Hamburg. Nach Abendblatt-Report über die internen Querelen will es die CDU genau wissen. Welche Probleme noch viel größer werden könnten.
Eines brauchen Hamburgs Feuerwehrleute wirklich nicht zu fürchten: Langeweile. Innerhalb von nur 24 Stunden musste zunächst ein Großaufgebot in Harburg anrücken, weil Anwohner Gasgeruch in der Tiefgarage wahrgenommen hatten. Eine mögliche Erklärung: Kupferdiebe könnten die Gasleitung durchsägt haben. In der Nacht musste ein Wohnhaus in Bergedorf evakuiert werden, weil ein davor geparkter Luxuswagen in Flammen aufging. Und am frühen Morgen retteten Einsatzkräfte einen offenbar verwirrten Mann aus der Alster. Und als ob das alles nicht reicht, versuchte am Mittwochmorgen auch noch die Führungsrunde der Feuerwehr einen Großbrand zu löschen – den Flächenbrand in den eigenen Reihen.
Was ist nur los bei der Feuerwehr? Diese Frage beschäftigt nun auch die Politik. Nur einen Tag nach dem großen Abendblatt-Report in der vergangenen Woche über Differenzen in der Führung, Burn-out und Mobbingvorwürfe wollte es Dennis Gladiator, der innenpolitische Sprecher der CDU, ganz genau wissen. Die Überschrift seiner schriftlichen Kleinen Anfrage (SKA), die sich auf den Abendblatt-Artikel beruft: Notfallversorgung in der Krise.
Feuerwehr Hamburg: Politik will Antworten zu den Problemen
Die SKA umfasst 17 Fragen, die sich vor allem mit der angespannten Situation beim Rettungsdienst befassen. Nachdem Innensenator Andy Grote (SPD) bereits vor gut drei Wochen bei der Vorstellung des Feuerwehrjahresberichts erklärte, dass mit rund einer halben Million Notrufen bei der Feuerwehr im vergangenen Jahr ein Höchststand erreicht wurde, bleibt die Quote über die 112 auch im ersten Quartal 2023 mit 70.264 Alarmierungen von Rettungswagen hoch. Pro Tag sind das 781 Alarmierungen.
Der These der Innenbehörde, dass es einfach viel zu viele Bagatellanrufe gebe, bei denen nicht unbedingt ein Rettungswagen gerufen werden müsste, widerspricht nun eine hochaktuelle Rettungsdienst-Studie aus Berlin, die dem Abendblatt vorliegt und bei der es in der Conclusio heißt: „Die zunehmende Auslastung von Notrufnummern ist nicht auf Anrufe mit geringer Notrufbereitschaft zurückzuführen.“
Rettungsdienst der Feuerwehr Hamburg müsse reformiert werden
Doch wo liegt dann das Problem? Fragt man bei den Experten innerhalb der Feuerwehr nach, dann lautet die Antwort immer wieder: Die Struktur des Rettungsdienstes müsste sich grundlegend ändern (das Abendblatt berichtete). Dies wurde auch auf mehreren Klausurtagungen in den vergangenen zwei Jahren klar besprochen, ehe sich nach heftigen Differenzen mit der Innenbehörde die komplette Feuerwehrleitung monatelang krankmeldete. In Antwort zehn der SKA heißt es, dass seit dem 1. Januar 2021 vier Treffen im Rahmen von Klausurtagungen stattfanden, „um dort rettungsdienstliche Themen zu erörtern.“
Eine der Maßnahmen, die laut der SKA-Antworten der Innenbehörde bereits umgesetzt worden sein soll: Ein sogenannter Intensivtransportwagen (ITW) ging durch den Malteser Hilfsdienst im Dezember 2022 in den Betrieb. Das zwölf Tonnen schwere und neun Meter lange Gefährt ist „eine rollende Intensivstation der Superlative“, wie die „Bild“-Zeitung erst kürzlich über das XXL-Fahrzeug schwärmte. Einziger Schönheitsfehler: Den aktuellen Notstand beim Rettungsdienst kann auch der Intensivtransportwagen nicht lösen.
Dritter Intensivtransportwagen bei der Feuerwehr intern umstritten
Der wirkliche Bedarf des kostspieligen ITW ist feuerwehrintern sogar sehr umstritten. Auf Abendblatt-Nachfrage heißt es etwas verklausuliert: „Die Bemessung von Ressourcen für Sekundärtransporte orientiert sich nicht ausschließlich an der Auslastung der vorgehaltenen Ressourcen. Maßgeblich ist insbesondere auch die sogenannte risikoabhängige Fahrzeugbemessung, hierbei wird die Duplizität kritischer Ereignisse in der Bedarfsplanung berücksichtig.“
Also wurde im Fachbeirat, der auch Rettungsdienstfragen innerhalb der Innenbehörde erörtert, befürwortet, dass in Hamburg sogar noch ein dritter teurer ITW in Betrieb genommen werden soll. Interessant: Wichtiges Mitglied des Beirats und starker Befürworter des dritten ITWs ist Prof. Dr. Thoralf Kerner, Chefarzt am Asklepios Klinikum Harburg.
In Wandsbek kommt jeder zweite Rettungswagen erst nach der Frist
Kerner gilt als enger Vertrauter von Kathrin Schuol, die als Abteilungsleiterin für Öffentliche Sicherheit, Brand- und Bevölkerungsschutz zuletzt der Feuerwehrleitung vorangestellt war und innerhalb der Behörde rigoros aufgeräumt haben soll.
Interessant ist das allerdings vor allem deshalb, weil ausgerechnet Prof. Dr. Kerner diesen kostspieligen Intensivtransportwagen durch Asklepios-Personal ärztlich besetzt. Eine Abendblatt-Nachfrage hierzu wurde nicht konkret beantwortet, aber ein Feuerwehr-Sprecher betont, dass die Ausschreibung (u.a. durch eine Vergabestelle der Feuerwehr) auch durch eine auf Vergaberecht spezialisierte Kanzlei begleitet worden sei
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Doch auch bei den klassischen Rettungswagen gibt es weiterhin Gesprächsbedarf. So geht aus den Senatsantworten auf Gladiators SKA hervor, dass in Hamburg im ersten Quartal 2023 nur 54 Prozent des Rettungsdienstes an der Einsatzstelle unterhalb der festgelegten acht Minuten, der sogenannten Hilfsfrist, zur Stelle waren.
„Trauriger Spitzenreiter im ersten Quartal war der Bezirk Wandsbek, in dem nicht einmal jeder zweite Rettungswagen binnen der vorgegebenen Frist von acht Minuten eintraf. Das ist absolut inakzeptabel“, sagt Gladiator. Zum besseren Verständnis: 20.543 Einsätze in Hamburg kamen im ersten Quartal 2023 zu spät, davon mehr als 3000 sogar deutlich zu spät (nach mehr als zwölf Minuten).
Lage könnte sich ab November zusätzlich verschärfen
Gladiator wird deutlich: „Der Innensenator muss endlich dafür Sorge tragen, dass alle Hamburgerinnen und Hamburger, egal wo sie sich in der Stadt gerade aufhalten, gleich gut geschützt sind.“ Doch die Situation könnte sich ab November sogar noch einmal verschärfen, wenn die Lizenzen der Falck Notfallrettung und Katastrophenschutz gGmbH auslaufen – wobei laut Innenbehörde zwölf zusätzliche Wagen im Einsatz sein werden Trotzdem hieß es erst vor Kurzem in einer Pressemitteilung des Unternehmens: „Die Notfallrettung in Hamburg wird sich weiter verschlechtern, ein Kollaps des Hamburger Rettungsdienstes von den Verantwortlichen billigend in Kauf genommen.“
Ein weiteres mögliches Problem: Auch die von Falck betriebene Rettungsdienstschule in Wandsbek könnte durch die Behördenentscheidung dichtgemacht werden, was zu einem noch gravierenderen Personalmangel führen könnte. Ein Sprecher sagt auf Nachfrage, dass es die Feuerwehr begrüße, wenn die von Falck betriebene Rettungsdienstschule weiterhin Ausbildung im Bereich der Rettungsdienstberufe durchführen würde.
Feuerwehr Hamburg: Politik wollte wissen, wie viel Personal ausfällt
Die gute Nachricht zum Schluss: Laut den Senatsantworten auf die SKA hat sich die durchschnittliche Fehlzeitenquote aller Feuerwehrbeamten und -beamtinnen nach einer extremen Fehlzeitquote von 13,1 Prozent im zweiten Halbjahr 2022 zuletzt wieder entspannt. Im ersten Quartal 2023 lag die Quote „nur“ bei 8,2 Prozent.
Was bei dieser Statistik, die die gesamte Feuerwehr betrifft, ein wenig untergeht: Unter dem Top-Personal soll die Fehlzeitquote wegen atmosphärischer Missstimmung und Überlastung noch immer höher sein, was von der Innenbehörde allerdings dementiert wird. Nach Abendblatt-Informationen gibt es allerdings neben den Feuerwehrchefs weitere Führungskräfte, die seit Monaten krankgeschrieben sind. Statt von leitenden wird hier von leidenden Angestellten gesprochen.