Hamburg. Hochbahn knüpfte im Jahr 2022 an die Vor-Corona-Zeit an. Dennoch braucht sie Geld vom Staat, auch für ehrgeizige Projekte wie die U5.
Die Corona-Krise hat auch für den öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) tiefe Einschnitte mit sich gebracht. Vom Frühjahr 2020 an blieben viele Fahrgäste weg, die Einnahmen brachen ein, fast alle Unternehmen mussten mit zusätzlichen staatlichen Mitteln gestützt werden.
Die Hamburger Hochbahn, die in der Hansestadt die U-Bahnen und weite Teile des Busnetzes betreibt, bildete da keine Ausnahme – sie hat sich davon aber mittlerweile gut erholt. Im Jahr 2022 verzeichnete sie ein Plus gegenüber 2021 von rund 100 Millionen auf 384 Millionen Fahrgäste – was einer Steigerung von rund 35 Prozent entsprach.
HVV Hamburg: Hochbahn jubelt über 100 Millionen Fahrgäste mehr als im Vorjahr
Das war zwar noch ein Stück von den Zahlen aus 2019 (462 Millionen Fahrgäste) entfernt. Doch da der positive Trend anhält, ist man im laufenden Jahr schon wieder bei 97 Prozent der Auslastung aus dem letzten Vor-Pandemie-Jahr 2019 angelangt. In einzelnen Wochen sind es bereits 100 Prozent, wie das städtische Unternehmen bei der Vorstellung seiner Bilanz mitteilte. Von „Knaller-News“ sprach der Hochbahn-Vorstandsvorsitzende Henrik Falk. Und Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) jubelte, man sei „back on track“, zurück in der Spur.
Wie Falk betonte, bedeuten mehr Fahrgäste allerdings nicht automatisch mehr Umsatz. Der entwickelte sich 2022 zwar auch erfreulich und stieg gegenüber dem Vorjahr um zwölf Prozent auf 492,8 Millionen Euro. Das waren allerdings immer noch acht Prozent weniger als im bisherigen Rekordjahr 2019.
Allein die Stadt Hamburg hat der Hochbahn 162 Millionen Euro überwiesen
Finanziell hängt die Hochbahn, die sich viele Jahrzehnte für ihren im bundesweiten Vergleich ungewöhnlich hohen Kostendeckungsgrad gerühmt hatte, weiter am Tropf des Staates. Das dritte Jahr in Folge musste man Mittel aus dem Corona-Rettungsschirm von Bund und Ländern in Anspruch nehmen, dieses Mal in Höhe von 101,5 Millionen Euro. Zudem erhielt das Unternehmen einen Ausgleichsbetrag von 60 Millionen Euro zur Kompensation der Einnahmeeinbußen in Folge des 9-Euro-Tickets, das es bundesweit für drei Monate im Sommer 2022 gab.
Trotz dieser Zuschüsse blieb unterm Strich noch ein Minus von knapp 162 Millionen Euro, das die Stadt Hamburg als Eigentümerin ausgleichen musste. Wie Falk und Tjarks betonten, entspreche das aber den Planungen zum Ausbau der Kapazitäten, Stichwort „Hamburg-Takt“: Bis 2030 sollen alle Hamburger überall in der Stadt binnen fünf Minuten ein öffentliches Mobilitätsangebot erreichen können.
Hochbahn hatte im Mai so viele Fahrgäste wie vor der Corona-Krise
„Das Jahr 2022 war vor allem bis ins Frühjahr noch sehr stark geprägt von der Pandemie und den damit verbundenen Einschränkungen“, sagte Falk. Dennoch sei es gelungen, die Fahrgäste nach und nach zurückzugewinnen. „Wir Hochbahnerinnen und Hochbahner sind stolz, dass wir das geschafft haben. Die Menschen in Hamburg vertrauen ihrem Nahverkehr und schätzen den Service.“
Aus Sicht von Tjarks und Falk ist die schnelle Erholung nur möglich gewesen, weil der ÖPNV in Hamburg auch während der Pandemie am Laufen gehalten wurde, weil man mitten in diese Phase hinein sogar noch die Kapazitäten erweitert habe und weil die Digitalisierung massiv vorangetrieben worden sei.
So sei die App HVV Switch einer der bundesweit erfolgreichsten Vertriebskanäle für das 49-Euro-Ticket: 800.000 Downloads habe die App verzeichnet, mehr als 100.000 Deutschlandtickets seien darüber verkauft worden – jedes zehnte davon an Kunden, die gar nicht im HVV-Einzugsgebiet wohnen. Schöner Nebeneffekt: Die Einnahmen von rund einer halben Million Euro bleiben dennoch in den HVV-Kassen.
HVV Hamburg: Hochbahn will Hunderte Millionen in Busse und Bahnen investieren
Das neue Angebot, für 49 Euro im Monat bundesweit den gesamten Nah- und Regionalverkehr nutzen zu können, sei „nicht nur ein Riesenerfolg und entlastet sehr viele Menschen, sondern macht den ÖPNV noch attraktiver – nicht zuletzt durch seinen einfachen digitalen Erwerb“, sagte Tjarks. Und natürlich trägt es mit dazu bei, dass die Fahrgastzahlen wieder an das Vor-Krisenniveau heranreichen.
Nachdem die Hochbahn in den vergangenen vier Jahren insgesamt 1,2 Milliarden Euro in den Hamburger Nahverkehr investiert hatte, sollen es im laufenden Jahr rund 677 Millionen Euro sein – mehr als doppelt so viel wie im Vorjahr. Allein für die Anschaffung von E-Bussen sind 91,1 Millionen Euro eingeplant und weitere 78,2 Millionen Euro für den Aus- und Neubau von Werkstätten und Betriebshöfen.
U5-Kosten explodieren – Hochbahn finanziert sich über „Green Bonds“
Mit knapp 210 Millionen Euro entfällt der größte Teil auf den Ausbau des U-Bahn-Netzes, etwa die Verlängerung der U4 auf die Horner Geest und den jüngst gestarteten Bau der komplett neuen U5. Mehr Investitionen bedeuten dabei nicht zwangsläufig, dass mehr gebaut wird. So sind die Kosten der U5 allein für den ersten Bauabschnitt zwischen Bramfeld und City Nord von 1,75 auf 2,85 Milliarden Euro gestiegen – hier wird es also für mehr Geld das gleiche Ergebnis geben.
Ihren Finanzbedarf deckt die Hochbahn zunehmend am „grünen Kapitalmarkt“. Nachdem das Unternehmen 2021 den bundesweit ersten Green Bond eines ÖPNV-Unternehmens in Höhe von 500 Millionen Euro begeben hatte, sammelte es im Frühjahr 2023 weitere 300 Millionen Euro bei ökologisch ausgerichteten Investoren ein.
Bis zu 10.000 fahrerlose Fahrzeuge sollen bald auf Hamburgs Straßen unterwegs sein
Ohnehin habe man sich stark dem Klimaschutz verschrieben, betonte die neue Finanz-Vorständin Merle Schmidt-Brunn. Bis 2030 wolle die Hochbahn klimaneutral wirtschaften. Dafür investiere man nicht nur in den Ausbau des U-Bahn-Netzes, sondern auch in emissionsfreie Busse und die Elektrifizierung bestehender Busbetriebshöfe. Die Neubauten in Meiendorf und auf der Veddel seien von vornherein komplett auf E-Busse ausgerichtet, so Schmidt-Brunn.
Große Hoffnungen setzen die Hochbahn und der Verkehrssenator auf autonom fahrende Fahrzeuge. Ohne die könne der „Hamburg Takt“ nicht erreicht werden – aus finanziellen Grünen, aber auch, weil es schlicht nicht genügend Fahrer gibt. Für das Ziel, bis 2030 bis zu 10.000 fahrerlose Fahrzeuge auf Hamburgs Straßen zu bringen, laufen derzeit zwei Pilotprojekte: Für das On-demand-Angebot HVV hop im Süden der Stadt sollen 20 autonom fahrende Autos von 2025 an in den Regelbetrieb übernommen werden – die Ausschreibung läuft, Bund und Stadt fördern die Anschaffung mit je 18 Millionen Euro.
Der autonom fahrend Holon-Minibus wird am 6. Juli in Hamburg vorgestellt
Die Hochbahn hat sich dagegen schon für einen Minibus namens „People Mover“ des deutschen Herstellers Holon entschieden. Am 6. Juli soll das Fahrzeug mit Platz für bis zu 15 Passagiere erstmals live in Hamburg gezeigt werden. Es folgen ein Testbetrieb und die nicht ganz unkomplizierte Integration in den HVV-Fahrplan.
Welches Angebot am Ende als erstes eine Zulassung für den regelhaften ÖPNV-Betrieb erhält, ist offen. Aber Falk ist sich sicher: „Wenn die erste Zulassung da ist, wird die Rakete starten.“ Das autonome Fahren sei „keine Evolution“, sondern „die größte Revolution seit der Erfindung des Automobils“, und Hamburg habe gute Chancen, die erste Stadt zu sein, in der das unter realen Bedingungen zum Einsatz komme. Dennoch stelle die Hochbahn derzeit rund 40 neue Fahrerinnen und Fahrer pro Monat ein – etwa zu zwei Dritteln, um altersbedingte Abgänge zu kompensieren und zu einem Drittel für den Kapazitätsausbau, so Falk.
Hochbahn-Chef Henrik Falk geht nach Berlin – Nachfolge noch offen
Der Vorstandschef selbst reißt demnächst eine personelle Lücke: Wie berichtet, wechselt der 52-Jährige, der seit 2016 an der Spitze der Hochbahn steht, zum Januar auf den Chefposten der Berliner Verkehrsbetriebe. Seine Nachfolge ist noch offen. Verkehrssenator Tjarks, der qua Amt auch Aufsichtsratsvorsitzender der Hochbahn ist, will sich zeitnah auf die Suche machen.