Hamburg. Hamburger Forscherinnen raten: Nicht um jeden Preis zurück ins Büro. Wie ein Mix funktioniert und warum Videomeetings ermüden.

Die Arbeitswelt ist in einem gewaltigen Umbruch und steht nach der Corona-Pandemie vor einer großen Chance. „Derzeit haben sich noch kaum feste, neue Routinen eingespielt – so kann man gemeinsam gestalten, wo es hingehen soll, das ist ein sehr günstiger Moment“, sagt Nale Lehmann-Willenbrock, Professorin an der Universität Hamburg und international bekannte Forscherin zu Arbeitsorganisation, Meetings und „New Work“.

Daran müsse man alle Mitwirkenden beteiligen. „Es ist gerade viel Veränderungswille da und das Bedürfnis, die Abläufe neu zu gestalten.“

Die Pandemie hat einen Digitalisierungsschub ausgelöst und die Arbeit im Homeoffice, zunächst durch die Lockdowns erzwungen, populär gemacht. Aber die Veränderung ist gekommen, um zu bleiben. „Die Menschen arbeiten dauerhaft mehr zu Hause“, sagt Prof. Jetta Frost von der Uni Hamburg. Dazu gebe es diverse Untersuchungen von Unternehmensberatungen.

Arbeitswelt: Mixformen sind am schwierigsten zu organisieren

„Auf die Frage, wie möchtet ihr künftig arbeiten, lautet die häufigste Antwort: mal so, mal so. Nur wenige wollen den Büroalltag komplett nach Hause verlagern, aber eine Mehrzahl wünscht sich, flexibel zwei oder drei Tage zu Hause zu arbeiten“, sagt die Betriebswirtin, die auf Organisation und Unternehmensführung spezialisiert ist. „Wie wir diese Mixform organisieren, das ist derzeit die große neue Herausforderung.“ Gerade jetzt könne man Dinge ausprobieren wie zuvor nicht.

Wobei Mixformen deutlich schwieriger zu organisieren sind als reines Homeoffice oder reine Büropräsenz. Auch wenn Mitarbeiter im Büro sind, schalten sie sich zu Konferenzen mitunter digital hinzu. „Das speist sich aus der Erfahrung, dass es schwieriger ist, in hybriden Meetings wirklich alle einzubeziehen“, sagt Nale Lehmann-Willenbrock.

Dies könne an technischen Schwierigkeiten liegen oder der unguten „Bowling-Bahn-Perspektive“, wenn die Kollegen vor Ort um ein Tischende herumsäßen und in die weit entfernte Kamera schauten – „wirklich eine verquere soziale Interaktion.“

Was Videokonferenzen so anstrengend macht

Die Anforderungen an die Qualität der Konferenzen steigt. „Meetings um des Meetings willen werden seltener“, sagt Jetta Frost, die auch Vizepräsidentin der Uni ist. Gutes Meeting-Management in einer hybriden Mixform sei ungleich schwieriger.

Der Leiter der Konferenz hat unter Umständen zu viele Funktionen – von der inhaltlichen Lenkung des Gesprächs über die technische Komponente und die Einbindung aller Teilnehmer sowohl am Bildschirm und am Konferenztisch bis hin vielleicht noch zur Protokollführung. „Da sollte man jemanden benennen, der einen unterstützt und einen Teil dieser Aufgaben übernimmt“, empfehlen die beiden Forscherinnen.

Virtuelle Meetings sind aus zwei Gründen besonders anstrengend: „Die Multitasking-Quote ist sehr groß. Die Teilnehmenden sind zwar anwesend, schreiben aber nebenbei E-Mails oder sogar Papers. Das ist schlecht für die Qualität eines Treffens – ich kann nicht überall gleichzeitig präsent sein und mich einbringen“, sagt Prof. Lehmann-Willenbrock.

Das eigene Gesicht im Bildschirm – ermüdend

Nebenbei allerlei zu erledigen sei zwar praktisch, wenn die Konferenz nur mäßig interessant oder relevant sei. Das ist in Präsenztreffen nicht möglich. „Dies ist auch ein Grund dafür, dass die Frustrationstoleranz für nicht gut organisierte oder wenig wichtige Präsenzmeetings so gesunken ist“, sagt sie. „Je formalisierter die Tagesordnung ist, desto besser funktioniert ein hybrides Setting, weil die Routine oftmals eingeübt ist“, ergänzt Jetta Frost.

Und dann gibt es noch die sogenannte „Zoom-Fatigue“, zu der wegen der Pandemie zuletzt sehr viel geforscht wurde. „Das ist ein Erschöpfungssyndrom im Zusammenhang mit zu viel, zu langen und zu eng getakteten virtuellen Konferenzen“, weiß Nale Lehmann-Willenbrock.

Spannend ist die überraschende Erkenntnis, was diese Meetings so besonders anstrengend macht: „In dem Moment, wo man sich fortlaufend selbst klein im Bildschirm sieht, passiert offenbar automatisch eine Selbstkontrolle: Ich überprüfe ständig, wie ich aussehe. Das ermüdet“, sagt Jetta Frost.

Hamburger Expertin: Nicht um jeden Preis zurück ins Büro

„Wenn ich permanent mit meiner eigenen Ansicht konfrontiert bin – nachschaue, ob die Frisur noch sitzt und Ähnliches – zieht das Aufmerksamkeit von den anderen Teilnehmern und vom Thema ab – das ist anstrengend, und die Qualität des Meetings leidet“, weiß auch Nale Lehmann-Willenbrock. Ein simpler Tipp: Das eigene Bild ausschalten.

Viele Firmen haben Schwierigkeiten, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zurück ins Büro zu bekommen. Aber ist das überhaupt immer sinnvoll? „Nicht um jeden Preis“, sagt Lehmann-Willenbrock. Man sollte schauen, ob die Zusammenarbeit trotzdem funktioniert und die Vorteile womöglich überwiegen – etwa die bessere Konzentration, die Ersparnis der Arbeitswege oder der Beitrag zum Klimaschutz.

„Oder zahlen wir dazu einen zu hohen Preis, weil die informellen Abstimmungsprozesse, die ganz wichtig sind für den Zusammenhalt und die Vision im Team, hinten runterfallen?“

Stille Post im Unternehmen ist wichtig für Kommunikation

Aus der Forschung wisse man: „Auf der Sachebene funktionieren virtuelle Kontakte gut. Aber das Zwischenmenschliche und die Beziehungsebene, die uns weniger bewusst, aber trotzdem wichtig ist, wird deutlich erschwert. Miteinander warm zu werden und Stimmung aufzubauen, das passiert in virtuellen Settings nicht“, so Lehmann-Willenbrock.

„Da fällt eine wichtige Dimension von Arbeit weg – die ist nicht nur persönlich bedeutsam, sondern durchaus auch für Arbeitsergebnisse. Die stille Post in einem Unternehmen ist ein ganz wichtiges, oft unterschätztes Kommunikationsvehikel.“

Gemeinsame Zeit im Büro muss in der neuen Arbeitszeit „einen echten Mehrwert bieten“, wie Jetta Frost es formuliert. „Da muss dann auch etwas passieren. Es reicht nicht, wenn alle ins Büro kommen und dann eben da sind.“ Da seien die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anspruchsvoller geworden ist: „Gemeinsame Zeit im Büro ist etwas Besonderes, das muss dann auch besonders gestaltet werden.“ Und: Die Geduld für lange Meetings ohne klare Agenda nimmt ab.

Zu Hause überarbeitet man sich eher

Chefinnen und Chefs müssen nicht nur genauer darüber nachdenken, wie sie Aufgaben zuschneiden, sondern auch ein neues Verständnis von Führung entwickeln. Studien zeigten: „Menschen arbeiten von zu Hause nicht weniger, sondern eher mehr. Die Gefahr der Entgrenzung von Arbeit, dass ich eben keine Pausen mache, ist zu Hause viel größer“, so Organisationspsychologin Lehmann-Willenbrock.

Die Wahrscheinlichkeit, sich zu Hause zu überlasten und zu überarbeiten, sei hoch. „Im Büro habe ich natürliche Unterbrechungen.“ Führungskräfte sollten gelernt haben, loszulassen und darauf zu vertrauen, dass die Mitarbeiter aus sich selbst heraus motiviert sind.

Und wie wirkt sich fortwährendes Homeoffice auf die Karrierechancen aus? „Dahinter steht die Frage, ob und wie ich meine Kompetenzen zeigen kann und ob sie wahrgenommen werden. Vorausgesetzt, die Führungskräfte sind überwiegend im Büro, kann sich eine kritische Situation ergeben, wenn einige Mitarbeiter überwiegend vor Ort sind und andere nicht.

Arbeitswelt: Wie sich Homeoffice auf die Karriere auswirkt

Dafür müssen Führungskräfte sensibilisiert werden. Sonst könnten Mitarbeiter, die überwiegend zu Hause sind, bei einem spannenden neuen Projekt mal übergangen werden, so Nale Lehmann-Willenbrock. „Das kann schon ein Grund dafür sein, zu entscheiden, doch mal wieder häufiger ins Büro zu gehen.“

Klar ist aber auf der anderen Seite auch: „Arbeitgeber müssen wissen, dass sie auf dem Arbeitsmarkt attraktiver sind, wenn sie die Möglichkeit anbieten, kombiniert zu arbeiten – also auch teilweise zu Hause. Wenn wir das als Universität Hamburg nicht anbieten würden, hätten wir große Schwierigkeiten“, sagt Vizepräsidentin Frost.

Dass die Attraktivität der Arbeitsplätze steige, wenn beide Arbeitsformen möglich seien, sehe man auch daran, dass es für Aufgaben, die Präsenz erfordern, wie beispielsweise in der Gastronomie oder bei den Sicherheitskontrollen am Flughafen, schwierig sei, Personal zu finden.