Hamburg. Wie leben wir im Jahr 2040? Hamburger erproben generative künstliche Intelligenz. Bei dem Versuch läuft einiges nicht so wie erhofft.
Am Ende von 90 Minuten Teamarbeit an diesem Vormittag in der Hamburger Innenstadt wird eine fristlose Kündigung zu vermelden sein – aber auch ein Herzensprojekt gelingen. Die Katholische Akademie am Herrengraben, 5. Stock, Panoramaraum mit Dachterrasse. Von hier geht der Blick über die Dächer und zur Elbphilharmonie. Reichlich Ablenkungspotenzial, aber die 64 Frauen und Männer, in kleinen Gruppen an Tischen sitzend, diskutieren miteinander, blicken konzentriert auf Tablets, finden eine andere Attraktion offensichtlich viel spannender: Künstliche Intelligenz (KI).
Mit ihrer Hilfe soll es um neue Aussichten für die Hansestadt gehen: Wie könnte Hamburg im Jahr 2040 aussehen; wie könnten wir dann leben, arbeiten, wohnen, uns fortbewegen, welche kulturellen und touristischen Angebote wird es in Zukunft geben? Mit dieser Frage hatten Informatikprofessor Tilo Böhmann von der Universität Hamburg und sein Team interessierte Bürgerinnen und Bürger aus allen Teilen der Stadtgesellschaft zum ersten „Hamburg Futures Prompt-a-thon“ eingeladen.
Künstliche Intelligenz: Wozu ist generative KI schon imstande?
Der Ansatz: Die Teilnehmenden sollen durch möglichst geschickte und aufeinander abgestimmte Eingaben („Prompts“) in die Textfelder des Sprachmodells ChatGPT und von Bildgeneratoren wie DALL-E und Midjourney „möglichst sinnvolle und nützliche Antworten“ erhalten, wie es Böhmanns Team formuliert. Das Experiment soll zeigen, wozu generative, also neue Texte und Bilder erzeugende KI, schon in der Lage ist – und wo ihre Grenzen liegen. Ziel sei es, Daten für „erfolgversprechende und reflektierte Strategien“ zur Nutzung generativer KI zu gewinnen.
Denn trotz aller Verblüffung, die insbesondere ChatGPT seit der Veröffentlichung der Version 3.5 im November 2022 ausgelöst hat, ist klar: Die Programme produzieren auch Fehler. ChatGPT wird mit gewaltigen Mengen an Text „trainiert“; es lernt von Beispielen, berechnet Wahrscheinlichkeiten für das passende nächste Wort. Schon im vergangenen Jahr erklärte das Entwicklerunternehmen OpenAI freimütig, der Chatbot liefere „manchmal plausibel klingende, aber falsche oder unsinnige Antworten“.
Informatikprofessor: „Es gibt keinerlei Erfolgsgarantie“
Um richtig oder falsch soll es bei dem Hamburger Prompt-a-thon allerdings nicht gehen, sagt Tilo Böhmann, sondern um die Frage, ob und inwieweit solche Systeme uns bei kreativen Prozessen helfen können. „Es gibt keinerlei Erfolgsgarantie“, ruft der Informatikprofessor den Teilnehmenden zu.
In Gruppe 7 an einem Fensterplatz haben sich zusammengesetzt: Wencke Nottmeyer, angehende App-Gründerin aus Schleswig-Holstein, Ulf Sauerland, selbstständiger Software-Ingenieur in Hamburg, Jan Krause aus der Innovationsabteilung der Hochbahn und Frederik Saxe, auch er arbeitet in der Hansestadt. Schnell einigt sich das Quartett auf mehrere Arbeitsaufträge für die KI für einen zentralen Ort in der Stadt.
„Schwimmende Gärten schmücken die Wasserfläche“
ChatGPT ist geöffnet, Saxe tippt für die Gruppe ein: „Erstelle mir eine Zukunftsvision von Hamburg für das Jahr 2040; inkludiere die Alster, zeige auf, wie die Hochbahn (Hamburger öffentlicher Personennahverkehr) die Alster und den Jungfernstieg ideal erreichbar machen kann, die Vision soll sehr touristisch international attraktiv sein, inkludiere Roboter, die das Leben für alle einfacher machen.“
Innerhalb weniger Sekunden läuft der Bildschirm mit insgesamt 350 Wörtern voll. Die Antwort ist in mehrere Absätze mit eigenen Überschriften gegliedert. Darin heißt es etwa, der Bereich rund um die Alster habe sich „zu einem magnetischen Anziehungspunkt für Touristen und Einheimische“ entwickelt. „Schwimmende Gärten schmücken die Wasserfläche, auf denen Besucher spazieren gehen und die frische Luft genießen können. Elektrisch betriebene Boote, gesteuert durch KI, bieten Rundfahrten und werden automatisch durch Solarladestationen aufgeladen, die entlang des Ufers platziert sind.“
ChatGPT schlägt Einsatz von „HanseBots“ vor
Die Hamburger Hochbahn habe einen „revolutionären Schritt in Richtung Effizienz und Benutzerfreundlichkeit gemacht“, textet ChatGPT. „Hypermoderne, leise und vollautomatische Züge gleiten alle paar Minuten durch die Stadt. Ein neuer Unterwasserzugtunnel unter der Alster verbindet den Jungfernstieg direkt mit weiter entfernten Stadtteilen, sodass Besucher innerhalb von Minuten von der belebten Innenstadt zu idyllischen Alsterufern reisen können.“
Hamburg wäre allerdings 2040 „ohne seine Roboterassistenten nicht vollständig“, führt das Programm aus. „HanseBots“ seien überall in der Stadt zu finden. „Sie führen Touristen in verschiedenen Sprachen, bieten Echtzeitinformationen über Veranstaltungen und Sehenswürdigkeiten und helfen sogar beim Transport von Gepäck oder Einkäufen.“ Am Jungfernstieg patrouillierten „umweltfreundliche Reinigungsroboter, die den Bereich sauber und einladend“ hielten, mit Passanten „auf charmante Weise“ interagierten, die fotografierten und „sogar Empfehlungen für nahe gelegene Cafés oder Geschäfte“ parat hätten.
Teams entwerfen tendenziell positive Bilder von Hamburg
Doch damit nicht genug, so ChatGPT: „Neben der beeindruckenden Architektur, die eine Symbiose aus hanseatischer Tradition und futuristischem Design darstellt“, erweckten Anwendungen mit virtueller Realität und Augmented Reality (in die reale Welt werden digitale Elemente eingefügt) entlang des Jungfernstiegs „die Geschichte Hamburgs zum Leben“, textet das Programm. „Touristen können in die Vergangenheit eintauchen oder zukünftige Projekte der Stadt in 3D erleben.“ Alles in allem werde Hamburg in knapp zwei Jahrzehnten ein „leuchtendes Beispiel für das harmonische Zusammenspiel von Tradition und Technologie“ sein.
Gruppe 7 ist sehr angetan – und man darf annehmen, dass es manchem Werber und Marketingspezialisten ähnlich ginge. Die anderen Teams, so wirkt es, versuchen unterdessen ebenfalls, mit ihren Prompts ein tendenziell positives Zukunftsbild Hamburgs zu entwerfen. Gruppe 4 etwa möchte den Hamburger Hafen im Jahr 2040 herzförmig darstellen lassen, „als Technologieführer mit Betonung der Koexistenz von Natur und Technik“. Es ließen sich auch mögliche Auswirkungen des Klimawandels in der Hansestadt veranschaulichen – aber solche eher heiklen Themen stehen nicht im Mittelpunkt des Prompt-A-Thons.
Zu viele Detailaufträge überfordern den Bildgenerator offenbar
ChatGPT gehe überwiegend genau auf Prompts ein und berücksichtige Änderungswünsche gut, so der Eindruck von Gruppe 7 mit der Alster-Vision. Doch ihre folgenden Versuche, die Textbeschreibungen mithilfe des KI-Computerprogramms DALL-E in ein gefälliges Bild zu übertragen, gestalten sich schwierig. Die von ChatGPT gepriesenen „HanseBots“ etwa stellt DALL-E nicht dar, sondern zeigt nur ein selbstfahrendes Boot vor dem Jungfernstieg.
Das Team verkürzt seine Beschreibungen, formuliert präziser, lässt mindestens drei Dutzend Bildvarianten generieren. Aber: Mal ist Hamburg nicht mehr erkennbar, dann entsteht ein Nachtbild, dann wieder werden nicht eindeutig identifizierbare Objekte gezeigt und Gebäude falsch platziert. „Ist das das Rathaus oder der Fernsehturm?“ Gruppe 7 rätselt – und lacht viel. Sie experimentieren damit, die Alster wegzulassen und die Elbphilharmonie als Wahrzeichen einzubauen. „Sieht eher aus wie der Kölner Dom“, kommentiert Frederik Saxe das Ergebnis. DALL-E fokussiere sich meist auf ein Detail, ignoriere mitunter Teile der Prompts, notiert die Gruppe. Diese KI sei „sehr störrisch“, sagt Ulf Sauerland.
Teilnehmer: „Es war schwierig, unsere Version in ein Bild gepackt zu bekommen“
Anderen Promptern geht es ähnlich. „Es war schwierig, unsere Version in ein Bild gepackt zu bekommen“, notiert Gruppe 1. „Möglichkeiten sind noch begrenzt, kommen nicht an die eigenen Vorstellungen heran“, meldet Gruppe 5. Details seien erst durch „viel Nachsteuerung“ erzielt worden, so Gruppe 6.
„Zusammenarbeit macht viel Spaß“, verkündet Gruppe 4, die sich damit allerdings auf ihre zwischenmenschliche Kommunikation und Kooperation bezieht. Teammitglied Petra Vorsteher, Mitgründerin des Netzwerks AI.Hamburg, schwärmt von einem „Pingpong der Ideen“.
„Wir mussten die erste KI fristlos feuern“
DALL-E allerdings ist in Ungnade gefallen. „Probezeit nicht bestanden“, sagt Vorsteher, wenn auch eher amüsiert als empört. Das Programm habe sich mehrfach der Aufforderung verweigert, den gewünschten „Hafen mit Herz“ zu zeigen, der stellvertretend für Hamburg als weltoffene Stadt stehen solle. Ihre Gruppe notiert: „KI wollte uns nicht verstehen. Wir mussten die erste KI fristlos feuern.“ Erst nach einem Wechsel zu dem KI-Bildgenerator Stable Diffusion habe es geklappt.
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Trotz aller Schwierigkeiten: Als alle 18 ausgewählten Bilder präsentiert werden, geht immer wieder ein Raunen durch den Raum. Es sind etliche Hingucker unter den Werken, etwa ein Ufo-ähnliches Gefährt mit Plattform auf dem Dach: die „weltweit erste Aussichtsdrohne“, erläutert das verantwortliche Team 19 und ergänzt: „statt Seilbahn über die Elbe“. Informatikprofessor Tilo Böhmann sagt: „Man fängt an, anders über Hamburg nachzudenken.“
Künstliche Intelligenz könne als „Brainstorming-Partner“ neue Ideen liefern
Am Ende wählen alle Gruppen per Onlineabstimmung vier Siegermotive aus. Es gewinnt: der „Hafen mit Herz“. Gruppe 7 mit ihrer Alster-Vision hat es nicht in die Spitzengruppe geschafft, ist aber trotzdem guter Dinge. Taugt KI als Kreativitätshilfe? „Auf jeden Fall“, sagt Gründerin Wencke Nottmeyer. Aber: „Die menschliche Sicht auf Dinge ist nicht ersetzbar.“ Hochbahn-Mitarbeiter Jan Krause ist „überrascht von den vielen visionären Elementen“, die vor allem ChatGPT generiert habe. Software-Entwickler Ulf Sauerland sieht die KI als „Brainstorming-Partner, der einen auf neue Ideen bringen kann“. Frederik Saxe erzählt, er nutze ChatGPT bereits beruflich für „kreative Konzepte“.
Alle vier haben nicht die Sorge, als Fachkräfte durch KI überflüssig zu werden und ihre Jobs zu verlieren. Aber wie sagt es ein anderer Teilnehmer des Hamburg Prompt-a-thon an diesem Vormittag, zitiert von Tilo Böhmann: „Prognosen sind schwierig – das ist mit ChatGPT nicht anders.“