Hamburg. Der Untreue-Prozess gegen den Ex-Partner von Anna Gallina dürfte sehr heikel für die Grünenpolitikerin werden.

Seit dem schrecklichen Messerattentat in einem Regionalzug von Kiel nach Hamburg, bei dem am 25. Januar zwei Menschen starben und fünf weitere zum Teil schwer verletzt wurden, steht Justizsenatorin Anna Gallina im Kreuzfeuer der Kritik – Rücktrittsforderungen eingeschlossen.

Die Grünen-Politikerin hat alle Vorwürfe gegen die Hamburger Justiz im Umgang mit dem Tatverdächtigen Ibrahim A. vor seiner Tat bislang politisch überstanden. Doch jetzt wird der Druck auf die Justizsenatorin noch größer: In den kommenden Wochen beginnt die heikelste Phase ihrer dreijährigen Amtszeit.

Landgericht Hamburg lässt Anklage gegen Gallinas früheren Lebensgefährten zu

Das Landgericht hat am Mittwoch die Anklage gegen Gallinas früheren Lebensgefährten Michael Osterburg zugelassen. Der Prozess wird am 19. April eröffnet und ist zunächst mit neun Sitzungen bis Mitte Mai terminiert. Dem früheren langjährigen Fraktionsvorsitzenden der Grünen in der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte wird gewerbsmäßige Untreue, teilweise in Tateinheit mit Betrug und Urkundenfälschung vorgeworfen. Osterburg soll zwischen 2015 und 2019 knapp 33.000 Euro aus der Fraktionskasse für private Zwecke abgezweigt haben.

Regelmäßig soll der 55-jährige Ex-Politiker Essen mit Gallina in dem Eimsbütteler Restaurant „Rucola e Parma“ über die Fraktion abgerechnet und dabei fiktive Bewirtungsbelege mit Politikern und Journalisten vorgelegt haben. Osterburg soll auch Betreuungskosten für das gemeinsame Kind mit Gallina sowie Reise- und Mietwagenkosten ohne Anlass über die Fraktion abgerechnet haben. Mit seiner politischen Tätigkeit in keinem Zusammenhang dürfte auch der Erwerb eines Rasenmähers stehen.

Es zeichnet sich ein Mammutverfahren ab. Die Staatsanwaltschaft hat mehrere Kisten von Unterlagen gesichtet, 121 Fälle von Untreue angeklagt und 162 Zeugen benannt. Das Gericht hat zunächst acht Zeugen und Zeuginnen für die Beweisaufnahme aufgerufen – Anna Gallina ist erstaunlicherweise nicht darunter. Osterburg hat bislang gegenüber der Staatsanwaltschaft zu den Vorwürfen geschwiegen. Die spannende und politisch erhebliche Frage lautet: Was wusste die heutige Justizsenatorin von dem finanziellen Gebaren ihres damaligen Partners?

Gallina bestreitet, von Machenschaften Osterburgs gewusst zu haben

Gallina hat gegenüber der Staatsanwaltschaft ausgesagt und auch intern unter anderem gegenüber ihren Parteifreunden stets bestritten, von Osterburgs Machenschaften etwas mitbekommen oder gewusst zu haben. So habe er immer am Tresen des „Rucola e Parma“ bezahlt, während sie am Tisch sitzen geblieben sei und die Abrechnungsmodalitäten nicht verfolgt habe. Gallinas behauptetes Nichtwissen war die Voraussetzung dafür, dass die Grünen sie 2020 als Justizsenatorin vorgeschlagen haben und Bürgermeister Peter Tschentscher sie schließlich ernannt hat. Denn: Mitte 2019 nach dem Abgang Osterburgs entdeckten seine Nachfolger an der Fraktionsspitze die Unregelmäßigkeiten und zeigten ihn an. Im Herbst 2019 trennten sich Gallina und Osterburg ihren Angaben zufolge.

Es bleiben Fragen: Wie überzeugend ist es wirklich, dass Anna Gallina guten Glaubens und arglos war? Osterburg erhielt als Fraktionschef der Bezirksversammlung die dreifache steuerfreie Aufwandsentschädigung eines Abgeordneten in Höhe von 569,33 Euro monatlich nach jetzigem Stand – also 1707,99 Euro. Nicht gerade viel, zumal Osterburg nach Abendblatt-Informationen zu der damaligen Zeit kein anderes Einkommen hatte.

Was passiert, wenn Osterburg im Prozess das Schweigen bricht?

Entspricht es noch dem gängigen Ablauf in heutigen Beziehungen, dass eine Frau nicht nachfragt, wenn der Partner plötzlich die Spendierhosen anhat? Es kommt hinzu, dass Osterburg als Abgeordneter Bewirtungsbelege steuerlich nicht geltend machen konnte, sodass die Frage auftaucht, wofür er solche Belege überhaupt brauchte. Voraussetzung ist natürlich, dass einem diese Vorgehensweise des Lebensgefährten überhaupt auffällt.

Das ist die politische Fallhöhe für Gallina: Wenn sich im Laufe des Verfahrens herausstellen sollte, dass die Grünen-Politikerin doch etwas über Osterburgs mutmaßliche Betrügereien wusste, wäre sie nicht mehr im Amt zu halten und müsste zurücktreten. Eine derartige Wende im Prozessverlauf könnte eintreten, wenn sich Osterburg zu Beginn des Prozesses entschließt, sein Schweigen doch zu brechen und mit seiner Aussage auch Gallina belastet. Wahrscheinlichkeit? Sehr gering, schließlich gibt es auch eine Verantwortung des Vaters für das gemeinsame Kind, dem er mit einer seine Ex-Partnerin belastenden Aussage sehr schaden würde.

Übrigens: Sollte Gallina doch in den Zeugenstand gerufen werden, was durchaus weiterhin möglich ist, käme der wenig bekannte Paragraf 50 der Strafprozessordnung ins Spiel. „Die Mitglieder der Bundesregierung oder einer Landesregierung sind an ihrem Amtssitz … zu vernehmen“, heißt es in Satz zwei. Um von dieser Regelung abzuweichen, bedarf es der Genehmigung der Landesregierung. Wobei in Gallinas Fall offen wäre, ob ihr Amtssitz die Justizbehörde oder der Sitz des Senats, also das Rathaus, ist.

Justizinsider, mit denen das Abendblatt gesprochen hat, halten es für möglich, dass es so weit nicht kommen wird. Der Grund: Osterburg könnte sich zum Auftakt des Verfahrens umfassend schuldig bekennen, in der Hoffnung auf ein geringeres Strafmaß. Wenn ein solcher „Deal“ zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung zustande kommt, würde die weitere Beweiserhebung und Zeugenbefragung entfallen. Der Osterburg-Prozess wäre schnell zu Ende, und das wäre Gallina vermutlich sehr recht. Als denkbar gilt eine Strafe von einem Jahr auf Bewährung sowie eine Geldstrafe in Höhe mehrerer Tausend Euro.

Wenn Osterburg doch noch gesteht, wäre ein Deal mit dem Gericht denkbar

In diesem Zusammenhang dürfte auch die Frage der Wiedergutmachung des entstandenen Schadens eine Rolle spielen. Auch bei einer Verurteilung Osterburgs zu einer Geldstrafe würden der Grünen-Fraktion in Mitte ja immer noch die knapp 33.000 Euro in der Kasse fehlen.

Der Osterburg-Komplex ist aus einem weiteren Grund politisch brisant. Die Staatsanwaltschaft ist gegenüber der Justizsenatorin weisungsgebunden – anders als die Gerichte selbstverständlich. Nun hat die Staatsanwaltschaft bekanntlich keinen „zureichend tatsächlichen Anhaltspunkt“ für eine Tatbeteiligung Gallinas etwa im Wege der Beihilfe gesehen. Es wäre töricht von der Justizsenatorin, ja geradezu politischer Selbstmord, wenn sie versucht hätte, Einfluss auf mögliche Ermittlungen der Anklagebehörde gegen sich zu nehmen. Das kann also ausgeschlossen werden.

Nach Informationen des Abendblatts ist in der Staatsanwaltschaft allerdings sehr wohl darüber diskutiert worden, ob gegen Gallina ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden soll. Alles andere wäre auch kaum nachvollziehbar angesichts der damaligen Beziehung der beiden und der mutmaßlichen Tatabläufe. Allerdings ist es zu solch einem förmlichen Ermittlungsverfahren nicht gekommen. Dabei ist umstritten, ob es immerhin ein Vorermittlungsverfahren gegeben hat.

Hat Generalstaatsanwalt Fröhlich Ermittlungen gegen Gallina gestoppt?

Es gibt Quellen, die besagen, dass Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich, der gegenüber der Staatsanwaltschaft weisungsbefugt ist, die Überlegungen, gegen Gallina vorzugehen, gestoppt hat. Bestätigen lässt sich das nicht. Nach Informationen des Abendblatts hat es mehrere Runden bei der Staatsanwaltschaft gegeben, bei denen das Thema Gallina erörtert wurde und an denen Fröhlich zum Teil teilgenommen hat. Allerdings liegt die Federführung in dem Osterburg-Verfahren bei der Staatsanwaltschaft. Der Generalstaatsanwalt hat es nicht an sich gezogen.

Zwischen dem Sievekingplatz, wo die Gerichte residieren, und dem Rathaus wird über die Hintergründe dieses Falls lebhaft diskutiert. Dabei spielt auch eine Rolle, dass sich das Verhältnis Gallina– Fröhlich nach anfänglichen Schwierigkeiten deutlich verbessert haben soll. Das ist insofern pikant, als sich Fröhlich und der Chef der Staatsanwaltschaft, Leitender Oberstaatsanwalt Ralf Peter Anders, eine Dauerfehde um Macht und Kompetenzen liefern. Das Verhältnis zwischen der Nummer eins und der Nummer zwei der Staatsanwaltschaft gilt als völlig zerrüttet.