Hamburg. Opposition greift Senator Grote nach Abendblatt-Bericht an. „Mit aller Konsequenz aufklären“, fordern Grüne und kritisieren Gesetzentwurf.
Nach dem Abendblatt-Bericht über die schweren Vorwürfe von Notärzten im Rettungsdienst hat sich eine Diskussion um die politische Verantwortung von Innensenator Andy Grote (SPD) entwickelt. In Grotes Behörde fällt die Zuständigkeit für die Feuerwehr Hamburg – und dort sitzt auch der Fachbeirat mit seinem umstrittenen Berater Prof. Thoralf Kerner. Der innenpolitische Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Dennis Gladiator, sagte dem Abendblatt, die neuen Vorwürfe zeigten, dass die Innenbehörde unter Grote nicht zur Ruhe komme.
„Die im Raum stehenden Vorwürfe sind für manche Patienten teils lebensbedrohlich und ein Alarmsignal, das der verantwortliche Senat, speziell der Bürgermeister, nicht überhören darf.“ Grote sei „persönlich in der Pflicht“, dass der Rettungsdienst sich an schnellstmöglicher Hilfe orientiere und die Feuerwehr nach fachlichen Kriterien arbeiten könne. „Leider scheint er aber erneut das Problem und nicht die Lösung zu sein.“
Feuerwehr Hamburg: Krankenhäuser melden sich von Notfallversorgung ab
Im Abendblatt hatten sich Notärzte und Krankenhaus-Verantwortliche beklagt, Rettungswagen auch mit lebensgefährlich erkrankten oder verletzten Patienten führen zum Teil nicht wie vorgeschrieben die nächstgelegenen Krankenhäuser an. Die Kliniken seien mitunter gesperrt. Das jedoch zeigten die offiziellen Statistiken der Feuerwehr häufig anders. Grotes Behörde hatte erklärt, von den beschriebenen „Irrfahrten“ von Rettungswagen nichts zu wissen. Es gebe keine Berichte oder Verstöße gegen das Hamburger Rettungsdienstgesetz.
Der Vorwurf steht im Raum, dass manche Krankenhäuser keine zusätzlichen unrentablen Notfallpatienten wollten. Denn ein Teil der Intensivstationen sei zumeist ohnehin gesperrt, weil es nicht ausreichend Pflegekräfte gebe. So fehlten insgesamt Bettenkapazitäten für andere wirtschaftlich einträglichere Operationen. Andersherum, so die Beobachtung von Ärzten, fahren Rettungswagen an aufnahmebereiten Notaufnahmen vorbei. Sie bringen ihre Patienten in weiter entfernt gelegene Kliniken, weil sie vermeintlich „lukrative“ Patienten an Bord haben. So berichten es Ärzte.
Hamburger Innenbehörde will Einzelfällen nachgehen
Die Innenbehörde erklärte am Freitag in einer Pressemitteilung, allein die Notärzte entschieden, wer wohin gefahren werde. Das sei beeinflusst vom Zustand der Patienten, ihren Vorerkrankungen, der Auslastung der Krankenhäuser oder einer „Gesamtsituation im Rettungsdienst“. Wie sich ein Krankenhaus „abmeldet“, das sei zwischen den Kliniken, der Feuerwehr und der Sozialbehörde geregelt. „Durch diese Möglichkeit der Abmeldung soll gewährleistet werden, dass Rettungswagen das nächste, geeignete, aufnahmebereite Krankenhaus ansteuern und keine Weiterleitung an ein anderes Krankenhaus erfolgen muss.“ Wie es hieß, sollen die im Abendblatt dokumentierten Fälle jetzt überprüft werden.
Die Innenbehörde schreibt in der Erklärung zur Abendblatt-Berichterstattung: „Die im Artikel formulierte und nicht belegte Unterstellung, Notfallpatienten würden durch den Rettungsdienst der Feuerwehr Hamburg aufgrund ,wirtschaftlicher Interessen’ nur in bestimmte Krankenhäuser eingeliefert, weist die Behörde für Inneres und Sport in aller Deutlichkeit zurück.“ Das hatten wir nicht behauptet. Wir sprachen von manchen Krankenhäusern und bestimmten Kliniken. Das Abendblatt „unterstellt“ in dem Artikel nichts, wie die Innenbehörde es formuliert. Wir berufen uns stattdessen auf Aussagen und Belege von zahlreichen Quellen im Rettungsdienst. Sie haben uns von sich erst auf die Missstände aufmerksam gemacht.
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Die Innenbehörde verweist auf den Fall der Schießerei am EEZ und erklärt, die ablehnenden ersten beiden Krankenhäuser hätten keine Kapazität gehabt, den lebensgefährlich Verletzten aufzunehmen. deshalb sei er in Krankenhaus 3 gekommen. Was die Presseerklärung unterschlägt: Auch Krankenhaus 3 war zum Zeitpunkt des Einsatzes am EEZ gesperrt. Auf die weiteren vom Abendblatt beschriebenen Fälle geht die Behörde in ihrer Erklärung nicht ein, außer dass es heißt: „Auch in den anderen Fällen wurde die Entscheidung der behandelnden Notärzte bzw. Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter vor dem Hintergrund verfügbarer fachlicher Kapazitäten in den Zielkliniken getroffen.“ Das hatten wir überhaupt nicht angezweifelt.
Erstmals nimmt die Behörde in genau einem Satz Stellung zu den Vorwürfen gegen den Fachbeirat Prof. Kerner, ohne dessen Namen zu nennen: „Der Fachbeirat Rettungsdienst der Behörde für Inneres und Sport nimmt in keiner Weise Einfluss auf die Entscheidung der behandelnden Notärztinnen und Notärzte bzw. Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter.“
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Was den Entwurf des künftigen Hamburger Rettungsdienstgesetzes und die harsche Kritik daran betrifft, gab es wenig Neues. Das UKE hatte in einer Stellungnahme, die dem Abendblatt vorliegt, darauf gepocht, dass der künftige Ärztliche Leiter des Rettungsdienstes unabhängig bleiben und die Wissenschaftsbehörde von Katharina Fegebank (Grüne) unbedingt mitreden müsse. Im Gesetzentwurf steht, dass die Position für jemanden gedacht ist, der in Teilzeit bei einem Krankenhaus angestellt ist. Es gab aus Eppendorf zudem fachlich-wissenschaftliche Kritik an dem Gesetzestext.
Hamburger Rettungsdienstgesetz als Streitpunkt der rot-grünen Koalition
Die Grünen sind mit dem Entwurf nicht einverstanden. Wie weit und intensiv sie dagegen opponieren wollen, ist offenbar noch nicht ausgemacht. Der rot-grüne Koalitionsfrieden ist bereits durch mehrere Konflikte belastet. Auch den Grünen missfällt, dass der Ärztliche Leiter des Rettungsdienstes seine Unabhängigkeit verlieren könnte. Die Vorkommnisse im Rettungsdienst wollen sie „mit allen Konsequenzen“ aufklären lassen.
Der Hamburger Rettungsdienst hat sich seit Jahren von Kontrollen im Gesundheitssystem verselbstständigt. Die Krankenkassen, die mit Ärzten und Krankenhäusern um jeden Cent feilschen, zahlen zähneknirschend steigende Gebühren und Kosten. Warum sie nicht prüfen wie bei Klinikrechnungen? „Zu aufwendig, weil wir bei jedem Einzelfall und jedem Patienten und Rettungsfahrt die Belege aus mehreren Quellen zusammensuchen müssten“, so ein Kassen-Verantwortlicher zum Abendblatt. Ein mögliches Ergebnis rechtfertige den Aufwand nicht. Und der Medizinische Dienst, der Krankenhäuser und Pflegedienste kritisch unter die Lupe nimmt? Er hat zum Rettungsdienst keinen Prüfauftrag.