Hamburg. Bis 2026 sollen alle Bürger „grundstücksscharf“ wissen, ob für sie Fernwärme infrage kommt. SPD-Vorstoß ein Affront gegen Grüne.

Kaum etwas hat die Bürgerinnen und Bürger in den vergangenen Monaten so verunsichert wie das neue Heizungsgesetz der Bundesregierung. Muss ich meine Heizung austauschen? Wenn ja, schon 2024 oder doch erst später? Und: Muss es künftig eine Wärmepumpe sein oder darf ich auch weiterhin mit Gas oder Öl heizen? Solche und ähnliche Fragen beschäftigten Millionen Eigenheimbesitzer und Vermieter. –

Um die Sorgen der Bevölkerung zu mildern, hat die Ampel-Koalition das Gebäudeenergiegesetz (GEG), wie es offiziell heißt, kräftig überarbeitet, bevor es am Donnerstag vom Bundestag beschlossen werden soll. Zentrale Änderung: Alle Kommunen werden zunächst verpflichtet, bis spätestens 2028 (Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern sogar schon bis 2026) eine Wärmeplanung vorzulegen, aus der hervorgeht, welche Gebiete mit Fernwärme versorgt werden können. Erst auf dieser Basis sollen Besitzer von Bestandsimmobilien entscheiden, wie sie künftig heizen.

Heizungsgesetz: Hamburgs SPD will, dass alle Bürger bis 2026 Klarheit haben

Die Pflicht, eine Heizung zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien zu betreiben, gilt von 2024 an zunächst nur für Neubauten. Die SPD-Bürgerschaftsfraktion in Hamburg begrüßt diese Änderungen zwar. Dennoch haben die Sozialdemokraten Sorgen, dass der immer noch herausfordernde Prozess die Bürger überfordern könnte. Daher haben sie am Montagabend ein Eckpunktepapier mit dem Titel „Wärme- und Stromplanung: 33 Punkte für mehr Tempo, Transparenz und Transformation“ beschlossen, in dem sie skizzieren, wie sie sich die Wärmewende vorstellen.

Mit dem grünen Koalitionspartner abgestimmt ist der siebenseitige Vorstoß, der dem Abendblatt vorliegt, nicht – das wird schnell deutlich. Denn abgesehen von einleitender Kritik an der Bundesregierung („Wir brauchen keine Gesetze der Verunsicherungen“), liest sich das Papier wie die Aufforderung an Umwelt- und Energiesenator Jens Kerstan (Grüne), seinen Job zu machen.

Sozialdemokraten fordern Analysen zu Wärme-, Strom- und Kälteversorgung

„Zügige Vorlage einer grundstücksscharfen, flächendeckenden und systematischen Bestandsanalyse über die gesamte Hamburger Wärmeversorgung (,Wärmekataster’)“, lautet die erste von 33 Forderungen. Zudem wird analog dazu auch eine Bestandsanalyse der Hamburger Stromversorgung („Stromkataster“), der Kälteversorgung- und Kältebedarfe („Kälteatlas“) sowie der Abwärmequellen („Abwärmeatlas“) gefordert.

Darauf aufsetzend pochen die Sozialdemokraten darauf, dass für alle Bereiche jeweils eine „grundstücksscharfe, flächendeckende und systematische Potenzialanalyse“ erstellt wird. Beim Strom zielt das vor allem darauf ab, dass Wärmepumpen und E-Autos viel Strom benötigen und gesichert werden muss, dass überhaupt flächendeckend genug Elektrizität zur Verfügung steht, wenn diese Geräte und Fahrzeuge künftig zigtausendfach angeschafft werden.

Hamburgs Energieplanung soll „die gesamte Stadt im Blick haben“

Im Bereich Wärme geht es nicht nur darum, was künftig wo möglich ist, sondern auch darum, „rechtssicher darzustellen“, in welchen Gebieten es keine Fernwärme geben wird, so das SPD-Papier. Mit anderen Worten: Spätestens Ende 2026 sollen alle Hamburger Klarheit darüber haben, was in ihrer Immobilie geht und was nicht geht.

Ganz wichtig ist den Sozialdemokraten, dass die kommunale Wärme- und Kälteplanung das gesamte Stadtgebiet flächendeckend umfasst und dabei außer dem städtischen Fernwärmenetz auch von Privatunternehmen betriebene Nahwärmenetze einschließt, wie es sie in Rahlstedt und im Raum Bergedorf gibt. „Unsere zentrale Forderung ist, dass wir die gesamte Stadt im Blick haben müssen“, sagte SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf.

Hamburger SPD fordert „Wärmeforen“ in Quartieren und ein Onlineportal für Bürger

„Dabei geht es um das städtische Fernwärmenetz, aber auch um die privaten Nahwärmenetze und um Bereiche, die noch gar keine Wärmenetze haben – auch für die müssen wir Lösungen finden. Das Ganze muss sehr transparent geschehen, und wir müssen die Bürger mitnehmen“, so Kienscherf. In dem Papier werden daher auch „regelmäßige öffentliche Beteiligungsformate (z. B. Quartierswärmeforen) in allen Bezirken“ sowie der „Aufbau eines umfassenden Online-Portals“ gefordert.

Dirk Kienscherf, SPD-Fraktionschef, steht hinter dem Vorstoß zum Heizungsgesetz.
Dirk Kienscherf, SPD-Fraktionschef, steht hinter dem Vorstoß zum Heizungsgesetz. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Die Diskussion um den „unzureichenden und jetzt korrigierten“ Entwurf des GEG, so Kienscherf, habe gezeigt, „dass wir die Menschen in unserem Land nicht weiter verunsichern dürfen, sondern durch mehr Transparenz, mehr Klarheit, mehr Unterstützungen hinsichtlich der Umsteigemöglichkeiten hin zu fossilfreien oder -armen Lösungen mehr Akzeptanz vor Ort schaffen müssen“.

Kerstan der „wahre Wirtschaftssenator“? Stirnrunzeln bei den Sozialdemokraten

Der SPD-Fraktionschef räumt zwar ein, dass die Erstellung einer Wärmeplanung „schon seit Jahren Bestandteil des geltenden Hamburger Klimaplans“ sei und dass Umweltsenator Kerstan an dem Thema auch erkennbar dran sei. Dass die Sozialdemokraten in diesem Zusammenhang ihren erfolgreichen Wahlkampfslogan „Die ganze Stadt im Blick“ reaktivieren – der im Umkehrschluss immer unterstellte, dass die Grünen und andere Parteien diesen „Hamburg-Blick“ nicht haben – und zudem „mehr Tempo“ fordern, darf jedoch als gezielter Affront gegen den Koalitionspartner gewertet werden.

Kienscherf wies dies zwar zurück und erinnerte daran, dass die Grünen doch auch Papiere zur Stadtentwicklung oder zur Wirtschaftspolitik verfassen würden, für die im Senat eigentlich die SPD zuständig sei. Doch dass Kerstan sich kürzlich auf dem Grünen-Parteitag als der „wahre Wirtschaftssenator“ bezeichnet hatte, weil viele Firmen in Energiefragen zu ihm kämen, hat in der SPD mehr als nur ein Stirnrunzeln ausgelöst.

Heizen: Bis 2030 sollen 35 Prozent des Wärmebedarfs über Fernwärme gedeckt werden

Immerhin: Einig ist man sich bei Rot-Grün, dass mit Blick auf den Klimawandel an der Wärmewende kein Weg vorbeiführt. So bekennt sich die SPD in ihrem Papier auch zu dem im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziel, bis 2030 mindestens 35 Prozent des Nutzwärmebedarfs in Hamburg über Fernwärme zu decken – derzeit sind es 25 Prozent. Darüber werden nach Angaben der Hamburger Energiewerke gut 250.000 Haushalte mit Wärme versorgt. Zählt man auch Industriebetriebe und andere Großabnehmer hinzu, sind es umgerechnet rund 500.000 Wohneinheiten.

Auch die SPD-Forderung, dass der Bund den Ausbau der Wärmenetze in den Kommunen fördern müsse, dürfte bei den Grünen auf Zustimmung stoßen. Bislang plant die Ampel nur, 30 bis 70 Prozent der Investition beim Kauf einer klimafreundlicheren Heizung finanziell zu unterstützen.

Andere Forderungen könnten die Grünen etwas verwundern. Ein „Wärmekataster“ etwa gibt es bereits, wenn auch nicht so detailliert, wie die Sozialdemokraten es fordern. Kerstan hatte zudem kürzlich noch für diesen Sommer eine digitale Karte angekündigt, aus der ablesbar sein soll, wo künftig Fernwärme möglich sein werde. Der Umweltsenator setzt dabei außer auf Industrie-Abwärme auch auf Flusswärmepumpen, Aquiferspeicher im Boden und Geothermie.