Hamburg. Die „Theodor Heuss“ ist das jüngste von drei Regierungsflugzeugen, das für Auslandsreisen hochrangiger Politiker da ist.
Als Peter Tschentscher im vergangenen November das Amt des Bundesratspräsidenten übernahm, warb er für Mut und Zuversicht. Die Pandemie, der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, die Energiekrise, Klimawandel und Digitalisierung seien große Herausforderungen. Es komme nun darauf an, „neue Wege zu gehen, neue Chancen zu erkennen und zu ergreifen“, sagte Hamburgs Bürgermeister vor seinen Länderkollegen – und sprach, kurz ins Englische wechselnd, von einem „positiven Mindset“, das nötig sei.
Für die erste Auslandsreise in seiner neuen Rolle hat der Sozialdemokrat ein Land ausgesucht, das wie kein zweites für die beschworene optimistische Denkweise steht; auch für Aufbruch, Forschungs- und Unternehmergeist – und die Bereitschaft, sich trotz aller Krisen und Tiefpunkte immer wieder neu zu erfinden: die USA.
Am Sonnabendnachmittag startete Tschentscher mit einer Sondermaschine der Flugbereitschaft des Bundesverteidigungsministeriums nach Washington D.C. Der Airbus A350-900 „Theodor Heuss“ ist das jüngste von drei Regierungsflugzeugen, das für Auslandsreisen hochrangiger deutscher Politiker da ist. In Washington D.C ist ein dreitägiger Aufenthalt geplant. Vom politischen Machtzentrum an der Ostküste geht es an die Westküste zum IT- und Hightechstandort San Francisco und von dort nach Los Angeles.
Peter Tschentscher: USA werden politisch noch wichtiger für Deutschland
Fast 20 Jahre liege der letzte offizielle USA-Besuch eines Bundesratspräsidenten zurück, sagt Tschentscher. Die Neuorientierung der Außen-, Handels- und Sicherheitspolitik nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine sei ein Grund für seine Reise nach Südamerika im vergangenen Jahr gewesen – und nun auch ein starker Treiber für den Entschluss, erneut die Vereinigten Staaten zu besuchen.
Im Jahr 2018 hatte ihn seine erste Auslandsreise als Bürgermeister nach Chicago geführt, Hamburgs Partnerstadt. Der Austausch mit deren damaligem Bürgermeister Rahm Emanuel habe „deutlich gemacht, dass neben den Nationalregierungen die großen Städte in den gesellschaftlichen Zukunftsfragen eine zentrale Rolle spielen und große Verantwortung tragen“, sagt Tschentscher.
„Die transatlantische Partnerschaft beruht auf gemeinsamen Werten von Demokratie und Freiheit. Sie lebt aber von konkreten Kooperationen und persönlichen Kontakten, die ich mit der Reise fördern möchte“, sagt Tschentscher. Seine Reise als Bundesratspräsident sei ein „politisches Signal und ein praktischer Impuls“, um die deutsch-amerikanische Freundschaft und Zusammenarbeit zu stärken. Er erhoffe sich von den Besuchen auch neue Kontakte und Kooperationen.
Gedenken am Soldatenfriedhof von Arlington
Zum Auftakt in Washington ist geplant, dass der Bürgermeister einen Kranz niederlegt auf dem Soldatenfriedhof von Arlington, der an der Grenze zwischen der Hauptstadt und dem Bundesstaat Virginia liegt, mit Blick auf Pentagon, Weißes Haus und Capitol. Anschließend wird Tschentscher die deutsche Botschafterin Emily Haber treffen, voraussichtlich mit Vertretern der US-Regierung sprechen und sich mit Mitgliedern der politischen Stiftungen in Washington austauschen.
- Dieser Hamburger Politiker ist jetzt Gastdozent an der Elite-Uni Harvard
- Warum eine Hamburger Firma nur noch auf E-Gabelstapler setzt
- Hamburger Hafen: Hamburgs Außenhandel floriert wie nie zuvor
Neben politischen Gesprächen ist für die einwöchige Reise ein umfangreiches Programm mit Gesprächen in Unternehmen und Forschungseinrichtungen geplant. Dabei geht es um große Themen, die auch Hamburg besonders umtreiben, neben Hafenkooperationen und Handel etwa der Ausbau erneuerbarer Energien und dabei vor allem die Produktion und Verteilung „grünen“ Wasserstoffs. Weitere Schwerpunkte bei den Treffen sind klimaschonende „smarte“ Mobilität und Logistik - und der dramatisch wachsende Einfluss von Künstlicher Intelligenz in Wirtschaft und Wissenschaft.
Handelskammer: USA „einer der wichtigsten Märkte für Hamburger Firmen“
Mit Tschentscher unterwegs ist eine 19-köpfige Hamburger Wirtschafts- und Wissenschaftsdelegation. Denn die Vereinigten Staaten sind nicht nur Deutschlands wichtigster politischer Partner außerhalb der EU. Vielmehr hat das Land mit seinen mehr als 330 Millionen Einwohnern als größte Volkswirtschaft der Welt auch ökonomisch gesehen eine herausragende Bedeutung für Deutschland – und für die Hansestadt.
Gemessen am Containerumschlag seien die USA der zweitgrößte Handelspartner des Hamburger Hafens, sagt Tschentscher. Der Handelskammer zufolge ist das Land „eines der wichtigsten Märkte für Hamburger Unternehmen“. Um die 800 Hamburger Firmen unterhielten nach Angaben der Kammer Wirtschaftsbeziehungen mit den Vereinigten Staaten. Etwa 400 Firmen exportierten aus Hamburg in die USA; etwa 350 Unternehmen importierten aus den USA nach Hamburg.
Eppendorf, Jungheinrich und Beiersdorf haben Produktionsstätten in den USA
Etwa 90 Hamburger Unternehmen haben eine Vertretung in den Vereinigten Staaten, etwa 110 führen eine Niederlassung dort. Eine Produktionsstätte in den USA zu betreiben, gaben gegenüber der Kammer zuletzt 25 Hamburger Firmen an, unter ihnen das Medizintechnikunternehmen Eppendorf, der Gabelstapler-Hersteller und Logistikkonzern Jungheinrich und der Kosmetikriese Beiersdorf.
Hamburg habe zugleich eine große Bedeutung für die USA als „Tor zum deutschen und nordeuropäischen Markt“, sagt Tschentscher. Nach Angaben der Handelskammer betrug der Wert der Importe aus den USA im vergangenen Jahr fast 11,2 Milliarden Euro. Damit lagen die Vereinigten Staaten auf dem Niveau von China mit einem Volumen von 11,4 Milliarden Euro. Demgegenüber führte Hamburg 2022 Waren im Wert von rund drei Milliarden Euro in die USA aus.
Peter Tschentscher: Wirtschaftliche Zusammenarbeit mit USA wird zunehmen
Tschentscher geht davon aus, dass die Vereinigten Staaten noch wichtiger für Deutschland und Hamburg werden. „Perspektivisch wird auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den USA weiter zunehmen, insbesondere im Handel mit regenerativen Energieträgern wie grünem Wasserstoff oder eFuels“, sagt der Bürgermeister. Im vergangenen Jahr gründeten die USA und Deutschland eine „Klima- und Energiepartnerschaft“.
Hamburg, das nach Tschentschers Willen ein „Zentrum für den Import sowie für die Produktion, Lagerung, Verwendung und Verteilung von Wasserstoff in Deutschland und Europa“ werden soll, könne zu dieser deutsch-amerikanischen Kooperation einen „wichtigen Beitrag leisten“, sagt er.
Tschentscher verweist außerdem auf die bedeutende Rolle US-amerikanischer Konzerne in der Hamburger Digitalwirtschaft: Die Internet- und Technologieunternehmen Google, Meta (Facebook, Instagram, WhatsApp) und Snap steuern von Hamburg aus ihr Geschäft in Deutschland.
Handelskammer: Wettbewerbsnachteile durch „Inflation Reduction Act“
Es deuten sich allerdings auch Spannungen an. Was Auslandsinvestitionen von Hamburger Firmen angeht, seien die USA in diesem Jahr der „zweitwichtigste Zielmarkt“ nach China, erklärt die Handelskammer. Darüber hinaus scheinen Hamburger Unternehmen 2023 deutlich mehr Interesse an Investitionen in die USA zu haben als in den vergangenen vier Jahren“, erklärt die Kammer. „Generell scheinen die USA als Investitionsstandort in einem schwierig gewordenen außenwirtschaftlichen Umfeld an Attraktivität gewonnen zu haben.“
Ein Grund dafür dürften die explodierenden Energiekosten in Europa in Kombination mit dem sogenannten Inflation Reduction Act (IRA) sein. Denn dieses milliardenschwere Subventionspaket der US-Regierung unter Präsident Joe Biden sieht steuerliche Anreize für klimafreundliche Technologien „made in USA“ vor. In einer Umfrage der Deutsch-Amerikanischen Handelskammern nannten 17 Prozent der deutschen Firmen in den USA den IRA als einen Grund, ihre Investitionen dort auszuweiten.
„Für deutsche Unternehmen, die hierzulande produzieren und ihre Waren in die USA liefern, ergeben sich dadurch also schon jetzt Wettbewerbsnachteile“, erklärt die Hamburger Handelskammer. Ein sich anbahnender Subventionswettbewerb zwischen den USA und der EU sei „nicht hilfreich“. Es ist davon auszugehen, dass Peter Tschentscher bei seinen politischen Gesprächen in Washington auch mit Blick auf den IRA die Interessen Deutschlands vertreten wird.