Hamburg. Mediziner kommen No-Shows teuer zu stehen. Hamburger Arzt schlägt bis 50 Euro Strafe vor. Kassenärzte klagen: Praxen immer unrentabler.
Der „heiße Herbst 2023” in der Gesundheitspolitik fängt bereits mitten im Sommer an: Die Praxisärzte garnieren die anstehenden Honorarverhandlungen mit den Krankenkassen mit unpopulären Forderungen. So brachte der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, eine Strafgebühr für No-Shows ins Gespräch, also für Patienten, die zu einem fest vereinbarten Arzttermin nicht erscheinen.
Eine bundesweite Umfrage unter Praxisärzten hat ergeben, dass knapp die Hälfte (44 Prozent) dauerhaft schlechte Erfahrungen mit nicht oder zu spät abgesagten Terminen gemacht hat. Bei ihnen erscheinen fünf bis zehn Prozent aller Patienten nicht, obwohl sie einen Termin hatten. 16 Prozent der Befragten haben sogar No-Shows bei jedem fünften Patienten.
Gassen sagte: „Es ist nicht nur ärgerlich, wenn Patienten Termine in Praxen buchen und diese einfach verstreichen lassen. Praxen können Termine ja nicht zweimal vergeben.“ Die Termine seien geblockt und stünden dann für andere Patienten nicht zur Verfügung. „Angemessen wäre vielmehr eine von den Kassen zu entrichtende Ausfallgebühr, wenn deren Versicherte Termine vereinbaren und dann nicht wahrnehmen.“
Arzt Hamburg: Strafgebühr für verpasste Termine?
Diese Forderung wird vom Hamburger HNO-Arzt Dirk Heinrich unterstützt, der den Spitzenverband der Fachärzte Deutschlands leitet (Spifa). Heinrich, der viele Jahre der Vorsitzende der Vertreterversammlung in der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Hamburg war, sagte, die Höhe einer möglichen Strafgebühr sei nicht festgelegt. „Aber bei einfachen Sprechstundenterminen müssten es schon 25 Euro sein. Bei Terminen zu speziellen Untersuchungen müsste die ausgefallene Untersuchung bezahlt werden, mindestens aber 50 Euro.“
Gassen wies darauf hin, dass man beispielsweise bei einer kostspieligen Untersuchung per Magnetresonanztomografie das MRT nicht einfach anderweitig belegen könne, wenn ein Patient nicht auftauche. Auch Restaurants hätten ja bereits eine Strafgebühr für NoSshows eingeführt. Bei Arztterminen, die über die Terminservicestelle gemacht würden, seien die Patienten ja identifiziert,, und die Krankenkasse müsse die Strafe übernehmen.
Krankenkassen: Immer tieferer Griff in die Taschen der Patienten
Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen sprach empört von einem „immer tieferen Griff in die Taschen der Beitragszahlenden“. Die Strafgebühr löse keine Probleme. „Stattdessen wäre es nur ein weiterer Zusatzverdienst für eine Berufsgruppe, die schon jetzt zu den Spitzenverdienern gehört.“ Man könne ja auch überlegen, die Patientinnen und Patienten zu entschädigen, die „viele Stunden Lebenszeit in Warteschleifen und Wartezimmern ärztlicher Praxen verbringen“.
Das war aber noch nicht das Ende der Polemik. Denn beim Begriff „Spitzenverdiener“ verstehen die niedergelassenen Ärzte keinen Spaß mehr. Seit ihnen die Neupatientenregel gestrichen wurde, sanken ihre Einnahmen nachweislich.
Diese Regel besagte, dass sie für neue Patienten ihrer Praxis oder die, die sehr lange nicht da waren, aufgrund des höheren Aufwandes den tatsächlichen Wert ihrer Behandlung abrechnen können und nicht wie üblich nur bis zu einem Budgetdeckel.
Ärzten in Hamburg fehlen Einnahmen in Millionenhöhe
Im ersten Quartal 2023 fehlten den Hamburger Kassenärzten durch den Wegfall dieser Neupatientenregel 40 Millionen Euro. Hausärzte waren besonders betroffen. KV-Chef John Afful rechnet auf das ganze Jahr bezogen mit einem Honorarminus von zehn Prozent.
HNO-Arzt Heinrich sagte, die Krankenkassen zettelten mit ihrem Verweis auf „angebliche Spitzeneinkommen“ der Ärzte eine „sinnlose Neiddebatte“ an. Dabei wollten sie von ihrem eigenen Versagen ablenken.
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Hamburgs KV-Chef Afful sagte am Montag im Rahmen der bundesweiten Protestaktion aller Kassenärztlichen Vereinigungen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) unter dem Titel „PraxenKollaps – Praxis weg, Gesundheit weg!“, Hamburgs Niedergelassene stünden unter enormem Kostendruck. Praxis-, Personal- und Investitionskosten machten den Betrieb einer Praxis immer unrentabler. „Die Praxen können die gestiegenen Kosten nicht über höhere Preise ausgleichen, sondern müssen sie aus der eigenen Tasche bezahlen. Einnahmen und Ausgaben klaffen immer weiter auseinander.“
Die KV habe immer auf die Folgen des Wegfalls der Neupatientenregel hingewiesen. Diese „Katastrophe mit Ansage“ sei jetzt eingetreten. Afful appellierte: „Das Bundesgesundheitsministerium und die Krankenkassen müssen jetzt dringend handeln, um die Finanzierung der flächendeckenden ambulanten Patientenversorgung zu gewährleisten.“
„Spitzenverdiener“? Auch Ärzte werden polemisch
Seit Langem schon wird der Ton rauer zwischen Ärzten und Krankenkassen. Die „Spitzenverdiener“-Aussagen aus dem Kreis der Versicherer sind nicht neu. Umgekehrt kontern die Ärzte zumeist mit der Aussage, dass es ohnehin zu viele gesetzliche Krankenkassen gebe, deren Bürokratie enorm sei. Die Polemik zwischen beiden Seiten hat kurz vor Beginn der Honorarverhandlungen eine neue Dimension erreicht.
Unter Ärzten (und Apothekern) kursierte die Stellenanzeige einer großen Hamburger Kasse. Darin wurde ein Chauffeur (gerne mit Erfahrung in der Sicherheitsbranche) gesucht, der die Kassenvorstände zu ihren Terminen fährt. Dabei sind Dienstwagen bereits oft Teil der Vorstandsentlohnung. Angesichts des Milliardenminus der Krankenkassen halten die Ärzte das für dekadent.