Hamburg. Abiturienten der Rudolf-Steiner-Schule Bergstedt erreichen einen Notenschnitt von 1,80. Die Leiterin hat einige Ideen, woran das liegt.

Mit dieser Schule hatte vermutlich kaum jemand gerechnet: Die Rudolf-Steiner-Schule Bergstedt führt in diesem Jahr bei den Abitur-Ergebnissen die Rangliste aller Hamburger Schulen an. Die Abiturienten im Norden der Stadt erreichten einen Durchschnittswert (!) von 1,80 – der landesweite Schnitt liegt bei 2,31. Was steckt hinter diesem Erfolg? Das Abendblatt sprach mit Richardis Schultz, Mitglied im Schulleitungsteam der Bergstedter Schule.

„Das war ein starker Jahrgang. Zwei Drittel der 34 Abiturienten waren seit der ersten Klasse zusammen. Das macht die Stärke unter anderem aus“, sagt Schultz. „Wir achten darauf, dass es eine möglichst lange Kontinuität in den Lerngruppen gibt. Die Schülerinnen und Schüler kennen sich mit ihren Stärken und Schwächen. Da ist ein großes gegenseitiges Vertrauen. Ohne Ängste lernt es sich besser“, sagt die Pädagogin.

Schule Hamburg: Einzügige Privatschule hat 460 Schülerinnen und Schüler

Große staatliche Schulen haben mehr als 1000 Schülerinnen und Schüler. Schultz geht davon aus, dass auch die Größe einer Schule eine Rolle dabei spielt, ob sich junge Menschen dort wohlfühlen und gern lernen. „Wir sind eine kleine, einzügige Schule mit rund 460 Kindern in 13 Klassenstufen. Ich kenne als Mitglied der Schulleitung 95 Prozent der Namen der Schülerinnen und Schüler. Das schafft eine atmosphärische Nähe und wenig Anonymität“, sagt die Lehrerin.

Überhaupt spielt der persönliche Kontakt offensichtlich eine wichtige Rolle. „Viele Ehemalige schicken ihre Kinder auf unsere Schule. Und wir liegen in einer wohlhabenden Gegend. Unser Haupteinzugsgebiet ist Volksdorf, Ohlstedt, Bergstedt und Wohldorf“, sagt Schultz und fügt hinzu: „Unsere Elternschaft ist sehr bildungsnah.“ Das sind durchaus günstige, um nicht zu sagen, privilegierte Rahmenbedingungen für die Lehrkräfte der Schule.

Leiterin der Rudolf-Steiner-Schule: „Die Eltern müssen hier ´ran“

Doch es geht der Schule um mehr. „Es gibt eine intensive Zusammenarbeit mit den Eltern. Wir laden in der Regel alle sechs Wochen zu Elternabenden ein. Die Eltern müssen hier ‘ran!“, sagt Richardis Schultz. „Auf der anderen Seite besteht auch manchmal die Gefahr, dass Väter und Mütter zu sehr mitsprechen wollen.“

Wenig überraschend sieht Richardis Schultz auch die typischen Elemente der Waldorf-Pädagogik als Faktoren für den schulischen Erfolg an. „Wir haben einen individualisierenden Blick auf die Kinder. Es gibt immer wieder Klassenkonferenzen und Lernentwicklungsgespräche. In der zweiten und fünften Klasse zum Beispiel beschäftigen wir uns intensiv in einer Klassenuntersuchung mit den Lernvoraussetzungen der Kinder“, erklärt das Schulleitungsmitglied.

Handwerkliche Aktivitäten und die Förderung des soziales Lernens

„Wir legen sehr viel Wert auf breitgefächerte Angebote: Musik und Eurythmie gibt es von der ersten Klasse an. Von Beginn geht es auch um handwerkliche Aktivitäten wie Werken und Handarbeiten. Die Entwicklung der räumlichen Wahrnehmung etwa durch die Eurythmie kann wichtig (zum Beispiel) für Mathematik sein. Es geht auch darum, Achtsamkeit gegenüber seinen Mitschülern und Mitschülerinnen und seiner Umgebung zu entwickeln“, erläutert die Pädagogin.

„Bei uns wird das soziale Lernen stark gefördert. Die Kinder entdecken sich gegenseitig mit ihren sehr unterschiedlichen Stärken und Schwächen. Der eine kann gut werken, der andere gut singen.“ Noch etwas ist Schultz mit Blick auf die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen wichtig: „Die Schülerinnen und Schüler lernen von Beginn an (allein) auf der Bühne zu stehen. Sie können sich artikulieren und Präsenz auf der Bühne zeigen.“

Schule Hamburg: Kollegium ist sehr entwicklungsfreudig – manchmal geht auch etwas daneben

Das Thema Schulentwicklung nimmt in Bergstedt einen breiten Raum ein. „Wir sind als Kollegium sehr entwicklungsfreudig, probieren Neues aus und fragen uns, wie wir Schule neu gestalten können“, sagt die Lehrerin. „Manchmal geht auch etwas daneben oder funktioniert nicht so, wie wir uns das gedacht haben“, erzählt Schultz lachend. Dazu zählte die Idee, einen Tag in der Woche in den Klassen fünf bis zehn keinen Stundenplan mehr zu haben, um mehr Freiräume zu schaffen. „Die Schüler konnten auswählen, welchen Unterricht sie haben wollten. Doch für uns Lehrer war das eine komplette Überforderung, wir haben das Projekt dann abgebrochen“, sagt Schultz.

Ein wesentlicher Unterschied zu den staatlichen Schulen besteht darin, dass in den Steiner-Schulen erst von der zehnten Klassen an Noten vergeben werden. „Vorher erhalten die Schüler ausführliche Berichtszeugnisse, und auch mit den Noten später gibt es noch Berichte. Die Schüler wollen ab einer bestimmten Klassenstufe gern Noten haben“, sagt Schultz.

In den Klassen zwölf und dreizehn durchlaufen die Schüler die Profil-Oberstufe wie an den staatlichen Schulen auch. Es gelten dieselben Bedingungen für das Abitur wie an den staatlichen Schulen. Die Steiner-Schüler bekommen dieselben Aufgaben wie alle anderen Abiturienten. „Manche Lehrer, die zu uns kommen, wundern sich, wie akribisch unsere Vorbereitung der Schülerinnen und Schüler auf das Abitur ist. Manchmal habe ich die Sorge, dass wir zu sehr den Fokus darauflegen, aber andererseits ist das sicherlich einer der Gründe für den Erfolg der Schüler“, sagt Richardis Schultz.