Hamburg. Nach Debatten über „Versagen der Stadt“: Geschichtsort in der City eröffnet nun mit Programm und Besuch des „Seufzergangs“.

  • Im Hamburger Stadthaus befand sich während der NS-Zeit eine Zentrale des Terrors
  • Nun ist in dem Gebäude an der Stadthausbrücke eine Gedenkstätte eingerichtet und eröffnet worden
  • Die Besucher sollen an diejenigen erinnert werden, die dort Opfer der Gestapo wurden

Es ist ein Ort, auf den Hamburg lange gewartet hat. Viel zu lange, wie Kultursenator Carsten Brosda (SPD) am Montagmittag zugeben musste. Deshalb sei es auch egal und vielleicht sogar gut, dass noch Glühbirnen und Kabel aus der Wand ragen oder Türen und Lampenschirme fehlen. „Es ist, glaube ich, ganz wichtig“, so sagte Brosda im Stadthaus an der Stadthausbrücke, „dass wir diesen Ort heute eröffnen“ und „die Debatten über das Versagen der Stadt damit beenden“.

Denn dort, wo sich mit den Stadthöfen heute ein Einkaufszentrum in bester Innenstadtlage befindet und schicke grüne und cremefarbene Fliesen Touristen zum Selfiesmachen einladen, sollen Besucherinnen und Besucher sich künftig versammeln, um zu lernen, nachzudenken oder sich zu erinnern. Sich daran erinnern, dass sich hier eine Zentrale des Terrors befand, von der aus die Geheime Staatspolizei (Gestapo) und die Kriminalpolizei während des NS-Regimes Tausende Männer und Frauen folterten, auf unwürdigste Art und Weise verhörten oder in den sicheren Tod schickten.

Stadthaus Hamburg: Jetzt auch Veranstaltungen und Seminare in Gedenkstätte

Bis 1943 nämlich war das Stadthaus Sitz des Hamburger Polizeipräsidiums, der Leitstellen von Gestapo und Kriminalpolizei und die Beamten dort zuständig für die Überwachung und Verfolgung des politischen Widerstands. Neben politischen Widersachern zählten auch Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma sowie Homosexuelle zu den Opfern, die allesamt als „Berufsverbrecher“ oder „asozial“ galten. Auch der Kriegseinsatz norddeutscher Polizisten in Polen und in der Sowjetunion und deren Mitwirkung am Völkermord wurden von der Hamburger Polizeileitung im Stadthaus organisiert und mitverantwortet.

Eindrucksvoller Geschichtsort: Der „Seufzergang“ im Keller des Stadthauses, durch den Polizeibeamte die Gefangenen von ihren Arrestzellen zu den Vernehmungszimmern brachten.
Eindrucksvoller Geschichtsort: Der „Seufzergang“ im Keller des Stadthauses, durch den Polizeibeamte die Gefangenen von ihren Arrestzellen zu den Vernehmungszimmern brachten. © dpa | Christian Charisius

Dass es nun Jahrzehnte gebraucht hat, eine Gedenkstätte in dieser Form zu schaffen, dazu verlor Brosda nicht allzu viele Worte. Auch wollte der Kultursenator „nicht näher darauf eingehen“ und vermied es, konkrete Worte zu benutzen, doch sei es besonders in Anbetracht der aktuellen politischen Situation „wichtig, sich immer wieder zu erinnern, wozu das führen kann, wenn man es geschehen lässt“. Brosda spielte damit wohl indirekt auf die hohen Zustimmungswerte zur AfD an sowie auf die Wahl des ersten AfD-Bürgermeisters am vergangenen Wochenende in Sachsen-Anhalt.

Wie eine Blutspur: Hamburger Kunstwerk „Stigma“ lange ohne Hinweis

Zwar erinnert seit 1981 eine Gedenktafel im Eingangsbereich des Gebäudes der Stadthausbrücke 8 an die Nutzung des Gebäudes durch die Gestapo. Mit dem Verkauf des Gebäudes im Jahr 2009 durch den CDU-geführten Senat an die Quantum Immobilien AG Hamburg übernahm der Investor aber die Verpflichtung, in den Stadthöfen einen Lernort zu schaffen und den Betrieb sicherzustellen. Zunächst war damit von 2018 bis 2022 eine Dauerausstellung auf einer mit einer Buchhandlung und einem Café geteilten Fläche in der Stadthausbrücke 6 umfasst. Seit die Buchhandlung „Lesesaal“ aber im vergangenen Jahr schloss, fehlte die Gedenkstätte ganz.

Auch das Kunstwerk „Stigma“, eine großflächige Bodenskulptur des Künstlerinnenduos missing icons aus weichem, hellrotem Gummigranulat auf rund 200 Meter Pflaster der Straße Stadthausbrücke, verblieb gut ein ganzes Jahr lang ohne Beschilderung oder einen Hinweis, worum es sich hierbei eigentlich handelt. Wie eine Blutspur soll das Kunstwerk auf das Leiden der NS-Opfer hinweisen. Zwar hängt seit Ende vergangener Woche ein DIN-A4-großes rotes Schild an einem Pfeiler unter einem Straßenschild, doch wer das nicht weiß, der dürfte wohl daran vorbeilaufen.

Gedenkstätte: Tag der offenen Tür am 4. Juli im Stadthaus Hamburg

Um jedoch mehr Besucherinnen und Besucher auf die Gedenkstätte aufmerksam zu machen, veranstaltet die Stiftung Hamburger Gedenkstätten, die seit vergangenem Herbst Träger dieses Geschichtsortes ist, am 4. Juli einen Tag der offenen Tür mit Kurzführungen zwischen 10 und 16 Uhr. Künftig ist der Gedenkort montags bis sonnabends zwischen 10 und 17 Uhr geöffnet. Auch sind Veranstaltungen und Seminare geplant. Man wolle „Menschen erreichen, die sonst nicht in Gedenkstätten kommen“, sagte Oliver von Wrochem, Vorstand der Stiftung.

Kultursenator Carsten Brosda (SPD, r.), mit Alyn Beßmann, Leiterin des Geschichtsorts Stadthaus, und Oliver von Wrochem, Leiter der Stiftung Hamburger Gedenkstätten, im Geschichtsort Stadthaus.
Kultursenator Carsten Brosda (SPD, r.), mit Alyn Beßmann, Leiterin des Geschichtsorts Stadthaus, und Oliver von Wrochem, Leiter der Stiftung Hamburger Gedenkstätten, im Geschichtsort Stadthaus. © dpa | Christian Charisius

Neben der Dauerausstellung „Das Stadthaus im Nationalsozialismus: Eine Zentrale des Terrors“ und einer Ausstellung zur Bau- und Nutzungsgeschichte kann auch der sogenannte Seufzergang – ein unterirdischer Gang über das Bleichenfleet – besichtigt werden, durch den die drangsalierten Gefangenen von den Polizeibeamten aus den Arrestzellen zu den Vernehmungszimmern geführt wurden. An einer Hörstation berichten ehemalige Gefangene hier über die Verhörmethoden und ihre erlittenen Misshandlungen im Stadthaus.

Finanziert wurde der Umbau des Hauses mit mehr als 100.000 Euro durch die Stadt. Auch die jährlichen 139.000 Euro Betriebskosten, die laut Brosda infolge der Inflation durchaus auch höher ausfallen könnten, übernimmt die Stadt. Um eine dauerhafte Nutzung der Räume für den Geschichtsort sicherzustellen, hat die Kulturbehörde mit dem Investor nun die Vereinbarung getroffen, die Räume für vorerst 20 Jahre mietfrei zu nutzen und bei Bedarf um jeweils zehn Jahre zu verlängern.