Hamburg. Christoph de Vries (CDU) wirft Innenbehörde schwere Versäumnisse vor, die diese nicht auf sich sitzen lassen will. Die Vorwürfe.
An diesem Mittwoch darf sich Christoph de Vries auf einen langen Arbeitstag gefasst machen. Ab 10 Uhr tagt der Ausschuss für Inneres und Heimat des Deutschen Bundestags im Paul-Löbe-Haus in Berlin – und der Hamburger Bundestagsabgeordnete der CDU ist mittendrin statt nur dabei. Zwölf Punkte umfasst die üppige Tagesordnung – und bei zweien davon ist de Vries ganz besonders gefordert.
Unter dem Tagesordnungspunkt (TOP) 6 wird die Bundesregierung und der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz zum Jahresbericht 2022 berichten, bei TOP 10 geht es um einen vereitelten islamistischen Terroranschlag, bei dem Ende April in Hamburg ein 28-jähriger Syrer festgenommen worden war. Unter dem Strich geht es für de Vries an diesem Mittwoch aber vor allem um ein Thema: den Kampf gegen den Islamismus. Oder aus seiner Sicht: den Nicht-Kampf gegen den Islamismus in Hamburg.
Verfassungsschutz: Senat verharmlost die Gefahr des Islamismus, sagt CDU-Politiker
„Bis heute verharmlost der rot-grüne Senat die Bedrohung für unsere liberale, offene Gesellschaft durch den Islamismus als demokratiegefährdendes Phänomen“, sagt der CDU-Politiker, der auf Statistiken aus den Jahresberichten des Verfassungsschutzes verweist. So sei die Zahl der Islamisten bundesweit rückläufig (minus drei Prozent), während in Hamburg ein deutlicher Zuwachs (plus sechs Prozent) zu verzeichnen sei. 1750 der bundesweit 27.480 Islamisten kommen von der Elbe, ein Großteil von ihnen (1450) gelten als gewaltorientiert.
„Hamburg gilt in den Sicherheitsbehörden seit geraumer Zeit als Islamistenhochburg in Deutschland“, sagt de Vries, der sich vor allem darüber ärgerte, dass Innensenator Andy Grote (SPD) bei der Vorstellung des Jahresberichtes des Hamburger Verfassungsschutzes den Rechtsextremismus als die größte Gefahr bezeichnet hatte. „So richtig diese Aussage zum Beispiel für die ostdeutschen Bundesländer ist, so falsch ist sie für Hamburg. Das islamistische Personenpotenzial ist mehr als viermal so hoch wie das rechtsextremistische Personenpotenzial in unserer Stadt“, sagt der studierte Soziologe.
2022 gab es „nur“ eine Gewalttat mit islamistischem Hintergrund
De Vries hat recht und unrecht zugleich. Tatsächlich gibt es deutlich mehr Islamisten als Rechtsradikale in Hamburg – allerdings ist die politisch motivierte Kriminalität deutlich geringer. Laut Polizei hat es 2022 insgesamt 56 Gewaltdelikte in Hamburg mit einem rechtsradikalen Hintergrund gegeben, während im gesamten Jahr lediglich eine Gewalttat mit islamistischen Hintergrund gezählt wurde. Mit anderen Worten: Es gibt tatsächlich mehr Islamisten, die aber seltener Straftaten verüben.
Auch in der Innenbehörde ist man verwundert über die Fundamentalkritik. Es wird daran erinnert, dass der Hamburger Verfassungsschutz gerade erst eine „Spezialeinheit Islamismus“ analog zur bestehenden „Spezialeinheit Rechtsextremismus“ aufgebaut habe, beim Vorstellen des Jahresberichts habe man vor der zunehmenden Gefahr von Islamisten gewarnt und sogar explizit auf die salafistische und dschihadistische Szene hingewiesen, die man natürlich im Fokus habe.
Trotzdem bleibt de Vries, der vor Kurzem vom Iran auf eine Sanktionsliste gesetzt wurde, bei seiner Position: „Für eine wirkungsvolle und glaubwürdige Bekämpfung des Islamismus in Hamburg brauchen wir einen grundlegenden Kurswechsel. Sämtliche finanzielle Zuwendungen, Förderungen, Vertragsbeziehungen und Kooperationen mit islamischen Vereinen und Verbänden, die Beobachtungsgegenstand der Verfassungsschutzämter sind, müssen überprüft und eingestellt werden.“
Hamburger Verfassungsschutz feierte vor Gericht Erfolg gegen das IZH
Dabei konnte der Hamburger Verfassungsschutz gerade erst in der vergangenen Woche einen Erfolg feiern, als das Verwaltungsgericht bestätigte, dass der Trägerverein der Imam Ali Moschee, das Islamische Zentrum Hamburg e.V. (IZH), mit einer Unterlassungsklage gegen seine Erwähnung in den Verfassungsschutzberichten des Landesamtes für Verfassungsschutz Hamburg der Jahre 2018 und 2019 weitgehend gescheitert ist. „Das IZH ist eine eindeutig extremistische und demokratiefeindliche Institution“, sagte Innensenator Grote – und fühlte sich bestätigt: „Diese langjährige Bewertung des Hamburger Verfassungsschutzes hat das Verwaltungsgericht in seiner heutigen Entscheidung bestätigt.“
Trotzdem bleibt das Thema auch auf der Tagesordnung des Hamburger Verfassungsausschusses, der an diesem Donnerstag ab 14 Uhr tagt. „Schluss mit der inakzeptablen Toleranz gegenüber dem Islamischen Zentrum Hamburg: Staatsvertrag mit den muslimischen Verbänden aussetzen!“, heißt der Antrag, den die CDU eingereicht hat. Zudem wurde am Ende der vergangenen Woche eine Kleine Anfrage beantwortet, in der die CDU nach digitalen Streetworkern für Jugendliche gegen islamistische und radikale Inhalte im Netz gefragt hatte.
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De Vries geht noch weiter. Er sagt: „Wichtig wäre die Einrichtung eines Islamismus-Lehrstuhls an der Universität Hamburg, der sich mit den ideologischen Ausprägungen des Islamismus, seinen Strukturen, Vernetzungen und Finanzierungen wissenschaftlich auseinandersetzt.“ Zudem fordert er eine breit angelegte Schulstudie über die Erfahrungen und Probleme von Lehrkräften mit islamistischen Einflüssen und Formen islamistisch motivierten Verhaltens. „Mit einer wissenschaftlichen Befragung von Lehrkräften könnte erforscht werden, inwiefern der Islamismus Einfluss auf Kinder, Jugendliche und Heranwachsende nimmt beziehungsweise schon genommen hat.“
Verfassungsschutz: Laut de Vries würden auch viele Muslime härtere Gangart unterstützen
Wie schnell und warum sich Jugendliche radikalisieren, wird derzeit auch am Hanseatischen Oberlandesgericht verhandelt. Dort stehen seit Wochen zwei Teenager vor Gericht, weil sie innerhalb kürzester Zeit zu Anhängern der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) wurden und einen Terroranschlag planten. Sechs von bislang sieben Prozesstagen fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Bei den Ausschusssitzungen zum Thema Islamismus ist die Öffentlichkeit in dieser Woche dagegen explizit eingeladen. „Die Bekämpfung des Islamismus sind wir nicht nur unseren freiheitlich-demokratischen Idealen und Werten schuldig, sondern auch dem größten Teil der Musliminnen und Muslime in Hamburg, die diese Ideale mit uns teilen“, sagt Christoph de Vries. „Denn es sind gerade auch liberale, säkulare Musliminnen und Muslime, die zu Opfern dieser illiberalen, antidemokratischen Ideologie werden.“