Hamburg. Zentrale des Nazi-Terrors in Hamburg befand sich im Stadthaus. Kunstwerk sollte an Leiden erinnern – doch ist längst verblasst.

Es sind weniger als zehn Männer und Frauen, die an der Ecke Stadthausbrücke/Neuer Wall (Neustadt) Broschüren verteilen und versuchen, Vorbeieilende ins Gespräch zu ziehen. Die kleine Gruppe hält – wie an jedem Freitag seit vier Jahren – eine Mahnwache vor dem wuchtigen Gründerzeit-Gebäude mit der markanten Eingangsrotunde.

Hier – im Stadthaus – war von 1933 bis 1943 der Sitz des Gestapo-Hauptquartiers sowie der Ordnungs-, Kriminal- und Sicherheitspolizei. Der Gebäudekomplex, der sich mit seinen Hinterhöfen fast bis zu den Großen Bleichen erstreckt, war die Zentrale des Nazi-Terrors in Hamburg sowie weiter Teile Norddeutschlands.

Stadthaus Hamburg: Früher Ort der Folter, heute Einkaufsmeile

In den Kellern des Stadthauses wurden Tausende Nazi-Gegner gefoltert und etliche ermordet. Die Initiative Gedenkort Stadthaus, die die Mahnwachen organisiert, fordert einen würdigen Gedenk- und Erinnerungsort im Stadthaus, der die Verbrechen der Täter und die Leiden der Opfer in den Blick nimmt. Das ist auch fast 78 Jahre nach dem Ende der Nazi-Herrschaft immer noch nicht geglückt.

Mahnmal Stadthausbrücke , dieser Bereich soll auch gestaltet werden als Kunstwerk :
Mahnmal Stadthausbrücke , dieser Bereich soll auch gestaltet werden als Kunstwerk : "Stigma" © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Rückblende: Im Juni 2019 herrschte nach Jahren des erinnerungspolitischen Stillstands eine gewisse Zuversicht. Kultursenator Carsten Brosda (SPD) präsentierte den Siegerentwurf für eine Art Mahnmal auf dem Fußweg vor dem Stadthaus-Komplex. Die Hamburger Künstlerinnen Ute Vorkoeper und Andrea Knob­loch wollten das Pflaster mit Presslufthämmern aufreißen und in den freigeschlagenen, unterschiedlich großen Flächen und den sie verbindenden Adern eine federnde rote Tartanfüllung einfügen.

Mahnmal auf Pflaster sollte an Leiden der NS-Opfer erinnern

Auf einer Länge von rund 100 Metern vom Neuen Wall bis zum kleinen Dokumentationszentrum mit Buchhandlung und Café sollte das Kunstwerk „Stigma“ symbolisch an die Leiden der NS-Opfer erinnern und mit der roten Farbe „eine Ahnung von Schmerz“ transportieren, wie eine der Künstlerinnen formulierte.

Das Mahnmal auf dem Pflaster sollte einen wirkungsvollen Kontrast zu dem 2009 von der Stadt an einen Investor verkauften Stadthaus-Komplex darstellen, der inzwischen saniert und zur Einkaufsmeile geworden war und jetzt „Stadthöfe“ heißt. „Wir wollen eine künstlerische Markierung des Ortes in der Öffentlichkeit erreichen.

Hamburg: Stadthaus hat "verdrängte Geschichte"

Es geht darum, noch deutlicher zu machen, welche verdrängte Geschichte der Ort und dieses Haus hat“, sagte Brosda damals. „Wenn die Stadt den Mut hat, den Entwurf umzusetzen, dann ist das etwas, das wirklich auf das Stadthaus hinweist. Ich hoffe nicht, dass es noch irgendeinen technischen Bedenkenträger gibt, der etwas dagegen hat“, fügte Prof. Johannes Tuchel, Vorsitzender des Preisgerichts und Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, hinzu.

Tuchels Skepsis sollte sich bewahrheiten. Im Juni 2022, mit erheblicher Verspätung, konnten die Künstlerinnen ihr Werk zwar beenden. Aber statt der 100 Meter ist das „Stigma“ nun nur knapp 50 Meter lang und führt nicht bis zur kleinen Dokumentationsstätte in einem Gebäudeteil, der mit dem Fußweg davor auf der Brücke über das Bleichenfleet steht. Offizieller Grund: Dort liegen direkt unter dem Pflaster Versorgungsleitungen, die durch die erforderlichen Bauarbeiten für das Kunstwerk beschädigt worden wären.

Das verblasste Kunstwerk „Stigma“ vor dem Stadthaus.
Das verblasste Kunstwerk „Stigma“ vor dem Stadthaus. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Stadthausbrücke: Kein Schild erklärt Kunstwerk und weist auf NS-Geschichte hin

Ein halbes Jahr nach der Fertigstellung fehlt jede Erklärung zu dem Kunstwerk. Auch am alten Haupteingang zum Stadthaus Ecke Neuer Wall gibt es bislang kein Schild und keine Tafel, die auf die NS-Geschichte des Ortes hinweisen. Und selbsterklärend sind die roten, inzwischen aufgrund der Witterung stark verblassten Flächen nicht, zumal die Hinführung zur Dokumentationsstätte fehlt, die nach dem Auszug der Buchhändlerin Anfang 2022 in die Regie der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen (SHGL) übergegangen ist.

Eine Beschilderung des Kunstwerks ist immerhin geplant. „Die Behörde für Kultur und Medien und die SHGL haben zusammen mit den Künstlerinnen verschiedene mögliche Formen der Beschilderung oder Erläuterung des Kunstwerks entwickelt, die im Januar mit den in einem Beratungsnetzwerk vertretenen Verbänden diskutiert werden sollen“, sagt Anja Bornhöft, stellvertretende Sprecherin der Kulturbehörde. Denkbar sei unter anderem, dass eine Bodenplatte mit erläuterndem Text in das Pflaster eingelassen wird.

Über Ausstellung zur Dokumentation wurde gestritten

Lange war über die Ausstellung zur Dokumentation der im Stadthaus verübten NS-Verbrechen und zur Erinnerung an die Opfer gestritten worden. Den Vorschlag der Initiativen, die benachbarte sogenannte Wagenhalle mit mehr als 700 Quadratmetern zu nutzen, hatten die neuen Eigentümer der Stadthöfe abgelehnt.

Statt dessen bleibt es bei dem etwa 240 Quadratmeter großen Raum, in dem vorher neben der Ausstellung auch die Buchhandlung und das Café untergebracht waren. Hier soll der „Geschichtsort Stadthaus“ in der Trägerschaft der SHGL entstehen, für dessen Einrichtung und Betrieb die Bürgerschaft bis zu 169.500 Euro bereitgestellt hat. Dazu gehört auch der allerdings nicht öffentlich zugängliche „Seufzergang“ unter den Brückenarkaden, über den die Gestapo die Inhaftierten einst von ihren Zellen zu den Vernehmungen brachte.

Stadthöfe: Neues Nutzungskonzept bereits entwickelt

Laut SHGL ist mittlerweile ein Nutzungskonzept entwickelt worden, das bis Sommer 2023 realisiert werden soll. „Geplant sind Umbauten zu einem Seminarraum, Büroräumen und einer Fläche für temporäre Ausstellungen, die auch für Abendveranstaltungen genutzt werden kann“, sagt SHGL-Sprecherin Iris Groschek. Daneben gibt es die Dauerausstellung, die allerdings seit der Schließung der Buchhandlung nicht mehr frei zugänglich ist, sondern nur nach Anmeldung oder bei sogenannten Themenrundgängen.

Tuchel hatte bei der Einweihung des Kunstwerks „Stigma“ das Konzept der SHGL ausdrücklich gelobt. „Aber reicht der Raum dort wirklich für eine dem Ort angemessene historisch politische Bildungsarbeit aus?“, hatte Tuchel gefragt und alle Beteiligten aufgefordert: „Streiten Sie weiter, engagieren Sie sich, machen Sie das Stadthaus zu einem Ort, an dem so gute und qualifizierte Arbeit wie in der Gedenkstätte Neuengamme möglich sein wird.“ Es sieht so aus, als ob die Mahnwachen vor dem Stadthaus noch länger abgehalten werden müssen.