Hamburg. In den heutigen “Stadthöfen“ koordinierten Nazis ihre Verbrechen. Dauerausstellung gibt Einblicke in das dunkle Kapitel der Stadt.
Sie wurden nur 22 und 31 Jahre alt. Erika Schulz wuchs in einer sozialdemokratisch geprägten Familie in Barmbek auf. Nach der Schule lernte sie Verkäuferin. Werner Etter machte eine Lehre als Orthopädie-Mechaniker und beteiligte sich am Jugendwiderstand in Uhlenhorst-Winterhude. 1941 heirateten die beiden.
1944 versteckten Erikas Eltern einen Deserteur. Der flüchtige Soldat stand aber unter Beobachtung der Gestapo. Die gesamte Familie Schulz wurde verhaftet, ebenso Werner Etter und mehrere Freunde. Etter wurde am 19. Februar 1945 im Zuchthaus Brandenburg-Görden enthauptet, Erika Etter am 22. April 1945 im Konzentrationslager Neuengamme erhängt.
Linkspartei bezeichnete das Konzept als „armselig und peinlich“
Die beiden sind nur zwei der unzähligen Opfer, die von den Nationalsozialisten misshandelt, gefoltert und ermordet wurden. Auch Prominente wie der Schriftsteller Ralph Giordano, Theaterintendantin Ida Ehre und Dagobert Biermann, der Vater von Liedermacher Wolf Biermann, wurden hier verhört: Seit Mittwoch erinnert eine neue Dauerausstellung im Hamburger Stadthaus an die Zentrale des nationalsozialistischen Terrors im Norden. „Von hier aus sind die Verbrechen geplant und dirigiert worden. Was hier geplant wurde, ist dann in die Züge verladen worden“, sagte Prof. Detlef Garbe, Vorstand der Stiftung Hamburger Gedenkstätten.
Während der NS-Herrschaft war der Gebäudekomplex am Neuen Wall/Stadthausbrücke bis zu seiner Ausbombung 1943 die „Zentrale des Terrors“ im Norden - hier waren das Polizeipräsidium sowie die norddeutschen Leitstellen von Kriminalpolizei und Gestapo untergebracht. Lange Zeit erinnerte nur eine Gedenktafel an den Ort des Verbrechens, seit Mai 2018 befinden sich auf 250 Quadratmetern eine Ausstellung, eine Fachbuchhandlung, über die der öffentliche Zugang gewährleistet ist, und ein Literaturcafé. Linkspartei und Opferverbände wie die Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes hatten das Konzept als „armselig und peinlich“ kritisiert.
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Stimmen von Opfern sind zu hören, die misshandelt wurden
„Die Ausstellung ist so gestaltet und konzipiert, dass sie alle ansprechen kann: Passanten, die eigentlich gar nicht vorhatten, sich mit Erinnerungskultur zu beschäftigen, aber auch diejenigen, die mehr wissen und sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzen wollen“, sagte Oliver Gies, Geschäftsführer der Agentur mgp, die das Konzept zusammen mit der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Christine Eckel entwickelt hat. An aus Stahl gefertigten Tischen können sich Besucher anhand von Infotexten in Deutsch und Englisch, Fotos, Dokumenten und Tablets mit Touchfunktion über die Themen Völkermord, Verfolgte, Polizei im Nationalsozialismus und Widerstand informieren.
Auf der Brückenarkade zeichnen sechs große, beidseitig bedruckte Leuchtstelen die Geschichte und Nutzungen des Gebäudeensembles nach – vom Görtz-Palais bis zu den Stadthöfen heute. Über die Buchhandlung gelangen Besucher außerdem zum einzigen historischen Relikt, das aus der Nazizeit erhalten geblieben ist: ein niedriger Verbindungsgang, der von den im Kellergeschoss gelegenen Arrestzellen zu den Verhörräumen der Gestapo führte. In dem von ehemaligen Gefangenen als „Seufzergang“ bezeichneten Ort sind an Audiostationen die Stimmen von Männern und Frauen zu hören, die im Stadthaus misshandelt wurden – gesprochen von den Schauspielern Eric Schäffler und Mignon Remé.