Hamburg. Für die Unterkunft in dem Nobelviertel gibt es bereits konkrete Pläne. Hamburger Politikerin spricht von einem „Trauerspiel“.

Die Straße befindet sich in bester Lage: In der Sophienterrasse reihen sich viele repräsentative Gründerzeithäuser aneinander, auf den großzügigen Einfahrten parken hochwertige Autos. Wer hier wohnt, in der Nähe des ebenfalls noblen Mittelwegs, geht nur wenige Schritte zur Außenalster.

Nur noch für kurze Zeit werden allerdings Flüchtlinge in der attraktiven Wohnstraße leben. Die Unterkunft Sophienterrasse in Harvestehude mit ihren 190 Plätzen muss im September 2024 wieder geschlossen werden.

Harvestehude: Flüchtlingsheim Sophienterrasse – Schließung keine Überraschung

Damit wird der Nachbarschaftsvertrag umgesetzt, den die Anwohner vor Jahren mit der Stadt geschlossen haben. Das geht aus der Antwort des Senats auf eine Anfrage der Bürgerschaftsabgeordneten Carola Ensslen (Die Linke) hervor.

„Die Schließung ist im Prinzip keine Überraschung“, sagt die Politikerin. „Ich finde es allerdings ein Trauerspiel, dass es keine alternative Unterkunft im Stadtteil oder in der Umgebung geben soll. Hier müssen mehr Anstrengungen unternommen werden.“

Flüchtlinge: 13.000 Menschen sind 2023 bereits in Hamburg angekommen

Denn der Bedarf an derartigen Einrichtungen ist riesig. Rund zehn Jahre ist es her, dass in der Sophienterrasse die ersten Flüchtlinge eingezogen sind – und aktuell steht Hamburg wieder vor ähnlichen Herausforderungen: Während damals besonders viele Menschen aus Syrien flohen, sind es heute Ukrainer, die wegen des Angriffskrieg auf ihre Heimat in Hamburg Schutz suchen. Knapp 13.000 Geflüchtete sind in diesem Jahr bereits in der Hansestadt angekommen.

Und das ist nicht das Ende: Es müsse auch längerfristig gelingen, jährlich 10.000 Geflüchtete in Hamburg unterzubringen, sagte die Staatsrätin der Sozialbehörde, Petra Lotzkat, kürzlich auf einer Veranstaltung zum Bau neuer Unterkünfte. Der Zuzugsdruck von Flüchtlingen werde weiter unvermindert anhalten und im kommenden Herbst noch einmal stark ansteigen. Das sei für das kommende Jahr „unter größten Anstrengungen noch halbwegs vorstellbar“, sagte Petra Lotzkat. Doch wie es danach weitergehen solle, erfülle sie mit großer Sorge.

Proteste gegen Flüchtlingsunterbringung in Bahrenfeld und Duvenstedt

Zugleich gibt es immer wieder Proteste gegen neue Unterbringungen, aktuell etwa in Bahrenfeld und Duvenstedt. Vor diesem Hintergrund müsse der Senat Geflüchtete auch in wohlhabenderen Stadtteilen unterbringen, sagte die Linken-Politikerin Carola Ensslen zum Aus der Einrichtung im ehemaligen Kreiswehrersatzamt an der Sophienterrasse.

Dieser Forderung schließt sich Hendrikje Blandow-Schlegel an. Die Vorsitzende der „Flüchtlingshilfe Harvestehude“ (F.HH) empfindet es als „Fehlentwicklung“, dass in Harvestehude keine Alternative geplant ist. Dies sei auch Folge des „politischen Vakuums in der Bezirksamtsleitung“, sagt die Juristin.

Flüchtlingshilfe Harvestehude: Mehr als 250 Menschen engagieren sich

„Denn der Stadtteil ist bereit, ehrenamtlich zu unterstützen“, betont die 61-Jährige, die sich seit 2013 und damit seit nunmehr fast zehn Jahren für die Integration von geflüchteten Menschen einsetzt. Ein Engagement, mit dem der von der Rechtsanwältin gegründete F.HH e.V. 2018 bereits für den Deutschen Nachbarschaftspreis nominiert war.

Immerhin mehr als 250 Menschen setzten sich in der Flüchtlingshilfe Harvestehude nach wie vor für die Geflüchteten in dem Stadtteil ein und zeigten damit, dass sie ihre Unterstützung auch langfristig leisten wollten. Sie organisierten etwa Nachhilfe für die Kinder, hätten eine feste Fahrradwerkstatt in der Sophienterrasse etabliert oder leiteten Konversations- und Sprachkurse, zählt Hendrikje Blandow-Schlegel auf.

Sophienterrasse: Viele Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan

Nicht nur die nötige Hilfe in der neuen Heimat wird geleistet, auch das Zusammenleben in der Straße hat sich als unproblematisch herausgestellt. „Es gab unseres Wissens nach keine ernsthaften Beschwerden der Nachbarn“, sagt Blandow-Schlegel über die Bewohner des Heims. Diese kämen nach wie vor hauptsächlich aus Syrien und Afghanistan, es seien hier überwiegend Familien untergebracht, aber auch etliche alleinstehende Mütter mit Kindern.

Die Harvestehuder Flüchtlingsunterkunft: Die Räume des ehemaligen Kreiswehrersatzamts an der Sophienterrasse wurden vor zehn Jahren zu Wohnungen umgebaut.
Die Harvestehuder Flüchtlingsunterkunft: Die Räume des ehemaligen Kreiswehrersatzamts an der Sophienterrasse wurden vor zehn Jahren zu Wohnungen umgebaut. © Marcelo Hernandez

Selbst einer der Anwohner, der mit zwei weiteren Klägern anfangs gegen die von der Stadt geplante Flüchtlingsunterkunft vorgegangen war, habe seine Meinung geändert und sich später in der Teestube der Einrichtung engagiert, berichtet die ehemalige SPD-Bürgerschaftsabgeordnete.

Harvestehude: Keine Flüchtlingsunterkunft in dem Stadtteil vorgesehen

Doch die Entscheidung scheint gefallen. In der Antwort des Senats auf die Anfrage von Carola Ensslen heißt es über eine alternative Unterkunft unmissverständlich, dass „im Stadtteil Harvestehude aktuell keine potenziell geeigneten Flächen oder Objekte bekannt sind“.

Wo die derzeit 167 Geflüchteten aus der Sophienterrasse nun ab 2024 unterkommen, ist noch unklar. „Zum aktuellen Zeitpunkt können noch keine Angaben dazu gemacht werden, in welchen Unterkünften den untergebrachten Personen im kommenden Jahr Plätze zur Verfügung gestellt werden“, heißt es in der Antwort des Senats. Die Planungen zur Verlegung würden in der Regel drei Monate vor der Unterkunftsschließung beginnen.

Streit um Sophienterrasse war über Jahre geführt worden

Mit dem Aus für die Sophienterrasse geht in Sachen Flüchtlinge an der Außenalster ein langes Kapital zu Ende. Denn schon vor der Einrichtung als Flüchtlingsunterkunft war um die Liegenschaft fast zwei Jahre juristisch gerungen worden. Drei Anwohner waren gegen die Pläne vorgegangen, dass hier 220 Flüchtlinge untergebracht werden sollten.

Erst unter Androhung, den Bebauungsplan zu ändern, wurde ein Kompromiss erzielt. Dieser sah neben einer verringerten Bewohnerzahl eine befristete, knapp neunjährige Nutzungsdauer und eine „einvernehmliche“ Umzäunung vor. Zudem müssten 80 Prozent der Bewohner aus Bürgerkriegsländern stammen, hieß es in der Vereinbarung über die Einrichtung, die mit Grundstückserwerb, Umbau und Betrieb gut 20 Millionen Euro kostete und vom Betreiber Fördern & Wohnen in 23 geschlossene Wohnbereiche eingeteilt worden war.

Einfaches Mobiliar prägt die Räume der Flüchtlingsunterkunft an der Sophienterrasse.
Einfaches Mobiliar prägt die Räume der Flüchtlingsunterkunft an der Sophienterrasse. © Marcelo Hernandez

Harvestehude: Sophienterrasse – Abriss der Flüchtlingsunterkunft steht an

Nun steht der Abriss dieser damals neu eingerichteten Räume an. Statt der Unterkunft wird an der Sophienterrasse bald Platz für Wohnungen entstehen: „Im Eimsbütteler Wohnungsbauprogramm 2023 ist das Grundstück als Potenzialfläche für Wohnungsbau aufgeführt. Die Überlegungen zur Gestaltung einer Anschlussnutzung für das Areal werden nach derzeitiger Planung im Frühling 2024 abgeschlossen sein“, heißt es dazu in der Antwort des Senats.

Auch diese Planungen empfindet Hendrikje Blandow-Schlegel als suboptimal. Denn sie gründeten auf dem Vergleich, den die klagenden Nachbarn damals mit der Stadt geschlossen haben. Demnach darf in den kommenden 50 Jahren auf dem Grundstück auch keine soziale Einrichtung einziehen. „Es ist ein weiterer Skandal, dass nur drei Kläger damit alle möglichen Nutzungen verhindern“, sagt die F.HH-Vorsitzende. Schließlich sei damit auch ausgeschlossen, dass hier etwa ein Kindergarten oder eine Seniorenresidenz gebaut wird.

Sozialbehörde bestätigt: Keine sozialen Zwecke in der Sophienterrasse

Die Sozialbehörde bestätigte auf Anfrage des Abendblatts, dass sich die Stadt Hamburg als Grundstückseigentümerin verpflichtet habe, „nach Beendigung der Nutzung das Grundstück nicht mehr zu Zwecken der öffentlichen Unterbringung aller Art oder zu Einrichtungen für sonstige soziale und/oder gesundheitliche Zwecke zu nutzen oder nutzen zu lassen“.

Auch eine Alternative, die wiederum den Flüchtlingen auf ihrem weiteren Lebensweg geholfen hätte, ist damit ausgeschlossen. „Wir hätten uns gewünscht, dass an der Stelle ein Studenten- oder Ausbildungswohnheim entsteht – mit Wohnraum für in Hamburg geborene Menschen und Geflüchtete, die hier zusammenleben könnten“, sagt Blandow-Schlegel. Denn viele der damals als Kinder nach Harvestehude gekommenen Menschen hätten jetzt ihr Abitur in der Tasche und wären in Ausbildung oder im Studium.