Hamburg. Im Oktober sollen Professoren und Studenten zurück sein. Doch schon jetzt werden Termine im Phil-Turm verschoben. Die Gründe.
Sex im Philosophen-Turm: Der Professor und die Studentin praktizieren ihr inniges, wenn auch wechselhaftes Verhältnis in seinem Dienstzimmer. Diesmal bleibt es nicht intim. Am Gebäude befindet sich ein Baugerüst. Arbeiter schauen zu. So geht es also an einer Universität zu, denken sich die verblüfften Ohren- und Augenzeugen. Sie feixen.
Der lange Jahre im Philosophen-Turm der Universität Hamburg tätige Anglist Prof. Dietrich Schwanitz (1940–2004) hat diese Szene in seinem Bestseller-Roman „Der Campus“ lustvoll beschrieben. Alles fiktiv natürlich. Die Uni allerdings fand sich in Schwanitz‘ Werk wieder.
Das Erfolgsbuch voller Skandale und Skandälchen aus dem Akademiker-Milieu ist von Sönke Wortmann mit Heiner Lauterbach verfilmt worden. In diesen Tagen stehen die 14 Stockwerke des höchsten Campus-Gebäudes wieder im Fokus der Aufmerksamkeit. Die Affären, wenn man so will, betreffen jetzt das Gebäude und seine Modernisierung.
Phil-Turm der Uni Hamburg: Wiedereröffnung im Oktober 2023?
Denn der Phil-Turm hat sich über inzwischen sechs Jahre der Sanierung zu einem Pannen-Bau entwickelt. Wieder und wieder wurde die Fertigstellung verschoben: von 2021 auf 2022, im Oktober vergangenen Jahres dann auf Frühjahr 2023.
Vor zwei Wochen ließen Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) und Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) wissen: Der Zeitplan stehe. Zum 30. September sei der Phil-Turm fertig. Fast: Die Mensa öffnet voraussichtlich erst 2024. 2500 Studentinnen und Studenten, 500 Professoren, Mitarbeiter und Verwalter sollen zum Wintersemester 2023/2024 von der City Nord zurück auf den Campus gezogen sein.
Dass das nach dem „Umzugshandbuch“ der Behörde funktioniert, glauben wenige. Das Abendblatt hat mit Hochschullehrern und Studenten gesprochen, E-Mails und Protokolle eingesehen. Einhellige Botschaft: Es hakt an allen Ecken und Enden.
Der runderneuerte Phil-Turm bleibt vorerst eine Baustelle, die Teile der Uni blockieren könnte. Professoren beklagen sich, weil es jetzt etwa ein Drittel weniger und teils viel zu kleine Seminarräume gebe. „Es zeichnet sich ein Chaos in der Lehrplanung ab“, lautet eine Einschätzung.
Seminare von morgens 8 bis abends 20 Uhr
Die Statik der neuen Bibliothek sei falsch berechnet worden. So würden einige der Bücher, die aus der City Nord zurückgebracht werden sollen, statt im Phil-Turm in Magazinen gelagert. Arbeitsplätze für Studenten müssten nun Regalen für Bücher weichen. Das verschärfe die Raumsituation. Allerdings sollen die Seminare künftig von morgens 8 bis abends 20 Uhr stattfinden.
Dozenten und Studenten mit Kindern beklagen sich darüber. Eine erste Begehung mit den Sicherheitsbeauftragten, so heißt es, habe nicht stattfinden können – aus Sicherheitsgründen.
Am 15. August soll der Phil-Turm mit einer Technik „auf neuestem Stand“ in Betrieb genommen werden, teilte die Sprinkenhof GmbH dem Abendblatt mit. Finanzsenator Dressel sagte zuletzt: „Alle Beteiligten arbeiten mit Hochdruck daran, die letzten verbliebenen Arbeiten abzuschließen, damit der Uni-Betrieb im Philosophenturm zum Wintersemester wieder losgehen kann. Wir hatten bei diesem enorm anspruchsvollen Projekt mit vielen verschiedenen Unwägbarkeiten zu kämpfen. Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt auf den letzten Metern noch mal Vollgas geben, um Studierenden wie Lehrenden zum nächsten Semester einen frisch sanierten Philosophenturm übergeben zu können.“
Phil-Turm von 1962: Rätsel um einen Brandschaden
Die lila Kartonaufkleber („24 Stück/Büro“) wurden in der City Nord verteilt. Verluste beim Umzug seien nicht versichert, wurde den Mitarbeitern beschieden, „nur deutliche Schäden“, die per Foto zu dokumentieren seien. Das rosa Klebeband möge auf Glaskästen geklebt werden. Ob sie im Phil-Turm hängen dürfen, muss der neue Brandschutz zeigen.
Mit der Gebäudesubstanz bei einem denkbaren Ausbruch eines Feuers war und ist das so eine Sache. Bauherr Sprinkenhof räumte offen ein, dass die Betriebsgenehmigung des gesamten Phil-Turms trotz mehrmaliger Sanierung im laufenden Lehrbetrieb vor Sanierungsstart ausgelaufen war. Das denkmalgeschützte Haus von 1962 war extrem marode.
In einer Antwort auf zwei Anfragen der Abgeordneten Anke Frieling (CDU) und Stephanie Rose (Linke) erklärte der Senat jetzt: Die „Restarbeiten“ sollen zum 30. September beendet sein. Feuerlösch- und Sprinklertechnik funktionierten zum Stichtag 30. Juni bereits zu 100 Prozent. Bei den Aufzügen (95 Prozent), Sanitär (85), Elektrotechnik (85) und den Eingangstüren (80) liege man noch darunter. Auch ein „Brandschaden im ersten Obergeschoss“ soll dann nicht mehr zu sehen sein, so der Senat.
Unter den umzugsbereiten Mitarbeitern hatte als Verzögerungsgrund kursiert, dass ein Obdachloser sich auf der Baustelle Phil-Turm seine Mahlzeit erwärmt und einen veritablen Brand ausgelöst habe. Die Sprinkenhof GmbH hatte das dem Abendblatt gegenüber ins Reich der Fantasie verwiesen. Der Senat benennt in seiner Antwort Ursache und Ausmaß des Brandschadens nicht.
Uni Hamburg: Klausuren und Hausarbeiten verschoben
CDU-Wissenschaftspolitikerin Frieling sagte dem Abendblatt: „Der rot-grüne Senat verkündet hocherfreut, dass die Sanierung des Philosophenturms zum Beginn des Wintersemesters abgeschlossen sein soll. Schaut man sich die lange Liste der noch ausstehenden Arbeiten an, kommen Zweifel auf, ob mit Studienbeginn am 16. Oktober 2023 wirklich alles fertig sein wird.“ Es sei unverständlich, dass der Senat keine Vorkehrungen für erneute Verzögerungen treffe.
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Die Sanierung des Phil-Turms sei ein „baupolitisches Armutszeugnis“, sagte die bildungspolitische Sprecherin der Linken, Sabine Boeddinghaus. Leidtragende seien Beschäftigte und Studierende. Das meint auch Frieling.
Nach Abendblatt-Informationen wurden bereits Klausuren um mehrere Wochen verschoben, einige bis Dezember, sowie Abgabefristen für Hausarbeiten verlängert. Ein Grund: Bücher liegen in Kisten statt in Regalen. Studenten befürchten Verzögerungen im Studium und sogar ihrer Auslandsaufenthalte, die in Sprachwissenschaften Teil des Lehrplans sind.
Baukosten steigen um 36 Prozent – vorerst
Fegebank und Dressel beteuerten in ihrer Erklärung vor zwei Wochen, dass sich erst im Laufe der Sanierung der wahre Gebäudezustand gezeigt habe. Umplanungen, Denkmalschutz, der Ukraine-Krieg und seine Folgen für Materiallieferungen und Baupreise hätten das Projekt beeinträchtigt.
Die Senatsantwort auf die Abgeordnetenfragen nennt nun 116,8 Millionen Euro als Preis für die Sanierung. 85 Millionen Euro sollten es zu Beginn sein. Das wäre ein Plus von 36 Prozent. Die Mehrkosten sollen nicht zulasten des Mieters gehen – das ist die Uni.
Der Mieter und die Bautrupps des Vermieters setzten offenbar an der einen oder anderen Stelle ihre Prioritäten unterschiedlich. Ob es WLAN gibt bei Einzug der Professoren? Möglicherweise, wurde ihnen beschieden. Der Senat räumte ein, dass auch bei der Denkmalpflege noch nachgebessert werden müsse. Die historischen Holzwände in Fluren und Hörsälen sowie der Marmor müssten zum Teil noch „ertüchtigt“ werden.
Universität Hamburg: Kokoschka-Triptychon kehrt in Hörsaal D zurück
Erst dann dürfte es auch wieder Sinn ergeben, das monumentale Kunstwerk „Thermopylae“ von Oskar Kokoschka wieder zu installieren. Auf Abendblatt-Anfrage erklärte Sprinkenhof: „Das Kokoschka-Wandgemälde ist, unseres Wissens nach, geschützt eingelagert und hängt nicht im Hörsaal.“
Zwischenzeitlich war es „verreist“: Es hing 2019 im Wiener Leopold Museum für eine große Kokoschka-Schau. Die Uni erklärte jetzt: „Das Triptychon von Oskar Kokoschka ist momentan mit großer Umsicht in einem dafür geeigneten Ort zwischengelagert. Es soll nach Ende der Sanierung des Philosophenturms voraussichtlich ab Oktober 2023 wieder an seinen alten Standort im Hörsaal D zurückkehren.“ Das klingt wie der leichteste Teil des Umzugs.