Hamburg. Diskussionen um Feuerwehr nehmen zu – genauso wie die Differenzen mit der Behörde. Doch wo brennt es wirklich? Ein Report.
Es war am späten Donnerstagnachmittag, als die Feuerwehr Hamburg in der vergangenen Woche wieder einmal ihr ganzes Können unter Beweis stellen musste. Als um 17.15 Uhr der erste von vielen Notrufen einging, war über Hamburgs Innenstadt bereits eine tiefschwarze Rauchwolke zu sehen. Kurze Zeit später wurde auch noch die Warn-App Nina ausgelöst. Schnell waren 43 Fahrzeuge der Feuerwehr und Dutzende Retter im Einsatz.
Grund für all den Wirbel war ein Feuer in einem Gebäude am Holstenwall 21, das durch Teerarbeiten verursacht wurde – und sich schnell in einen Großbrand über den gesamten Dachstuhl entwickelte. Die Flammen erstreckten sich auf einer Fläche von 20 mal 30 Metern. Doch um 19.32 Uhr folgte bereits die offizielle Entwarnung, um kurz vor 22 Uhr war der Brand endgültig gelöscht.
Nicht einmal fünf Stunden hat der Einsatz gedauert. Einen ganz anderen Großbrand scheint die Feuerwehr dagegen seit mehr als fünf Monaten nicht in den Griff zu bekommen: die inhaltlichen und personellen Probleme im eigenen Haus. Bereits vor knapp zwei Wochen fragte das Abendblatt: „Notruf aus der Feuerwehr – wie sehr brennt es?“ Und nach zahlreichen weiteren Gesprächen mit der Feuerwehr und der Innenbehörde und mehreren Zuschriften im Anschluss an den Artikel scheint die Antwort zu lauten: lichterloh.
Feuerwehr Hamburg: Differenzen über Personal und Inhalt
Doch was hat diesen Großbrand eigentlich verursacht? Auf diese einfache Frage scheint es zwei ziemlich komplizierte Antworten zu geben. Nummer eins: das Personal. Sowohl Oberbranddirektor Christian Schwarz als auch sein Stellvertreter Stephan Wenderoth sind seit Monaten krankgeschrieben. So lautet zumindest die offizielle Darstellung. Inoffiziell heißt es, dass die beiden Feuerwehrchefs kaltgestellt wurden. Sogar harte Vorwürfe wie Mobbing machten die Runde.
Und Antwort Nummer zwei: die inhaltliche Diskussion rund um die strukturelle Situation der Feuerwehr, insbesondere die mutmaßliche Überlastung des Rettungsdienstes. Schon vor zwei Wochen hatte Innensenator Andy Grote beim Jahresbericht der Feuerwehr eingeräumt, dass 2022 mehr als eine halbe Million Notrufe bei der Feuerwehr Hamburg eingegangen waren – so viele wie noch nie zuvor.
Innensenator Grote und Feuerwehrchef Sauermann antworten gemeinsam
Doch bei der Frage, wie man diese Flut von 112-Anrufen in Zukunft, wenn die Menschen älter und noch hilfsbedürftiger werden, regeln soll, scheint es zwischen Feuerwehr und Innenbehörde sehr unterschiedliche Auffassungen zu geben.
Oder doch nicht? Nachdem das Abendblatt in den vergangenen Tagen mit zahlreichen Vertretern der Feuerwehr gesprochen hatte, wurde sowohl Grote als auch Interimsfeuerwehrchef Jörg Sauermann ein umfangreicher Fragebogen geschickt, um zu den verschiedenen Diskussionen Stellung zu beziehen. Geantwortet wurde in einer gemeinsamen Stellungnahme durch einen Behördensprecher.
Und gleich in der ersten Antwort heißt es: „Die Zusammenarbeit zwischen der Innenbehörde und der Feuerwehr ist auf allen Ebenen eng und partnerschaftlich.“ Und weiter: „Die aktuellen Themenstellungen, insbesondere rund um die Herausforderungen im Rettungsdienst, werden von der Feuerwehr fokussiert und zielstrebig angegangen. Die Innenbehörde unterstützt die Feuerwehr hierbei aktiv.“
Viele Führungskräfte der Feuerwehr Hamburg sind dauerkrank
Ist der schwelende Brandherd also doch endlich unter Kontrolle? Zweifel daran dürfen erlaubt sein. Denn nach Abendblatt-Informationen sind nicht nur die beiden Noch-Feuerwehrchefs Schwarz und Wenderoth krankgeschrieben. Vielmehr soll es mittlerweile eine zweistellige Zahl von langfristigen Krankmeldungen unter den Führungskräften der Feuerwehr geben. Auf Nachfrage, warum die Situation so ist, wie sie ist, verweist die Behörde lediglich auf den Datenschutz.
Doch auch unabhängig vom Personal gibt es aktuell zahlreiche Diskussionen bei der Feuerwehr. Die wichtigste: Wie sollte man den Rettungsdienst für die Probleme der Zukunft aufstellen? In dem „Strategiepapier Rettungsdienst Hamburg 2022“, das dem Abendblatt vorliegt, heißt es direkt im ersten Absatz, dass der Rettungsdienst am Limit sei. „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Leitstellen und auf den Rettungswagen stehen kurz vorm Burn-out. Die Krankheitsrate steigt. Die Frustration auch.“
Strategiepapier der Feuerwehr Hamburg: Viele kurz vorm Burn-out
In dem Papier des Hamburger Landesverbandes der Deutschen Feuerwehr-Gewerkschaft mit der einprägsamen Überschrift „Rettet den Rettungsdienst“ heißt es außerdem: „Dass der Rettungsdienst sowie die Notfallversorgung in der Feuerwehr Hamburg nahe dem Kollaps steht und nur noch unter größter Anstrengung aller Beteiligten überhaupt durchgeführt werden kann, ist mittlerweile hinreichend bekannt.“ Und dann wird die entscheidende Frage gestellt: „Ist es ein Problem der Quantität oder der Qualität der Einsätze?“
Bei dieser Frage gehen die Antworten der unterschiedlichen Beteiligten weit auseinander. Aus dem Antwortschreiben der Behörde auf die Fragen an Innensenator Grote und Feuerwehr-Interimschef Sauermann heißt es beispielsweise, dass eine zusätzliche Belastung der Feuerwehr vermieden werden solle, indem zusätzliche Rettungsdienstkapazitäten ausschließlich an externe Leistungsbringer vergeben werden sollten. „Bis Oktober dieses Jahres sollen weitere zwölf Rettungswagen der Hilfsorganisationen im Tagesdienst hinzukommen.“
Zudem wolle man die Personalwerbung erweitern. Mit anderen Worten: Das quantitative Problem ist erkannt. Kritiker dieser Maßnahmen sprechen dagegen weiterhin von einem qualitativen Problem. Unter ihnen macht schon seit Monaten ein Spruch die Runde: „Mehr Knöpfe statt mehr Köpfe.“
Feuerwehr-Gewerkschaft: Landesverband Hamburg fordert Reformen
Gemeint ist, dass zusätzliches Personal zwar wünschenswert ist, aber das Grundproblem nicht beheben würde. Vielmehr müsse man die bisherige Struktur des Rettungsdienstes reformieren. Auch Dirk Hückmann vom Vorstand des Landesverbandes, sagt: „Die Feuerwehr Hamburg benötigt eine Reform im Bereich des Rettungsdienstes.“ Man bräuchte: mehr Knöpfe. Vonseiten der Behörden heißt es hierzu: „Die Strukturen der Hamburger Feuerwehr werden ständig weiterentwickelt.“
Und tatsächlich: Nach Abendblatt-Informationen gab es im vergangenen Jahr unter der alten Feuerwehrleitung über mehrere Monate etliche Klausurtagungen zur Situation der Rettungsdienste mit allen relevanten Führungskräften der Feuerwehr. Eines der Ergebnisse: Ein sogenannter Telenotarzt sowie eine gemeinsame Leitstelle der Feuerwehr und der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) sollten vorangetrieben werden.
Doch dann wurde Feuerwehrchef Schwarz entmachtet, aus der Innenbehörde wurde ihm Kathrin Schuol (ausgerechnet eine Polizeikommissarin) vorgestellt – und die Reformideen wurden zunächst einmal hintangestellt.
Innenbehörde: Telenotarzt eher in ländlichen Gegenden
Zur damaligen Forderung eines Telenotarztes, der bereits beim Notruf entscheiden soll, welche Art von Rettungsdienst tatsächlich gebraucht wird, sagt die Behörde jetzt: „Der Telenotarzt ist grundsätzlich für die Feuerwehr Hamburg ein denkbares Modell. Hier stehen die Gespräche mit den kostentragenden verantwortlichen Krankenkassen allerdings noch am Anfang.“
Nach Abendblatt-Informationen hatte aber bislang der Fachbeirat Rettungsdienst der Innenbehörde ein Veto eingelegt. In der Behördenantwort heißt es: „Bisher war der Telenotarzt ein System, welches vorwiegend im ländlichen Bereich Anwendung findet, da dort die Verfügbarkeit von notärztlichen Ressourcen deutlich eingeschränkter ist als in einer Großstadt.“
Was in der Behördenantwort nicht steht: Neben Flächenländern wie Schleswig-Holstein wurde zuletzt auch in Städten wie in Bremen, Köln, Aachen und sogar Berlin der Telenotarzt erfolgreich implementiert. Denn auch in der Hauptstadt gibt es bei der Feuerwehr einen erheblichen Reformbedarf. Im vergangenen Jahr musste die Berliner Feuerwehr fast täglich den Ausnahmezustand ausrufen. Das heißt: Die vorhandenen Rettungswagen waren zu mehr als 80 Prozent ausgelastet. Oder in anderen Worten: zu viele Einsätze für zu wenige freie Rettungswagen.
Leitstellen sollen technisch enger abgestimmt werden
Doch ist die Situation von Berlin mit Hamburg vergleichbar? Die Hamburger Innenbehörde sagt Nein, selbst wenn es in den letzten beiden Monaten des Jahres 2022 auch in Hamburg vermehrt zu Einsatzspitzen im Rettungsdienst gekommen sei. Immerhin: Die Forderung einer besseren Vernetzung zwischen Feuerwehr (112) und Kassenärztlicher Vereinigung (116 117) scheint man mittlerweile erkannt zu haben.
Hierzu heißt es vonseiten der Behörden: „Eine engere technische Aufgabenwahrnehmung in den Leitstellen von Feuerwehr und der Kassenärztlichen Vereinigung ist durchaus sinnvoll.“ Aber: Eine räumliche Zusammenlegung wie in vielen Bundesländern geschehen und von vielen in Hamburg gefordert sei nicht geplant. Eine technische Verbundenheit würde reichen, heißt es im Antwortschreiben der Behörde.
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Erstaunlich: Sogar im offiziellen Reformpapier zur Notfall- und Akutversorgung in Deutschland vom Gesundheitsministerium (liegt dem Abendblatt vor) heißt es unter Zielen: „Die Zuordnung von Hilfesuchenden zu den passenden Strukturen ist künftig stärker zu steuern, primär telefonisch oder telemedizinisch.“ Und: „Hierfür empfiehlt die Regierungskommission den Aufbau integrierter Leitstellen.“
Oder in anderen Worten: Telenotarzt und integrierte Leitstellen, wie in Hamburg bereits in der Klausurtagung im vergangenen Jahr besprochen, gelten auf Bundesebene als offizielle Ziele.
Feuerwehr-Leitstelle wird für 100 Millionen Euro gebaut
Bleibt nur die Frage, ob integrierte Leitstellen in Hamburg überhaupt denkbar wären. „Ja“, sagt Jochen Kriens, der Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg. „Die KV Hamburg befindet sich derzeit in intensiven Gesprächen mit der Hamburger Feuerwehr.“ Die von vielen geforderte integrierte Leitstelle beim geplanten Neubau der neuen, rund 100 Millionen Euro teuren Feuerwehr-Leitstelle in Hamm hält er dagegen für nicht entscheidend: „Eine räumliche Zusammenlegung ist nicht nötig.“
Über das, was nötig und was nicht nötig ist, dürfte man sich auch in den kommenden Monaten bei der Feuerwehr noch viele Gedanken machen. Schon 2018 war in einem Gutachten mehr Personal gefordert worden. „Vorhaltung im Rettungsdienst ist … an das derzeitige Einsatzaufkommen anzupassen“, stand in dem Gutachten. Damals lag die Pünktlichkeitsquote nach Notrufen bei 65 Prozent. Vier Jahre und viele Diskussionen später lag sie im vergangenen Jahr nur noch bei 54 Prozent.
Bis zu 80 Prozent mehr Einsätze in den kommenden fünf bis zehn Jahren
Und es droht noch schlimmer zu werden: Laut einer Studie aus Schleswig-Holstein (liegt ebenfalls dem Abendblatt vor) sollen die Belastungen im Rettungsdienst und im Krankentransport unter anderem durch den demografischen Wandel in den kommenden fünf bis zehn Jahren um bis zu 80 (!) Prozent zunehmen. Nun ja, heißt es hierzu aus der Innenbehörde. „Die Entwicklung rettungsdienstlicher Einsatzzahlen ist abhängig von vielen Faktoren, nicht nur vom demografischen Wandel.“
All das hat man übrigens längst erkannt. Vielleicht nicht in Hamburg, aber in Berlin. Dort hatte der ärztliche Leiter Rettungsdienst Alarm geschlagen – und wurde als Konsequenz versetzt. Ob der Berliner Brand damit gelöscht ist, bleibt abzuwarten.