Hamburg. Abdurrahman C. wurde in Hamburg geboren, lebte aber in einer Parallelgesellschaft. Was über ihn und seine Pläne bekannt ist.
„Parallelgesellschaften“, so sagt es der Kriminologe Wolf-Reinhard Kemper von der Leuphana Universität, „sind die beste Voraussetzung, dass man mit dieser Gesellschaft nicht auf einen Nenner kommt.“ Der 20 Jahre alte Abdurrahman C., der offensichtlich in Hamburg einen islamistisch motivierten Terroranschlag verübenwollte, da ist sich Kemper sicher, ist ein Produkt einer solchen Parallelgesellschaft.
Geboren wurde der Deutsch-Marokkaner in Hamburg in dem Jahr, als die Terroranschläge vom 11. September 2001 die Welt erschütterten. Aufgewachsen ist er in Billstedt, in einer islamistisch orientierten Familie. Sein Vater Hamid war als extremer Islamist bekannt und einer der führenden Köpfe in der Al-Quds-Moschee am Steindamm, in der die Terrorgruppe um Mohammed Atta betete und Kontakte hatte.
Vereitelter Anschlag in Hamburg: Abdurrahman C. wuchs mit dem Terror auf
Abdurrahman C., der in Billstedt bei seinen Eltern aufwuchs, ist – auch da ist sich Kemper sicher – nicht gezielt zum Terroristen erzogen worden. „Er wird seinen Hass und ein genaues Feindbild über die Jahre aufgebaut haben“, so Kemper. Und auch das sagt der Kriminologe: „Es kommt nicht darauf an, wo du aufgewachsen bist, sondern wer dich erzogen hat.“
Die Voraussetzungen in Hamburg waren offenbar gut, um sich zu einem Terroristen zu entwickeln. Mittlerweile weiß man, dass der 20-Jährige zu Personen, die mit der Terrorgruppe um Mohammed Atta in Verbindung gebracht werden, und selbst zu deren Söhnen, die ebenfalls in islamistischen Kreisen sind, Kontakt hatte. Abdurrahman C. war oft in der Taqwah-Moschee an der Anzengruberstraße, die als inoffizieller Nachfolger der Al-Quds-Moschee gilt und bei den Sicherheitsbehörden für ihre besonders extremistische Klientel berüchtigt ist.
Hamburg: Islamistische Szene ist ein großes Problem
„Es ist erschreckend, wenn man feststellen muss, dass 20 Jahre nach den Anschlägen vom 11. September immer noch Teile der Strukturen von damals in Hamburg vorhanden sind“, sagt Thomas Jungfer, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft.
Tatsächlich ist die islamistische Szene, auch wenn sie in diesem Jahr um zehn Personen auf 1650 geschrumpft ist, eines der größte Probleme der Stadt. Torsten Voß, Leiter des Hamburger Verfassungsschutzes, sagt: „Die Beobachtung und Aufklärung der islamistischen Szene ist und bleibt ein Schwerpunkt des Hamburger Verfassungsschutzes.“
Eine besondere Gruppe machen die Salafisten aus, zu denen die Dschihadisten, das ist die Bezeichnung für gewaltorientierte Salafisten, gehören. 268 Köpfe, darunter 30 Frauen, ist deren Szene in Hamburg nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes stark. Es sind nicht nur junge „Heißsporne“, die dazugezählt werden. Ganz im Gegenteil. Die Masse, 205, sind älter als 25. Zwar bilden Deutsche mit 144 die größte Gruppe der Dschihadisten. Das ist aber reine Pass-Zählerei. 96 haben eine weitere Staatsangehörigkeit. 23 sind Syrer, 18 Türken, 16 Afghanen und 13 Somalier. Der Rest verteilt sich auf die übrige Welt.
- Polizei vereitelt Terroranschlag – SEK nimmt Islamist fest
- AfD legt Forderungskatalog zu „Islamismus in Hamburg“ vor
Extremisten wissen, wie man sich tarnt
Eine weitere, besorgniserregende Erkenntnis der Sicherheitsbehörden: Islamistische Extremisten in Hamburg, gerade jüngere, schließen sich zusammen. Es wird kein Unterschied zwischen Taliban und IS gemacht, die sich eigentlich „spinnefeind“ sind. „Man schaut sich IS-Propagandavideos an, freut sich aber gleichzeitig über den Sieg der Taliban in Afghanistan“, sagt ein Insider.
Laut Kemper werden die Betreffenden von Terroranschlägen „inspiriert“. „Als junger Mensch in so einer Szene identifiziert man sich schnell mit so einem Täter.“ Dabei müssen Extremisten nicht auffallen. „Man lernt auch, wie man sich tarnt. Als Fisch schwimmt man mit dem Wasser und nicht dagegen an.“
„Sich zu einem Extremisten zu entwickeln ist ein jahrelanger Prozess“
Da gilt auch für Abdurrahman C., der beispielsweise wie ein ganz normaler Junge Judosportler war und 2011 mit seinem Team Hamburger Mannschaftsmeister wurde. Ob und wie islamistisch geprägt er damals bereits war, lässt sich nicht sagen. „Sich zu einem Extremisten zu entwickeln ist oft ein jahrelanger Prozess“, so Kemper. Auch ist unklar, welche Wirkung der Aufenthalt des Jungen in der Heimat seines Vaters, Marokko, spielte, in die die Familie 2016 zurückging.
In Marokko ging Abdurrahman C. weiter zur Schule und machte dort seinen Abschluss, bevor er im November 2020 nach Deutschland zurückkehrte, um in Wismar zu studieren. Er kam bei einem Bekannten seines extremistischen Vaters unter, nutze ihn aber nur als Postadresse. Tatsächlich lebte er in der Wohnung seines ebenfalls extremistischen Cousins, der in die Türkei gegangen war, und bereitete dort den Bau einer Nagelbombe vor. Das Studium, so weiß man heute, verfolgte er nie.
Anschlag in Hamburg: Entscheidender Tipp kam von Amerikanern
Dass Abdurrahman C. gestoppt wurde, hat man den Amerikanern zu verdanken. Die bemerkten seine Bemühungen um die Beschaffung von Waffe und Handgranaten im Darknet und informierten das Bundeskriminalamt. Dass das zunächst nicht publik wurde und es so aussah, als wollten sich deutsche Behörden mit dem Erfolg „schmücken“, erklärt ein Insider so: „Es ist die Regel, dass man nicht über die Beteiligung anderer Geheimdienste spricht, wenn die nicht ihr Okay gegeben haben.“
Das Beispiel zeige aber, wie gut die internationale Zusammenarbeit funktioniere. Und auch darüber wurde nicht gesprochen: Bei den Sicherheitsbehörden geht man davon aus, dass erst mit der im Darknet beschafften Waffe und den Granaten Menschen angegriffen und verletzt werden sollten, um dann die Nagelbombe zu zünden. Wenn Rettungskräfte und Helfer vor Ort sind.