Hamburg. Kostenexplosion und Verzögerungen am Haus der Erde, MIN-Forum, Phil-Turm und Pferdestall. Über den Stand der Groß-Projekte.

Sollte sich die Exzellenz-Universität Hamburg eines Tages auf die Suche nach einem neuen Slogan begeben, könnte man in Anlehnung an die cleveren Tüftler aus dem Ländle texten: „Wir können alles – außer bauen.“ Angesichts der Verzögerungen, Kostensteigerungen und eines katastrophalen Baumanagements wissen Tausende Studentinnen und Studenten sowie Hunderte Uni-Angehörige in Forschung und Verwaltung bis heute nicht, an welchen Orten sie im Herbst dieses oder Frühjahr nächsten Jahres den Elite-Status von Hamburgs größter Hochschule aufrechterhalten sollen.

Betroffen sind vor allem die ausgewiesen wissenschaftlich „exzellenten“ Klimaforscher und Physiker. Aber auch große Fakultäten wie die Geisteswissenschaften oder die Sozialwissenschaften schieben ihre Sanierungskrise seit Jahren vor sich her. Das Haus der Erde am Schlump verzögert sich, die Kosten steigen, auch durch Planungsfehler. Das MIN-Forum (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften) quasi gegenüber ist ein ähnliches Desaster.

Universität Hamburg: „Pferdestall“ mit Naphthalin belastet

Am eigentlichen Uni-Campus zwischen Allende-Platz, Von-Melle-Park und Schlüterstraße sieht es nicht besser aus. Der „Pferdestall“ ist mit Naphthalin belastet, einem laut Umweltbundesamt „krebsverdächtigen“ Stoff. Der 14-stöckige Phil-Turm wird seit 2017 aufwendig saniert, Studierende und Mitarbeiterschaft wurden in die City Nord ausquartiert.

Der inzwischen pensionierte Uni-Präsident Dieter Lenzen sagte schon bei der ersten großen absehbaren Bauverzögerung vor zwei Jahren: „Die Universität Hamburg ist sehr betroffen über die langfristige Verzögerung der beiden Bauten Philosophenturm und Haus der Erde, die beide für den Betrieb der Universität, insbesondere im Forschungsbereich, essenziell sind.“ Er bemängelte „offenbar fehlende Professionalität bei dem Staatsbetrieb, der als Bauherr fungiert“ und mahnte: „Es muss alles darangesetzt werden, dass die Gebäude vor der nächsten Exzellenzrunde fertiggestellt sind.“

Universität Hamburg kommentiert Bauprozesse nicht

Nun ist der Mann, den sie in Hamburg „Exzell-Lenzen“ nannten, im Ruhestand, und sein Nachfolger Hauke Heekeren hat das Bau-Erbe zu schultern. Die Uni erklärte jetzt dem Abendblatt zum Haus der Erde: „Da die Universität Hamburg lediglich Mieterin ist und die Bauherreneigenschaft bei dem Realisierungsträger GMH liegt, kommentiert die Universität Hamburg die Bauprozesse nicht. Damit in der Zeit bis zur Fertigstellung weiter leistungsstark in Forschung und Lehre gearbeitet werden kann, wird die Unterbringung der zukünftigen Nutzerinnen und Nutzer des Hauses der Erde in den Bereichen beibehalten, in denen auch jetzt gearbeitet wird, unter anderem im Geomatikum und im Gebäude ZMAW, das zusammen mit dem Max-Planck-Institut für Meteorologie genutzt wird. Gleichzeitig sind weitere Anmietungen zu halten, die erst bei Bezug des Hauses der Erde aufgegeben werden sollen.“

Senat fordert von Firmen Schadenersatz

Übergangslösungen kosten Millionen. Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) hatte früh erklärt, dass „externe Planungsbeteiligte“ für das Chaos am Haus der Erde (Kostenexplosion von 177 auf 303 Millionen Euro) mitverantwortlich seien. Es habe „massive Fehler“ zum Nachteil der Stadt gegeben. Einige Firmen wurden rausgeworfen, Klagen auf Schadenersatz eingereicht. Der Senat wirkt entschlossen, sich das Geld zurückzuholen.

Die Wissenschaftsbehörde erklärte auf Abendblatt-Anfrage, der Forschungs- und Lehrbetrieb sei immer sichergestellt gewesen und bleibe es. Und: „Es ist wichtig, dass die planerischen Versäumnisse – insbesondere aus der Entwurfsplanung 2012/13 – aufgearbeitet werden. Dazu gehört auch, gegen verantwortliche Firmen konsequent den Rechtsweg zu beschreiten und Entschädigung einzufordern. Gegen verschiedene inzwischen gekündigte Projektbeteiligte laufen immer noch Klagen, um eine Erstattung der entstandenen Schäden zu erreichen.“

Phil-Turm-Umzug: Logistischer Aufwand immens

Es heißt, der Einzug ins Haus der Erde solle „spätestens“ im Sommer 2024 erfolgen. Für das MIN-Forum sind Prognosen aktuell offenbar schwierig. Angesichts von globaleren Problemen beim Bauen ist das verständlich. Zum Phil-Turm allerdings erklärte die Uni jetzt, es gebe positive Bewegung – mit Einschränkungen: „Der Umzug aus der City Nord in den Philosophen-Turm ist für das Wintersemester 2022/2023 geplant. Der Mietvertrag in der City Nord ist so lange gültig. Die Kosten werden weiterhin vom Senat getragen.“

Die Professorinnen und Professoren der betroffenen Disziplinen hatten zuletzt über variierende Ansagen geklagt: Mal hieß es zum Wintersemester 2022 – was jetzt vorbereitet werden müsste. Mal sollte der Rück-Umzug erst zum Frühjahr 2023 kommen. Der logistische Aufwand ist immens. Zumal: Auf der Baustelle Phil-Turm gibt es Probleme mit den Fahrstühlen, wie es heißt. Kein kleines Hindernis in einem 52-Meter-Gebäude. Die Mensa wird wohl erst Ende des Jahres fertig, erklärte eine Sprecherin von Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne).

Kaum Bewegung beim „Pferdestall“

Die Stadt Hamburg bleibt ein treuer Kunde bei Vermietern von Ausweichquartieren und Umzugsunternehmen. Viel Hin und Her gibt es im Umfeld des nur äußerlich charmanten „Pferdestalls“. Sieben Jahre nach der ersten Entdeckung des mutmaßlich gesundheitsschädlichen Naphthalins im Gebäude gibt es dort trotz zwischenzeitlicher Erfolgsmeldungen der Behörden faktisch kaum Bewegung.

Nachdem das Abendblatt im Januar die erschreckenden Befunde aus einem internen Protokoll veröffentlicht hatte, erklärte Fegebanks Behörde jetzt: „Weitere Untersuchungen haben gezeigt, dass mit dem ursprünglichen Sanierungskonzept eine ausreichende Verringerung der Schadstoffbelastung nicht sichergestellt ist. Deshalb werden der belastete Estrich und die darauf stehenden Wände in den betroffenen Geschossen weitgehend entfernt. Die Rückbaumaßnahmen sind beauftragt und beginnen im August.“

Unmut bei Beschäftigten steigt

Bevor jedoch die Statik im Gebäude wiederhergestellt werden und die Innensanierung starten kann, müssen die Luft-Experten ran: Wie viel an Schadstoffen befindet sich noch in den Räumen? Eine vermeintlich gründliche Sanierung ging schon mal schief: Pfusch am Bau.

In diesem Jahr ist keine Rückkehr der Ausquartierten aus dem ersten und zweiten Stock zu erwarten. Ob sie erneut umziehen müssen, ist unklar. Der Unmut unter den Beschäftigten steigt. Sie beklagen eine schlechte Informationspolitik. Mit Namen wollte sich keiner der vom Abendblatt Befragten äußern. Die Uni erklärte: „Ausweichräume werden zur Verfügung gestellt.“

„Die UHH hat leider keine Ausweichräume"

In einer internen „Aktennotiz“, die dem Abendblatt vorliegt, klingt das etwas anders. In der vorlesungsfreien Zeit bis zum 15. Oktober könne auch in der Kernarbeitszeit von 9 bis 16 Uhr keine Rücksicht genommen werden. Der Umbau sei „lärmintensiv“. Es werde empfohlen, ins Homeoffice zu wechseln. Wer „dringend“ vor Ort arbeiten müsse, könne „Shared Offices“ bekommen, also Wechselarbeitsplätze.

„Die UHH hat leider keine Ausweichräume für die Mitarbeiter/innen zur Verfügung“, steht in dem internen Memo. Der Baulärm lässt zudem das Arbeiten in der Bibliothek nicht zu. Sie ist von 15 bis 20 Uhr für die Ausleihe geöffnet. Das WLAN ist eh eingeschränkt. Die Botschaft: Es ist laut, bleiben Sie zu Hause.

Gas-Krise: Krisenstäbe gebildet

Ob die Uni im Oktober ein Transparent „Herzlichen willkommen zum Wintersemester 2022/2023“ aufhängen mag, scheint fraglich. Die unsicheren pandemischen Entwicklungen bei Corona und die Energiekrise um russisches Gas können die Aufenthaltswahrscheinlichkeit an der Uni für Studierende und das Lehrpersonal nicht wirklich erhöhen. Es ist zwar Sommer, aber an anderen deutschen Hochschulen tagen bereits Krisenstäbe.

Sie befassen sich vor allem mit der Situation in den Gebäuden im Herbst. Aus der Universität Freiburg, wo es auch im Oktober für Hamburger Verhältnisse noch T-Shirt-Temperaturen gibt, ist zu hören: Man bereite sich auf viele Szenarien vor. Das Abschalten der Heizungen in Hörsälen und ein komplett digitales Semester sind Diskussionsvarianten.