Hamburg. Die Zahl der Schulformwechsler nach der zehnten Klasse ist seit 2018 um die Hälfte gestiegen. Mehr Zeit bis zum Abitur ist ein Grund.

Die Möglichkeit, am Ende der Klasse zehn vom Gymnasium auf die Stadtteilschule zu wechseln, nutzen immer mehr Schülerinnen und Schüler. Laut der Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage der Linken-Bürgerschaftsfraktionschefin Sabine Boeddinghaus gingen zum Schuljahr 2018/19 genau 155 Gymnasiasten in die elfte Klasse einer Stadtteilschule über. Zum jetzt abgelaufenen Schuljahr 2022/23 waren es 237 Schülerinnen und Schüler. Das bedeutet eine Steigerung um 52,9 Prozent.

Voraussetzung für den Schulformwechsel am Ende der Sekundarstufe I ist, dass die jungen Menschen den mittleren Schulabschluss erworben haben und „in allen Fächern oder Lernbereichen mindestens ausreichende Noten erzielt haben oder schlechtere Noten ausgleichen können“, wie der Senat erläutert. Ein Motiv für den Übergang vom achtjährigen Gymnasium zur neunjährigen Stadtteilschule liegt darin, drei statt zwei Jahre Zeit bis zum Abitur zu haben und sich so möglicherweise besser auf die Prüfungen vorbereiten zu können.

Schule Hamburg: Bei „weit überragenden Leistungen“ kann elfte Klasse übersprungen werden

Gymnasien und Stadtteilschulen bieten unterschiedliche Profile mit fächerübergreifenden Schwerpunkten wie „Energietechnik und Nachhaltigkeit“ oder „Sprach- und Kulturwelten“ an. Ein weiterer Grund für einen Wechsel innerhalb der Schulformen oder zwischen beiden besteht darin, dass die eigene Schule nicht das gewünschte Profil anbietet und ein anderer Standort den individuellen Schwerpunkten und Interessen mehr entspricht.

Die Ausbildungs- und Prüfungsordnung sieht unter einer bestimmten Voraussetzung auch die Variante eines Wechsels von Klasse zehn direkt in die Studienstufe der Stadtteilschule vor. „Bei weit überragenden Leistungen“ ist laut Senatsantwort das Überspringen der Vorstufe, also der elften Klasse, möglich. Davon, trotz Schulformwechsels keine Zeit bis zum Abitur zu verlieren, machen allerdings nur wenige Schülerinnen und Schüler Gebrauch, wenngleich mit steigender Tendenz. Im Schuljahr 2018/19 waren es 56 junge Menschen, im abgelaufenen Schuljahr 77 – ein Plus von 37,5 Prozent.

An den Stadtteilschulen sinkt die Zahl der Wiederholer, an den Gymnasien steigt sie

Auf der anderen Seite stehen die Zehntklässler, deren Leistungen für eine Versetzung nicht ausreichten, die also sitzen blieben. An den Stadtteilschulen mussten 441 Schülerinnen und Schüler das Schuljahr 2021/22 wiederholen, im abgelaufenen Schuljahr waren es lediglich 390. Umgekehrt verläuft die Entwicklung bei den Gymnasien: Die Zahl der Wiederholungen stieg von 139 im Schuljahr 2021/22 auf 196. Die Summe der Wiederholungen in den zehnten Klassen beider Schulformen ist mit 580 (2021/22) bzw. 586 nahezu unverändert.

Die Anträge auf eine freiwillige Wiederholung der zehnten Klassen sind noch nicht in allen Fällen entschieden, sodass der Senat noch keine Zahlen vorlegt. Im vorangegangenen Schuljahr 2021/22 (Stichtag: 25. Juli 2022) wurden 94 Anträge für die zehnten Klassen der Gymnasien gestellt, von denen zwölf abgelehnt wurden. An den Stadtteilschulen wurden 139 von 452 Anträgen abgelehnt.

Wollen Schüler und Schülerinnen dem „Stress des Turboabiturs“ entgehen?

„In dem Maß, wie Stadtteilschulen es schaffen, Klassenwiederholungen in der zehnten Jahrgangsstufe zu vermeiden, nehmen sie an Gymnasien zu. Es scheint ordentlich Druck auf dem Kessel des Gymnasiums zu sein“, sagt Linken-Fraktionschefin Boeddinghaus und fügt zum Schulformwechsel hinzu: „Auch Gymnasial-Schüler und -schülerinnen können ihr Abitur in neun Jahren machen. Jedes Jahr steigt die Zahl derer, die diese Möglichkeit nutzen. Mutmaßlich wollen sie dem Stress des Turboabiturs entgehen.“

Diese Option sollten sich die Initiatoren und Initiatorinnen der Volksinitiative zur Einführung von G9 an Gymnasien, so die Linken-Politikerin, auch vergegenwärtigen und sich fragen, ob ihre Forderung eigentlich so haltbar und vertretbar sei. Die Initiative war Mitte Juni gestartet worden. Vor neun Jahren war ein entsprechender Versuch bereits einmal gescheitert.

Die Schulbehörde weist darauf hin, dass die Klassenwiederholungen während der Corona-Pandemie erleichtert worden waren. Ein Teil des Anstiegs bei den Schulformwechseln sei auf die insgesamt gestiegenen Schülerzahlen zurückzuführen.