Berlin. Hamburger Grünen-Abgeordnete übernimmt Vorsitz der Kinderkommission – und macht schon zu Beginn einiges anders als ihre Vorgänger.
Die parlamentarische Sommerpause des Deutschen Bundestags naht. Das war in der vergangenen Sitzungswoche förmlich spürbar beim Betreten der Parlamentsgebäude. Wie in einem Bienennest tummelten sich hunderte Abgeordnete, Mitarbeiter und Besuchergruppen bei drückender Hitze gleich gegenüber vom Kanzleramt im Paul-Löbe-Haus.
Schnell noch ein lässiges Instagramfoto auf der Treppe hier, kurz bitte noch ein TikTok-Erklärvideo da. Der Druck ist hoch: Fünf Sitzungstage sind es nun noch, in denen der Bundestag die letzten Gesetze verabschiedet, bevor sich die Abgeordneten für knapp zwei Monate in ihre Wahlkreise zurückziehen.
Vor dem Sitzungssaal der Kinderkommission bespricht sich an diesem Mittwochnachmittag gerade Team Fester, welches Video und Foto denn wann wie gepostet und wer alles verlinkt wird. Vor den schwarzen Design-Sesseln stehen Limonaden aufgereiht: Orange, Zitrone, Kola. Während sich Parteikollege und Vizekanzler Robert Habeck nebenan im Plenum der Regierungsbefragung zum Dauerthema Heizung stellt und ordentlich dabei geschwitzt haben dürfte, stößt Emilia Fester in Birkenstocks in die Runde dazu und streckt sich erst einmal.
Bundestag: Grüne Emilia Fester übernimmt Vorsitz der Kinderkommission
Sie ist aufgeregt, sagt sie. Aufgeregt davor, wie die Sitzung wohl verlaufen werde, denn die Hamburger Grünen-Abgeordnete hat seit dem ersten Juni den Vorsitz der Kinderkommission (KiKo), eines Unterausschusses des Familienausschusses, inne – und möchte damit „ein Stück weit Geschichte schreiben“, wie sie sagt.
Doch wie stellt sie das an? Die Kommission, bestehend aus sechs Mitgliedern, darunter neben Fester die SPD-Abgeordnete Sarah Lahrkamp, Paul Lehrieder für die CDU, Matthias Seestern-Pauly für die FDP, Heidi Reichinnek für Die Linke und Gereon Bollmann für die AfD, setzt sich mit den Interessen von Kindern und Jugendlichen auseinander. Eine „ganz spezielle Aufgabe“, wie es auf der Internetseite des Bundestags heißt.
Fester, die sich vor allem als „Stimme der Jugend“ in ihrer Fraktion versteht und laut ihres Instagram-Profils „jung“ neben „feministisch“ und „klimagerecht“ als Attribut versteht, will es es einfach anders machen. Anders als alle ihre Vorgängerinnen und Vorgänger und hat deshalb für alle anstehenden Sitzungen nur Kinder und Jugendliche unter 27 Jahren als Experten eingeladen.
Um nämlich Beschlussempfehlungen, also Entscheidungsvorschläge für Gesetzesabstimmungen, ins Plenum zu geben, hören sich die Abgeordneten in ihren jeweiligen Fachausschüssen regelmäßig Expertenmeinungen an.
„Na, da hast du dir ja etwas vorgenommen“
Zwar habe Fester sich nicht die Mühe gemacht, alle Protokolle der vergangenen 35 Jahre durchzuschauen, wie sie sagt. Doch sei sie der Auffassung, „dass dies noch keine Vorsitzende und kein Vorsitzender der Kommission so gemacht hat“. Die Reaktion der Abgeordneten-Kollegen auf ihre Idee sei gemischt ausgefallen.
Eine Kollegin, die ebenfalls Mitglied der KiKo ist, habe zu ihr gesagt: „Na, da hast du dir ja etwas vorgenommen.“ Männliche Kollegen hätten die Idee hingegen einfach hingenommen und unkommentiert gelassen. Festers Vermutung: Entweder sei es mangelnde Begeisterung oder die Absicht, ihr Vorhaben nicht groß werden zu lassen.
Doch davon hat die 25-Jährige sich nicht entmutigen lassen. Das mache sie ohnehin nicht. Denn, die Kritik die ihr entgegenwehe, so ihre Analyse, sei nicht konkret gegen sie gerichtet, sondern alleinig gegen die Werte, die sie vertrete und komme hauptsächlich vom rechten Rand.
Zurück in den Sitzungssaal: Da neben Fester lediglich Sarah Lahrkamp, Matthias Seestern-Pauly und Paul Lehrieder anwesend waren, der die Sitzung auch noch vorzeitig verlies, herrschte an diesem Nachmittag eine, ja man könnte fast sagen, heimische Atmosphäre. Auch die Abwesenheit des AfD-Politikers schien die Stimmung der Abgeordneten zu heben.
Fester eröffnet Sitzung im Bundestag mit „Ihr Lieben“
Als Fester den öffentlichen Teil der Sitzung mit „Ihr Lieben“ eröffnet und vorher noch kurz abklärt, ob das „Du“ für alle okay sei, musste man sich allerdings zweimal fragen, ob man hier gerade wirklich in einer offiziellen Anhörung eines Unterausschusses des Deutschen Bundestags sitzt.
Auch Maskottchen „Kiko“, ein Stofftier-Adler mit eigenem Namensschild, der vor Fester auf dem Tisch thronte und die Vorstellung der Abgeordneten mit „Hi, ich bin die Sarah und 41 Jahre alt“ oder „Ich bin der Paul und habe zwei Söhne und bin deshalb mit der Jugend gut vertraut“, tat ihr Übriges.
Der Aufwand, der hinter Festers Vorhaben steht, nur Kinder als Sachverständige einzuladen, sei wegen der intensiveren Kommunikation mit den Experten zwar deutlich höher, lohne sich der Abgeordneten zufolge aber. Hinter jeder Sitzung, so betont es Fester, stehe der pädagogische Anspruch, die Kinder entsprechend vorzubereiten und ihnen zu erklären, wie man etwa mit Nachfragen von Abgeordneten umgehe. So sei es auch vor diesem Mittwoch gelaufen.
Und tatsächlich: Die Experten, darunter zwei Mitglieder des Jugendexpertinnenteams der Bertelsmann-Stiftung und der Bezirksjugendsekretär der DGB-Jugend Berlin, sowie zwei junge Frauen vom Selbstvertretungsnetzwerk junger Menschen mit Behinderung, legten einen beeindruckenden Auftritt hin.
Keiner von ihnen war älter als 22. Doch keiner von ihnen schien auch nur ansatzweise nervös davor gewesen zu sein, den Abgeordneten gehörig ins Gewissen zu reden, was ihre Generation sich von der Politik wünscht und entsprechende Forderungen zu formulieren.
Klima, Arbeit, Rente: Was jungen Menschen zu schaffen macht
Auch auf Nachfragen der Abgeordneten wie „Warum glaubt ihr, will niemand mehr selbstständig werden?“, „Was versteht eure Generation denn unter guter Arbeit?“ und „Wie wirkt sich denn die Inflation auf die finanzielle Situation von euch aus?“, reagierte jede Einzelne und jeder Einzelne höchst souverän und selbstbewusst. Kein Wunder, die Lage ist ernst. „Polykrisen“ seien es, die den jungen Menschen zwischen 14 bis 29 gerade zu schaffen machen. Klima, Arbeit, Rente – alles Themen, die auch ihre Generation beschäftige und sogar teilweise zur Verzweiflung und Überlastung bringe.
Amir Sallachi, gerade das Abitur in der Tasche, 19 Jahre alt und einer der Jugendexperten der Bertelsmann-Stiftung, hat die Sitzung als „sehr intim“ und „lebensnah“ wahrgenommen. Weil Sallachi bereits im vergangenen Jahr im parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung als Jugendexperte gesprochen hat und Politiker und Politikerinnen auf Fachtagungen berät, weiß er, dass es auch förmlicher zugehen kann.
Doch Sallachi lässt sich nicht täuschen. Auch wenn es nett gewesen sei, hat der 19-Jährige nun auch Erwartungen an die Politikerinnen und Politiker: „Ich wünsche mir jetzt konkrete politische Veränderungen, die folgen und nicht nur leere Worthülsen.“ Ein Hauptanliegen Sallachis ist, dass Politik grundlegend jugendlicher werden müsse.
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Der von Fester erklärte Experte fragt sich deshalb: „Warum laden die Politikerinnen und Politiker nicht in alle Ausschüsse auch Menschen in unserem Alter ein?“. Warum nicht auch im Klima- und Bildungsausschuss oder im Ausschuss für Arbeit und Soziales mit Menschen sprechen, die konkret von den Themen und Problemen betroffen sind?
Fester will „eine Generation im Bundestag vertreten, die sich unsichtbar fühlt“
Ja, warum denn eigentlich nicht? Selbst Fester, die mit ihren 25 Jahren das zweitjüngste Mitglied des Deutschen Bundestags ist, sagt, sie fühle sich oftmals nicht von den Forderungen und Empfehlungen der Experten angesprochen, die sonst in den Ausschüssen auftreten.
Für Fester, die ihr Jungsein in den Mittelpunkt ihrer politischen Agenda stellt, bedeutet eine jugendlichere Politik aber nicht unbedingt eine, die allein die Interessen der jungen Menschen vertritt: „Wenn es etwa um Stadtentwicklung geht und um mehr öffentliche Plätze, die als Treffpunkt dienen können, dann haben doch alle etwas davon“, sagt Fester.
Die Grünen-Abgeordnete sehe deshalb „überhaupt nicht ein“, sich bei ihrer politischen Agenda „vom Patriarchat einen Strich durch die Rechnung“ machen zu lassen. Sie werde weiterhin so Politik machen, wie sie es für richtig hält und dadurch die Chance ergreifen, „eine Generation im Bundestag zu vertreten, die sich unsichtbar fühlt.“ Ob dies Erfolg haben wird, zeigt sich spätestens bei der nächsten Bundestagswahl 2025.