Hamburg. Hamburgs Bürgermeister besucht das Artificial Intelligence Center. Was Tschentscher erlebte, als er seinen Namen bei ChatGPT eingab.
Wer die Aussicht vom Dach des Dockland genießen will, muss erst 136 Stufen erklimmen, die an der Vorderseite hinaufführen. Oben angekommen, bietet sich ein beeindruckender Blick auf den Hamburger Hafen und die Innenstadt. Das von Stararchitekt Hadi Teherani entworfene Bürogebäude an der Elbe ragt wie ein Schiffsbug 40 Meter weit über das Wasser; es ist ein beliebtes Ausflugsziel für Touristen.
Die kühne Gestaltung des Bauwerks passt zu den Ambitionen des Artificial Intelligence Centers Hamburg(Aric), das dort seinen Sitz hat. Der Verein bündelt die Aktivitäten der Hansestadt zu künstlicher Intelligenz, klärt auf über ChatGPT & Co., bringt hiesige Hochschulen und Firmen zusammen, berät Investoren, bietet KI-Weiterbildungen unter anderem für Schulen an – und will Hamburg an die Spitze der bedeutenden KI-Standorte in Deutschland bringen.
Umgang mit ChatGPT: Hamburger Zentrum klärt auf und berät
Auf seinem Weg bekommt das Hamburger KI-Zentrum immer mehr Aufmerksamkeit, auch von der Politik. Entsprechend stolz sind Aric-Geschäftsführer Alois Krtil und sein Team, dass sie in ihren Räumen erstmals Hamburgs Bürgermeister begrüßen durften. Peter Tschentscher (SPD) hatte zuletzt während seiner USA-Reise als Bundesratspräsident im Silicon Valley die KI-Riesen Google und Meta besucht; er weiß um die Relevanz von digitalen Technologien für Wirtschaft und Wissenschaft, beschäftigt sich aber auch mit Risiken von KI wie möglichen Fehlinformationen und Manipulationen.
Eine denkwürdige Erfahrung machte der Bürgermeister vor Kurzem mit ChatGPT, wie er im Aric erzählte. Er habe das Programm gefragt, was es über Peter Tschentscher wisse. Der Chatbot antwortete, Tschentscher habe Volkswirtschaft an der Universität Hamburg studiert – richtig ist allerdings, dass Hamburgs Senatschef ein Medizinstudium absolvierte.
Hamburg als Kompetenzzentrum für den Einsatz von vertrauenswürdiger KI?
Aric-Geschäftsführer Alois Krtil nahm das zum Anlass, bei Tschentscher für ein Ziel des Hamburger KI-Vereins zu werben: Die Hansestadt habe das Potenzial, sich in Deutschland als Kompetenzzentrum für den Einsatz von vertrauenswürdiger KI zu profilieren. „Es gibt einen großen Bedarf an Orientierung“, sagte Krtil.
Es treibe sehr viele Menschen um, wie sie mit sogenannter generativer künstlicher Intelligenz umgehen sollten, also mit Sprachmodellen wie ChatGPT und Bildgeneratoren wie Dall-E, die neue Texte, Bilder und sogar Softwarecode produzieren können. „Die Anfragesituation ist so, dass wir sie kaum bewältigen können“, sagte Krtil dem Abendblatt.
Seminar über ChatGPT: Mehr als 800 Teilnehmer aus der Hamburger Verwaltung
Vor Kurzem habe Aric einen Online-Workshop über ChatGPT für Verwaltungsangestellte in Hamburg konzipiert – mit dem Vorsatz, dieses Seminar ab 20 Anmeldungen durchzuführen. Dann hätten sich allerdings etwa 1000 Menschen registriert. „Wir dachten zuerst, es handelt sich um einen Fehler“, sagte Krtil. Er kann den Ansturm immer noch kaum fassen. Ihm zufolge nahmen mehr als 800 Verwaltungsmitarbeitende dann tatsächlich teil.
Nicht gerechnet habe das Aric auch mit dem enormen Interesse an der Präsenzveranstaltung „KI in Schule und Gesellschaft“. Auf Einladung von Landesschulrat Thorsten Altenburg-Hack waren Ende Mai etwa 130 Leiterinnen und Leiter von Hamburger Schulen ins Dockland gekommen, um sich dort über KI-Software für den Unterricht zu informieren – und um über Chancen und Risiken von Programmen wie ChatGPT zu diskutieren.
Hamburger KI-Zentrum profitiert nun von Fördergeld der Europäischen Union
Das Aric will seine Beratung für Schulen, Behörden, Forschungseinrichtungen, Unternehmen und weitere Akteure in Hamburg und Norddeutschland nun ausweiten, wie Alois Krtil sagte. Möglich machten dies unter anderem zusätzlich eingeworbene Fördermittel.
So profitiert das Aric seit Kurzem von dem sogenannten EDIH-Programm der Europäischen Union, das Europas digitale Wettbewerbsfähigkeit stärken soll. Im Zuge dessen erhielten die Hamburger EDIH-Partner bis Ende 2024 insgesamt rund 1,55 Millionen Euro, wobei die Hälfte davon Hamburg übernehme, sagt Krtil. Zudem bekomme das Aric als Grundförderung von der Hansestadt 400.000 Euro pro Jahr bis 2027.
Tschentscher: In Hamburg arbeiten mehr als 100 Start-ups mit KI-Bezug
Peter Tschentscher sagte, die Zahl der Akteure und Projekte, die sich mit KI beschäftigten, wachse stetig. „Derzeit arbeiten in Hamburg mehr als 100 Start-ups mit KI-Bezug“, so der Bürgermeister. „Auch in den Behörden der Stadt wird KI eingesetzt, zum Beispiel bei der Übersetzung von Texten in einfache Sprache und in der städtischen Informationsplattform ,Frag den Michel´.“
Für neue KI-basierte Anwendungen in der Verwaltung stehen ihm zufolge im Haushalt insgesamt acht Millionen Euro zur Verfügung. Dies sei gerade im Hinblick auf den absehbaren Fachkräftemangel für die Stadt von großer Bedeutung, sagte der Bürgermeister.
Hamburger KI-Verein wächst – und hat mittlerweile 61 zahlende Mitglieder
Das Aric war im Oktober 2019 gestartet. Zu den Gründungsmitgliedern zählen neben der Stadt der IT-Dienstleister Industry Solutions der Lufthansa, die mittelständische Kommunikationsagentur Pilot Hamburg und die auf automatisierte Prozessanalysen spezialisierte Firma Zapliance. Vonseiten der Wissenschaft gingen die Initiative „Ahoi Digital“ mit Uni Hamburg, HAW, TU Hamburg und HafenCity Uni sowie die private Nordakademie mit an Bord.
Mittlerweile hat der Hamburger KI-Verein 61 Mitglieder, die das Zentrum finanziell unterstützen, unter ihnen etwa der Halbleiterhersteller NXP, die Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers und die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA). Hinzu kommen 75 Kooperationspartner, unter ihnen das Bahrenfelder Forschungszentrum Desy. Und Hamburg ist mittlerweile nicht mehr der einzige Aric-Standort: Auch in Prag und Tallinn unterhält der KI-Verein nun Büros. In Hamburg seien statt anfangs fünf nunmehr 29 Mitarbeitende für Aric im Dienst; derzeit gebe es acht offene Stellen, sagt Alois Krtil.
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Künstliche Intelligenz: Handelskammer fordert erneut eine Milliarde für Innovationen
Im Herbst 2020 hatte die Handelskammer in einem Positionspapier gemahnt, Hamburg hinke „anderen Standorten in Deutschland und der Welt in Sachen KI hinterher“. Seitdem habe sich „einiges in Sachen KI getan“ in der Hansestadt, sagt Paul Elsholz aus dem Fachbereich Innovation und neue Märkte. „Wir sehen eine positive Entwicklung, aber gerade beim Zukunftsthema KI gilt es, nachzulegen und nicht den Anschluss zu verlieren.“
Neben der Entwicklung von Anwendungen gehört dazu, „die richtigen Rahmenbedingungen für einen verantwortungsvollen Umgang mit KI zu setzen“, so Elsholz. Hamburg könne zu einem Leuchtturm für Innovationen werden, auch im Bereich KI, national wie international. „Dafür braucht es gezielte Förderungen statt Gießkannenprinzip, Freiräume zur Entwicklung und eine Zukunftsmilliarde aus den privatwirtschaftlichen Erträgen der Stadt.“