.“

Gesprächsangebot – aber eigentlich ist schon alles entschieden

Genau auf diesen konstruktiven Austausch hofft Peter Fahr noch immer. Der 63-Jährige ist seit 30 Jahren der Pastor im Ort. Er kennt fast jeden in Duvenstedt – und jeder in Duvenstedt kennt ihn. Natürlich war auch er bei der Versammlung in der vergangenen Woche, auch er macht den Behörden Vorwürfe – und er macht sich mittlerweile echte Sorgen um sein Dorf.

„Ein Gesprächsangebot zu machen, gleichzeitig aber alles schon entschieden zu haben, halte ich im Sinne der demokratischen Gepflogenheiten für schwierig. Das hat die Stadt nicht gut gemacht“, sagt Fahr. „Ich habe große Sorge, dass der ganze Vorgang am Ende nur den Populisten von der AfD geholfen hat.“

Bei der letzten Bundestagswahl 2021 lag die Wahlbeteiligung in Duvenstedt bei 88 Prozent, 4,7 Prozent von ihnen wählte die AfD. Fahrs Sorge: Bei der nächsten Bürgerschaftswahl 2025, also ein Jahr nach dem geplanten Bezug der Unterkünfte auf der Festwiese, könnten es nun deutlich mehr werden. „Mir ist ganz wichtig, jegliches AfD-Getöse hier schon im Keim zu ersticken“, sagt der Pastor.

Duvenstedter wollen ihre Festwiese erhalten

Er und mehrere andere Duvenstedter hatten bei der Informationsveranstaltung darauf hingewiesen, dass es rund 300 Meter weiter, im Puckaffer Weg, eine aus Sicht von vielen Duvenstedtern viel bessere Fläche für eine mögliche Flüchtlingsunterkunft gebe.

Auch Lautenschläger sagt: „Das Hauptziel unseres Vereins ist es, die Festwiese zu erhalten. Wir wollen das dörfliche Ortsbild von Duvenstedt erhalten. In den Veranstaltungen wurden aus der Bevölkerung Ausgleichsflächen vorgeschlagen.“

Behörde will Alternativvorschlag der Anwohner prüfen

Vonseiten der Behörden heißt es hierzu: „Die Vorschläge der Nachbarschaft werden von der Behördenleitung zur Prüfung weitergegeben und deren Ergebnisse verfolgt. Bei den von Ihnen genannten Alternativflächen zum Puckaffer Weg wird insbesondere nochmals geprüft, inwiefern der Natur- und Landschaftsschutz die Nutzung der weiteren Flächen ausschließen könnte.“

Ob es tatsächlich ein Einlenken der Behörden gibt, ist fraglich. Unabhängig davon ist Pastor Fahr aber eines noch sehr wichtig: „Natürlich müssen wir den Geflüchteten, die dann hier sind, auch helfen und sie müssen umsorgt werden.“ Er setzt da vor allem auf die Gemeinde, die Hilfsbereitschaft aller, auf Duvenstedt.

Auf die Stadt setzt man im Norden Hamburgs dagegen eher nicht.