Hamburg. Grote kündigte einen „Quantensprung in der Notrufannahme“ an. Wie Hamburger bald die Einsatzkräfte alarmieren können.
In der riesigen Baugrube an der Eiffestraße warten die Kräne und Baufahrzeuge auf ihren Einsatz. Eine Grundstücksfläche von 11.500 Quadratmetern soll hier in den kommenden zwei Jahren bebaut werden. In einem Zelt auf der Baustelle spricht an diesem trüben nasskalten Mittwochmorgen vor rund 100 Gästen aber Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) – und er verkündet eine große Vision in dem von ihm verwalteten Bereich der Inneren Sicherheit. Es ist seine bisher größte und auch teuerste. „Think big“ – er möchte da nicht missverstanden werden.
Grote hat am Mittwoch zusammen mit Feuerwehrchef Christian Schwarz und Sprinkenhof-Geschäftsführer Martin Görge den Grundstein für die neue Rettungsleitstelle der Feuerwehr (RLST) an der Eiffestraße gelegt. Grote hat schon viele solcher Termine wahrgenommen. Diese Grundsteinlegung sei aber eine besondere, sagt er selbst. Denn die neue Leitstelle, die von der städtischen Sprinkenhof GmbH realisiert wird und 100 Millionen Euro kostet, soll mit modernster Kommunikationstechnik ausgestattet werden – und das Notruf-System praktisch auf links drehen.
Neue Rettungsleitstelle in Hamburg: „Quantensprung in der Notrufannahme“
Ähnliches gilt für das Pendant, die Einsatzzentrale der Polizei in Winterhude. Auch sie soll 2025 fertig sein. 112 oder 110 wählen als einzige Chance, Hilfe zu rufen? Damit wird es, sofern die Technik läuft, in gut zwei Jahren vorbei sein. Mit der Inbetriebnahme der neuen Leitstellen dürfte die telefonische Beschränktheit des aktuellen Notruf-Systems anmuten wie ein Relikt aus der Steinzeit.
Dann soll alles möglich sein, was die moderne Kommunikationstechnik hergibt, Senator Grote verspricht ein „breites Spektrum“. Um die Polizei oder die Feuerwehr zu alarmieren, können beispielsweise alle Messenger-Dienste oder sozialen Netzwerke wie etwa Snapchat genutzt werden. Damit ließen sich auch Bilder, live gestreamte Videos oder der Standort in Not geratener Menschen digital übermitteln. Die neue Technik soll die Notrufannahme in Hamburg nicht weniger als revolutionieren, Grote spricht bei der Grundsteinlegung am Mittwoch von einem „Quantensprung“.
Seit 2010 drängt die Feuerwehr auf einen Neubau
Innen wie außen soll die neue Notrufzentrale an der Eiffestraße so etwas wie das hypermoderne Gegenstück der (alten) Rettungsleitstelle an der Wendenstraße werden. Nicht nur das: Auch die Zahl der schichtweise betriebenen Einsatzleitplätze soll am neuen Standort von 36 auf 59 steigen – ein Zugeständnis an Hamburgs Status als wachsende Stadt, sagt Feuerwehrchef Schwarz.
Es wurde allerdings auch mal Zeit. Seit 2010 drängt die Feuerwehr auf einen Neubau. Bereits 2016 zitierte das Abendblatt aus einem internen Vermerk, wonach Mitarbeiter der RLST über Platzprobleme in dem alten Gebäude, die „schlechte Klimatisierung“, die mangelhaften hygienischen Verhältnisse, die schadhafte Ausstattung und den allgegenwärtigen Lärm klagten. Weil sich zu wenig tat, stand nach Ansicht der CDU Senator Grote beim Thema Neubau auf der Bremse. Diskutiert und geplant wurde viel und lange – etwa ob es statt eines Neubaus eine Erweiterung des alten Standorts oder eine gemeinsame Leitstelle von Polizei und Feuerwehr geben solle. Beide Ideen wurden verworfen, doch das Vorhaben zog sich in die Länge.
Leitstelle die Koordinierung sämtlicher Einsätze der Feuerwehr
Dabei ist die Planung einer neuen Rettungsleitstelle – ein Kernstück der kritischen Infrastruktur – ein anspruchsvolles Projekt, wie Sprinkenhof-Chef Görge am Mittwoch betont. Als ein Beispiel von vielen nennt er die Hochwassersicherheit des neuen Standorts an der Eiffestraße. Eine Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit dieses „Nervensystems der Feuerwehr“, so Oberbranddirektor Schwarz, müsse gewährleistet sein. Es dürfe nie ausfallen.
Schließlich verantworte die Leitstelle die Koordinierung sämtlicher Einsätze der Feuerwehr – vom Rettungseinsatz über die technische Hilfeleistung nach einem Verkehrsunfall bis hin zur Brandbekämpfung. Rund 750.000 Notrufe gehen hier pro Jahr ein, und 2021 entstanden daraus mehr als 282.000 „echte“ Einsätze. Es dürften, weil Hamburg wächst, künftig noch mehr werden. „Schnelle Hilfe funktioniert nur so gut wie die Leitstelle funktioniert“, sagt Grote.
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Modernisierung der Leitstellen kostet 400 Millionen Euro
Mit der Modernisierung der Leitstellen von Polizei und Feuerwehr unter dem Projektnamen „PERLE“ will die Stadt ihre Sicherheitsarchitektur fit machen für die künftigen demografischen und technischen Herausforderungen. Das kostet viel Geld, rund 400 Millionen Euro. Etwa die Hälfte davon dient dem Aufbau der neuen digitalen Infrastruktur. Beide Leitstellen, die jedes Einsatzfahrzeug mit Blaulicht in der Stadt koordinieren, sollen 2025 fertig sein. „Das ist die größte Investition in die Sicherheitsinfrastruktur, die wir je geleistet haben“, sagt Grote. Hinzu kommen 800 Millionen Euro, die in 34 Neubauvorhaben aus dem Bereich der Inneren Sicherheit fließen, darunter zehn von der Polizei und 21 von der Berufsfeuerwehr und der freiwilligen Feuerwehr. Auch hier lautet das Credo offenbar: „Think big“.
In den fünfstöckigen Neubau an der Eiffestraße wird nicht nur die Rettungsleitstelle ziehen, sondern auch der operativ-taktische Stab der Feuerwehr sowie das Führungs- und Lagezentrum der Stadt; bei „Großschadenslagen“ soll der Bau zur Schaltzentrale der Feuerwehr werden. Neben den 59 Plätzen für die sogenannten Calltaker und Disponenten stehen in dem Gebäude mit der Klinkerfassade, entworfen von „Supergelb Architekten“, weitere 120 Büroarbeitsplätze zur Verfügung. Das Dach soll begrünt werden und „Planten un Blomen“ heißen, so Schwarz. Bei aller Modernität darf es dann doch auch ein wenig hamburgische Tradition sein.