Hamburg. Künstliche Intelligenz könnte Verwaltung entlasten, Mobilität verbessern und Bürger unterstützen – sogar bei der Steuererklärung.

Wie umgehen mit ChatGPT und Co.? Diese Frage treibt auch Hamburgs Behörden um. Mehr als 800 Mitarbeitende aus der Verwaltunginformierten sich vor Kurzem bei einem Onlineseminar des Hamburger Zentrums für künstliche Intelligenz (Aric) über die jüngsten Entwicklungen – ein Beleg für den großen Bedarf an Aufklärung und Rat.

Bisher setzt Hamburg in der Verwaltung künstliche Intelligenz (KI) erst für wenige Aufgaben ein, etwa zur Übersetzung von Texten in einfache Sprache und in Form des städtischen Chatbots Frag-den-Michel.

Dieses Dialogsystem ergänzt die telefonische Auskunft 115, es hilft bei der Suche nach Dienstleistungen, verweist etwa auf Anschriften von Einwohnermeldeämtern, Standes- und Finanzämtern – und erklärt, wie und wo man ein Gewerbe anmelden kann. Noch hängt die Qualität der Antworten allerdings stark davon ab, wie präzise man sein Anliegen formuliert.

Wie künstliche Intelligenz in der Hamburger Finanzbehörde hilft

Auch Hamburgs Finanzbehörde nutzt schon KI, etwa in Form der frei verkäuflichen Software IDEA, die bei der Aufbereitung von Buchführungsdaten hilft. Ebenfalls bereits im Einsatz ist ein KI-gestütztes „Risikomanagementsystem“ für Hamburgs Finanzämter. Es hat den Zweck, „die einem Steuerfall zu widmende Bearbeitungsintensität am jeweiligen individuellen Risikogehalt“ auszurichten“. Im Klartext: Die Software prüft, ob Angaben in Steuererklärungen plausibel sind und eine automatisierte Bearbeitung vertretbar ist.

Acht Millionen Euro für neue KI-Anwendungen in Hamburgs Verwaltung

Bei diesen Pionierprojekten in der Verwaltung wird es nicht bleiben; ein Ausbau ist absehbar. Hamburg stehe „mit zahlreichen in der Entwicklung befindlichen KI-Anwendungen in den Startlöchern“, sagt Jörg Schmoll vom Amt für IT und Digitalisierung in der Senatskanzlei. Die Behörden könnten diese Anwendungen nutzen, „sobald einige grundsätzliche Fragen, etwa zur Regulierung auf EU-Ebene, geklärt sind“. KI solle in der Hamburger Verwaltung „bedarfsorientiert“ eingesetzt werden – zum einen, um Mitarbeitende zu entlasten; zum anderen könnten Bürger durch KI womöglich schneller als bisher von Dienstleistungen profitieren.

Hamburger Führungskräfte testen künstliche Intelligenz bei „Prompt-a-thon“

Für neue KI-basierte Anwendungen in der Verwaltung stehen im Haushalt acht Millionen Euro zur Verfügung, wie Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) vor Kurzem auf Abendblatt-Anfrage mitteilte. „Gerade im Hinblick auf den absehbaren Fachkräftemangel ist dies für die Stadt von großer Bedeutung“, sagte Tschentscher.

In den meisten Fällen gehe es nicht um eine Vollautomatisierung mit künstlicher Intelligenz, sondern um Unterstützungsfunktionen, sagt Informatikprofessor Tilo Böhmann, Leiter der Forschungsgruppe IT-Management und Consulting an der Universität Hamburg. Er plant gerade mit dem Amt für IT und Digitalisierung einen „Prompt-a-thon“ für eine Führungskräftetagung der Hamburger Verwaltung im Herbst.

Bei diesem Versuch sollten Verwaltungsmitarbeitende testen, ob und wie sie durch geschickte Eingaben („Prompts“) generative KI einsetzen können, um Probleme zu lösen. Mit generativer KI sind Sprachmodelle wie ChatGPT und Bildgeneratoren wie Dall-E gemeint, die neue Texte, Bilder und sogar einen Softwarecode produzieren können.

Kürzere Einarbeitungszeit für neue Mitarbeitende dank KI?

Aric-Geschäftsführer Alois Krtil sagt: „KI könnte in der Verwaltung dort helfen, wo heute noch viele Dokumente in monotonen Prozessen bearbeitet werden und es vorwiegend um reine Fleißarbeit geht, die wenig Kreativität erfordert.“ Bei der Bearbeitung von Anträgen könnten digitale Assistenten etwa vorsortieren und bei der Zusammenfassung unterstützen. In der Beratung von Bürgerinnen und Bürgern hingegen, die Vertrauen und Empathie erfordere, sei „der menschliche Kontakt nach wie vor entscheidend“.

KI eigne sich auch zum Wissensmanagement in Verwaltungen, sagt Krtil. So könnte eine KI-gestützte Software das Wissen der Mitarbeitenden schrittweise erfassen, aufbereiten und intern zu Verfügung stellen in Form eines Dialogsystems, das häufig auftauchende Anfragen beantwortet („FAQ-Bot“). „Damit ließe sich die Einarbeitungszeit von neuen Mitarbeitenden deutlich senken.“

KI soll System zur Bürgerbeteiligung in Hamburg unterstützen

Auch bei der Stadtentwicklung und Verkehrsplanung könnte KI den Hamburger Behörden helfen. Ein Beispiel: Die Hansestadt hat bereits ein System zur digitalen Beteiligung von Bürgern namens „Dipas“ entwickelt. Bislang müssen Freitext-Antworten von Bürgern allerdings händisch ausgewertet werden – in der neuen Version „Dipas analytics“, die gerade entsteht, soll KI bei der Auswertung helfen.

Auch in der Entwicklung ist „DiPlanung“: Mit diesem Auskunftssystem sollen sich Bürger über Hamburger Bauleitpläne informieren können. Die Software soll eine semantische Suche bieten, die auf maschinelles Lernen setzt. Das heißt, das Programm sucht nicht nur nach Stichwörtern in Texten, wie es bei einer gewöhnlichen Stichwort-basierten Anfrage geschieht, sondern es versucht, die Bedeutung von Suchanfragen zu verstehen und entsprechend präzise nach passenden Auskünften zu suchen.

Prognosen zu Staus in Hamburg als „Entscheidungshilfe“ für Verkehrsplaner

An mehreren KI-gestützten Anwendungen für den Verkehr in Hamburg arbeitet der Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG). Ein Beispiel ist das Projekt Roadlytics: Mithilfe spezieller Sensoren und einer KI-gestützten Software kann ermittelt und ausgewertet werden, an welchen Stellen in der Stadt gehäuft Lieferdienste parken und welche Fahrspuren, Rad- und Fußgängerwege dadurch blockiert werden. Im Probebetrieb ist die Software laut LSBG schon „erfolgreich getestet“ worden; ein dauerhafter Einsatz sei bisher nicht geplant, da es an der Menge der nötigen Hardware mangele.

In der Entwicklung ist „Transmove“: In diesem Projekt entstehen KI-gestützte Prognosen zu Staus in Hamburg. Zudem lerne die Software eigenständig, wie sich die Verkehrslast umverteilen ließe, etwa über S-Bahnen, Busse und Radverkehr, erläutert der LSBG. Die erzeugten Simulationen sollten als „Entscheidungshilfe“ für Verkehrskoordinatoren, Leitzentralen und Stadtplanende dienen.

Professor: Verwaltung muss bei künstlicher Intelligenz mithalten

Neben der Aussicht auf effizientere Abläufe an vielen Stellen in der Stadt spreche ein weiterer wichtiger Punkt für mehr digitale Unterstützung in der Verwaltung, sagt Informatikprofessor Tilo Böhmann. Ohne KI-Assistenten gebe es keine „Waffengleichheit“ in der Auseinandersetzung etwa mit Anwaltskanzleien und Verbänden.

Böhmann verweist auf eine Studie an der US-Elite-Universität Stanford, die nahelegt, dass ChatGPT und ähnliche KI-Systeme Unternehmenslobbyisten helfen können, nämlich indem solche Programme etwa Gesetzgebungsvorhaben auswerten, diese Zusammenfassungen mit Anliegen und Selbstbeschreibungen von Unternehmen kombinieren und daraus Eingaben machen, die an Abgeordnete und Behörden gehen. „Wenn an vielen Stellen mit KI gearbeitet wird, muss das auch in der öffentlichen Verwaltung passieren, sonst kommt diese nicht mehr hinterher“, sagt Böhmann.

Ex-Chef des Verfassungsgerichts: Hamburg sollte KI verantwortungsbewusst einsetzen

Dabei sollte die Hansestadt mit Bedacht vorgehen, sagt Friedrich-Joachim Mehmel. Der frühere Präsident des Hamburgischen Verfassungsgerichts engagiert sich als Mitglied des LawCom Institute für Rechtsstaat und Demokratie.

Die Bürgerinnen und Bürger stellten hohe Ansprüche an den Umgang des Staates insbesondere mit Daten, sagt Mehmel. „Will Verwaltung für die weitere Digitalisierung Akzeptanz in der Bevölkerung haben, müssen Mindeststandards des gesellschaftlich verantwortlichen Einsatzes von künstlicher Intelligenz eingehalten werden.“

Davon abgesehen sei es rechtlich zwingend nötig für die Verwaltung, sich mit KI zu beschäftigen, weil voraussichtlich Ende des Jahres der KI-Act der EU verabschiedet wird. Dieses Regelwerk werde eine rechtsverbindliche Wirkung für Verwaltung und Unternehmen entfalten, spätestens zwei Jahre nach dem Inkrafttreten.

„Verwaltungen sind gut beraten, wenn sie sich jetzt schon darauf einstellen und neue KI-Anwendungen für ihre Arbeit daraufhin prüfen, ob diese den Anforderungen des KI-Acts und Grundsätzen für verantwortliche KI genügen.“ Die Frage, wie man mit dem KI-Act konkret umgehen sollte, werde bisher in Deutschland vernachlässigt, sagt Mehmel. Hamburg allerdings liege „hier weit vorne“.

Jörg Schmoll vom Amt für IT und Digitalisierung versichert, Hamburg werde KI „zum Wohle der Stadt“ einsetzen. Im Vordergrund sollen sorgfältige Tests neuer KI-Anwendungen stehen – „nicht deren schnelle Einführung“.