Hamburg. Status, Herkunft, Schüler ohne Empfehlung: Neue Zahlen offenbaren viele Gegensätze – nicht nur zwischen Blankenese und Billstedt.

Die sozialen Gegensätze in der Metropole Hamburg, die Unterschiede zwischen reicheren und ärmeren Wohngegenden, spiegeln sich auch in der Schullandschaft wider. Dabei entstammen die Schülerinnen und Schüler der Gymnasien (bislang noch) in der Tendenz wohlhabenderen Elternhäusern als die Schülerschaft der Stadtteilschulen.

Aber die sozialen Unterschiede zwischen den einzelnen Standorten der Gymnasien sind mittlerweile sehr groß. Anders ausgedrückt: Die gesellschaftliche Heterogenität macht auch vor den Gymnasien nicht halt.

Schule Hamburg: So groß sind die sozialen Unterschiede an den Gymnasien

Aus der Senatsantwort auf eine Große Anfrage der Linken-Bürgerschaftsfraktion ergibt sich, dass der Sozialstatus der Wohngebiete der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten lediglich bei gut zwölf Prozent niedrig (4,88 Prozent) oder sehr niedrig (7,2 Prozent) ist.

Zum Vergleich: Der Anteil der Stadtteilschüler aus eher benachteiligten Wohngebieten ist mit 32,4 Prozent knapp dreimal so hoch. Knapp jeder fünfte Stadtteilschüler (18,1 Prozent) lebt in einem Wohngebiet mit sehr niedrigem Sozialstatus, gut jeder sechste (14,3 Prozent) in einem Gebiet mit niedrigem Status.

Gymnasium Hamburg: Wie sich Wilhelmsburg und Blankenese unterscheiden

Während die breite Mitte der sozioökonomischen Verhältnisse bei beiden Schulformen mit 60,4 Prozent (Gymnasien) und 55,9 Prozent (Stadtteilschulen) annähernd gleich groß ist, zeigt sich an der Spitze der Skala erneut die Disparität. Jeder vierte Gymnasiast (25,4 Prozent) wohnt in einem Quartier mit hohem Sozialstatus, bei den Stadtteilschülern sind es lediglich 8,9 Prozent.

Doch auch innerhalb der Schulform Gymnasium sind die sozialen Unterschiede der Schülerschaft beträchtlich. So haben 25 der 63 staatlichen Gymnasien (39,7 Prozent) einen Anteil von nur einem Prozent oder weniger von Schülern aus Gebieten mit niedrigem oder sehr niedrigem Sozialstatus, liegen also weit unterhalb des Durchschnitts von gut zwölf Prozent.

Der Anteil von Schülern aus reichen Wohngebieten reicht bei den Gymnasien von null Prozent (Helmut-Schmidt-Gymnasium, Wilhelmsburg) bis zur Höchstmarke von 77,1 Prozent (Gymnasium Blankenese).

Fast die Hälfte aller Gymnasiasten in Hamburg hat einen Migrationshintergrund

Sehr große Unterschiede zwischen den gymnasialen Standorten ergeben sich auch hinsichtlich des Migrationshintergrundes der Schülerschaft. Dabei gilt in Hamburg eine recht weitreichende Definition von Herkunft und Zuwanderung. Eine Schülerin hat zum Beispiel auch dann einen Migrationshintergrund, wenn nur ein Sorgeberechtigter nicht in Deutschland geboren wurde, auch wenn er bereits sehr lange hier lebt und die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt.

Das Gymnasium ist mit einem Durchschnitt von 43,7 Prozent die Schulform mit dem niedrigsten Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund. Bei den Stadtteilschulen liegt er bei 60,6 Prozent. Der Gesamtdurchschnitt aller Schulformen beläuft sich auf 53 Prozent. Den niedrigsten Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund weist das Gymnasium Ohlstedt mit 20,4 Prozent auf, den höchsten mit 91,6 Prozent das Louise Weiss Gymnasium in Hamm.

Sieben Prozent der geflüchteten Schüler wechseln in eine Regelklasse des Gymnasiums

In Hamburg beteiligen sich die Gymnasien in fast dem gleichen Umfang an der Beschulung von Flüchtlingen wie die Stadtteilschulen. Laut Senatsantwort auf die Linken-Anfrage lernten zum Stichtag 16. Juni 2023 an fünf Basis- und 111 Internationalen Vorbereitungsklassen (IVK) an Gymnasien insgesamt 1078 geflüchtete Jungen und Mädchen. Für diese Schülergruppe gilt beim Wechsel in die sogenannten Regelklassen wie für alle Gymnasiasten das Leistungsprinzip.

Es zeigt sich, dass die wenigsten der nach Hamburg geflüchteten Schülerinnen und Schüler dem Anforderungsniveau des achtstufigen Gymnasiums gewachsen sind. Zum Schuljahr 2022/23 wechselten 121 Schüler aus einer IVK-Klasse in eine Regelklasse eines Gymnasiums, was einem Anteil von nur sieben Prozent entspricht.

Die Zahl der Schüler, denen dieser Schritt gelang, ist an allen Gymnasien einstellig. Nur das Louise Weiss Gymnasium verzeichnet mit 30 Schülern eine relativ große Gruppe. Die mit Abstand meisten geflüchteten Schüler besuchen im Anschluss an den IVK-Unterricht die Regelklasse einer Stadtteilschule.

An einer Schule haben die Fünftklässler mehrheitlich keine Gymnasialempfehlung

Der Anteil der Jungen und Mädchen, die ohne entsprechende Empfehlung der Grundschule auf ein Gymnasium wechseln, liegt seit mehreren Jahren relativ stabil bei rund 20 Prozent. Während der Corona-Pandemie sank der Wert auf etwas unter 20 Prozent und lag zum Schuljahr 2022/23 bei 19,9 Prozent. Allerdings weisen die einzelnen Standorte extrem unterschiedliche Quoten auf.

Das Louise Weiss Gymnasium ist die einzige Schule, deren Fünftklässler mehrheitlich keine Gymnasialempfehlung haben. Der Anteil beträgt 55,6 Prozent. Ebenfalls recht hohe Werte weisen die folgenden Gymnasien auf: Kurt Körber (Billstedt) 47,4, Prozent, Marienthal 43,9 Prozent, Helmut Schmidt (Wilhelmsburg) 36,5 Prozent und Allermöhe 36 Prozent. Alle Standorte weisen die relativ niedrigen Sozialindices zwei oder drei der sechsstufigen Skala auf.

Die Zahl der Abschulungen vom Gymnasium war zuletzt relativ konstant

Die niedrigsten Quoten nicht gymnasial empfohlener Schüler haben Schulen mit den höchsten Sozialindices fünf und sechs, liegen also in sozioökonomisch privilegierten Gebieten: Johanneum (Winterhude) 4,8 Prozent, Christianeum (Othmarschen) 5,4 Prozent, Hochrad (Othmarschen) 6,5 Prozent und Allee (Altona) 7,9 Prozent.

Am Ende der Klasse sechs entscheiden die Zeugnisnoten über den Verbleib auf dem Gymnasium oder den Wechsel auf die Stadtteilschule. Mit 667 Abschulungen zum Beginn des Schuljahres 2022/23 war die Gesamtzahl relativ konstant zum vorherigen Schuljahr (677 Abschulungen).

Die Zahl der Schulformwechsler war im abgelaufenen Schuljahr an den Gymnasien Helmut Schmidt (Wilhelmsburg, 38), Marienthal (32) und Goethe (Lurup, 27) relativ hoch. Zwölf Standorte schulten am Ende von Klasse sechs weniger als fünf Jungen und Mädchen ab.

Schule Hamburg – 6,5 Prozent der Gymnasiasten erhalten Transferleistungen

Die sozialen Unterschiede zwischen den Einzugsgebieten der 63 Gymnasien spiegeln sich wenig überraschend in den Anteilen der staatlichen Transferleistungen, die die Schüler erhalten. Im Durchschnitt bezogen 6,5 Prozent der Gymnasiasten im Schuljahr 2022/23 Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket des Bundes. Allerdings liegt die Quote an Standorten mit dem Sozialindex zwei zwischen 16,2 und 33,1 Prozent.

Dagegen beläuft sich der Anteil der Bundesförderung an Gymnasien mit dem Sozialindex sechs zwischen höchstens 3,7 Prozent und 0,5 Prozent als niedrigstem Wert.

Gymnasium: 88 Prozent der Schüler in Hamburg gehen mit Abitur

Das Gymnasium bleibt die Schulform, die in aller Regel zum Abitur führt. Die Zahl der anderen Abschlüsse bleibt ausgesprochen gering. Der Anteil der Schüler und Schülerinnen, die das Gymnasium mit dem ersten oder erweiterten ersten Schulabschluss (Hauptschulabschluss) verließen, betrug 0,7 Prozent im Schuljahr 2021/22. Daten aus dem vergangenen Schuljahr liegen noch nicht vor.

Mit dem mittleren Schulabschluss verließen 7,2 Prozent die Schule, mit der Fachhochschulreife noch einmal 3,6 Prozent. Allerdings schwanken die Werte auch hier stark: Das Kurt-Körber-Gymnasium verließen 26,4 Prozent der Schüler im Schuljahr 2021/22 mit der mittleren Reife. Am Louise Weiss Gymnasium waren es 20,9 Prozent. Im Schnitt aller Gymnasien legten 88 Prozent der Schüler das Abitur ab.

Schule Hamburg: Gymnasien dürften nicht „außen vor bleiben“

„Die politisch Verantwortlichen müssen die Augen aufmachen: Es ist auch Aufgabe der Gymnasien, für Inklusion und Integration zu sorgen. Ebenso müssen sie dazu beitragen, den Bildungsabschluss von der Herkunft abzukoppeln“, sagt Sabine Boeddinghaus, Fraktionschefin der Linken in der Bürgerschaft und schulpolitische Sprecherin ihrer Fraktion. „Es ist viel Druck im System Schule, die Spaltung macht sich schon zwischen den Gymnasien bemerkbar.“

Bei der Suche nach Lösungen dürften die Gymnasien „nicht außen vor bleiben und alleine gelassen werden“. Sie brauchten mehr Ressourcen, Expertise und Qualifikation, um für alle ihre Schüler mehr Verantwortung zu übernehmen. „Konkret heißt dies zuallererst, das Abschulen nach Klasse sechs zu beenden“, so die Linken-Politikerin.