Hamburg. „Stigma“ soll an die Geschichte des einstigen Polizei- und Gestapositzes erinnern. Der Boden macht eine “physische Irration“ spürbar.
Die strahlende Sommersonne zieht viele Hamburgerinnen und Hamburger am Dienstag ins Freie. Passanten gehen lachend über die Fußwege, Jugendliche fahren mit Rollern entlang der Straßen, Touristen machen Fotos. Am Neuen Wall, Ecke Stadthausbrücke bleiben einige aber auch stehen; sie begutachten die Gummischicht, die in den Boden eingelassen wurde.
„Was soll das?“, wundert sich eine vorbeilaufende Gruppe. Gerade Aussagen dieser Art sollen hier bezweckt werden. Bei der Herrichtung handelt es sich nämlich um das Kunstwerk „Stigma“, das im gnadenlosen Kontrast zur Gegenwart auf die Gräueltaten der Gestapo aufmerksam machen soll.
Mahnmal am Neuen Wall – markant und sichtbar
„Wir haben hier ein sehr markantes und sichtbares Zeichen, das einerseits optisch wirkt, aber vor allen Dingen auch haptisch funktioniert. Der Boden schwingt anders als der Granit drumherum und macht damit auch eine physische Irritation spürbar. Das Gefühl, aus dem Tritt zu kommen und sich zu fragen, was hier los ist, ist das, was erzeugt werden soll“, erklärt Kultursenator Carsten Brosda.
Im Zuge der Erstellung wurde vor dem Hamburger Stadthaus der Fußweg aufgebrochen und entlang der Bruchkanten mit weichem, hellrotem Gummigranulat gefüllt. Die Farbe soll an Haut, Fleisch und Blut erinnern und auf rund 200 Quadratmetern die Optik mehrerer Narben, ein sogenanntes Wundmal, darstellen.
Gestapo hatte im Stadthaus ihr Hauptquartier
„Durch den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg sind viele historische Spuren verdrängt worden. Mit „Stigma“ wollen wir deutlich machen, dass hier etwas geschehen ist, was nicht wiedergutzumachen ist“, erläutern Andrea Knobloch und Ute Vorkoeper, die zusammen das Künstlerduo „missing icons“ bilden. 2019 hatten sie mit ihrem Entwurf den ersten Platz eines extra von der Kulturbehörde ausgerichteten Wettbewerbs belegt.
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Während der NS-Zeit hatte die Gestapo im Stadthaus ihr Hamburger Hauptquartier. Tausende wurden dort gefoltert, viele getötet. Jahrzehntelang war die Erinnerung an die Gestapo- und Polizeiopfer völlig verdrängt worden. Erst auf den Druck einer Protestbewegung hin bewilligte die Stadt 280.000 Euro für die Ausschreibung und Umsetzung eines Kunstprojekts.
"Mahnmal ist das Ergebnis einer langen Debatte"
„Dieses Mahnmal ist das Ergebnis einer langen Debatte, wie man noch stärker auf die Geschichte das Gebäudekomplexes hinweisen kann, als es mit einer kleinen Ausstellungsfläche der Fall wäre“, sagt Detlef Garbe, Vorstand der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen. Weitere Mahnmale seien denkbar: „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass mit zunehmendem zeitlichen Abstand der Wunsch, sich mit belasteter Geschichte auseinanderzusetzen, zugenommen hat.“