Hamburg. Beim Hamburger Justizausschuss offenbarte sich zudem, warum der mutmaßliche Messerstecher überhaupt in den Zug nach Hamburg stieg.

Die Stadt Kiel hat nach einer aufwendigen Überprüfung des E-Mail-Verkehrs zwei Nachrichten aus dem Hamburger Landeskriminalamt mit wichtigen Informationen über Ibrahim A. gefunden, den mutmaßlichen Täter der Messerattacke von Brokstedt. Das räumte der Kieler Stadtrat Christian Zierau vor dem Justizausschuss der Bürgerschaft ein und bestätigte damit entsprechende Angaben von Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne).

Nach den Worten Zieraus informierte ein Polizeibeamter am 10. März 2022 die Zuwanderungsabteilung der Stadt Kiel unter anderem darüber, dass Ibrahim A. in Untersuchungshaft sei. „Die E-Mail wurde allerdings an das persönliche Postfach der Sachbearbeiterin geschickt, und der Hinweis auf die U-Haft war lediglich am Ende kurz vermerkt“, sagte Zierau vor dem Ausschuss. Man habe die E-Mail sowie eine weitere Nachricht aus der Justizvollzugsanstalt Billwerder vom 6. Mai an die Zuwanderungsabteilung erst entdeckt, nachdem sämtliche E-Mail-Post­fächer sowie Spamordner noch einmal durchsucht und gelöschte Dateien rekonstruiert worden seien.

Fall Ibrahim A.: Hat Hamburg Kiel nicht ausreichend informiert?

Zierau betonte, dass darüber hinaus keine Hinweise auf Informationen aus Hamburg zum Fall Ibrahim A. gefunden worden seien – insbesondere nicht die gesetzlichen vorgeschriebenen Pflichtmitteilungen nach dem Aufenthaltsgesetz. „Dieser Fall ist ein Beispiel für die Fehlerhaftigkeit von E-Mails. Die Formstrenge der gesetzlich vorgeschriebenen Mitteilungen ist unverzichtbar. Die gesetzlichen Mitteilungen sind eine Bringschuld“, sagte Zierau.

„Ich bin ein großer Freund von förmlichen Mitteilungen, aber es hat zehn Kontaktaufnahmen seitens Hamburgs mit Kiel gegeben, dabei ging es auch um die früheren Straftaten und die Inhaftierung von Ibrahim A.“, sagte Justiz-Staatsrat Holger Schatz. Im Übrigen seien die E-Mails nicht nur an die persönlichen Konten von Mitarbeitern, sondern an Funktionspostfächer geschickt worden. Die Informationen über die Inhaftierung von Ibrahim A. hätten seit März vorgelegen.

Unklar ist, ob eine rechtzeitige Information zur Abschiebung von Ibrahim A. geführt hätte

„Wir wollen hier nicht in einen Schlagabtausch gehen. Zwar lagen die Informationen vor, das stimmt, aber nicht auf dem formal korrekten Weg. Jede offizielle Mitteilung gibt in der Verwaltung einen Aha-effekt“, sagte Zierau, der vorher bereits auf die hohe Belastung der Ausländerbehörde hingewiesen hatte. „Wir sind hier am Limit“, sagte der Kieler Stadtrat, der insgesamt auch selbstkritisch einräumte: „Uns fehlt das Nachfassen.“

Der Hinweis auf die Inhaftierung und den Aufenthaltsort von Ibrahim A. ist insofern von Bedeutung, als das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ein Verfahren auf Widerruf des subsidiären Schutzes für A. eingeleitet hatte. Ob eine rechtzeitige Information dazu geführt hätte, dass A. nach seiner Entlassung aus der U-Haft am 19. Januar 2023 hätte abgeschoben werden können, ist umstritten.

Darum stiegt Ibrahim A. in den Zug nach Hamburg

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte dies vor Kurzem „unter bestimmten Umständen“ für möglich gehalten. „Ob die Person außer Landes gekommen wäre, weiß ich nicht“, gab sich der digital zugeschaltete BAMF-Abteilungsleiter Frank Schimmelpfennig vor dem Ausschuss vorsichtig und wies darauf hin, dass gegen eine Abschiebungsentscheidung des BAMF Rechtsmittel hätten eingelegt werden können und A. zudem ein staatenloser Palästinenser sei.

Erstmals wurde im Ausschuss geschildert, was in den Stunden vor der schrecklichen Tat des Ibrahim A. geschah. Nach den Worten des Kieler Stadtrats Zierau sprach A. am Vormittag mit Mitarbeitenden der Zuwanderungsabteilung, um eine Verlängerung seiner Fiktionsbescheinigung zu erhalten. Er wurde an die Zentrale Beratungsstelle für wohnungslose Männer (ZBS) verwiesen, um sich dort anzumelden. Danach solle er zum Einwohnermeldeamt gehen. Weil A. sagte, er habe einen Schlafplatz in Hamburg, erhielt er die Auskunft, dass er sich dann in Hamburg anmelden müsse. Statt zur ZBS ging A. laut Zierau zum Einwohnermeldeamt, wo er ebenfalls die Auskunft erhielt, für eine Fiktionsbescheinigung benötige er einen Wohnsitz. Danach stieg er offensichtlich in den Zug nach Hamburg.

Justizsenatorin Galina verteidigte erneut die Entscheidung ihrer Behörde, über Äußerungen A.s in der U-Haft („Es gibt nicht nur einen Anis Amri, ich bin auch einer.“) nicht in der Ausschusssitzung Anfang Februar berichtet zu haben. Gallina wiederholte auch, dass ein psychiatrisches Gutachten vor der Entlassung von A. gesetzlich bislang nicht vorgesehen sei. Richard Seelmaecker (CDU) kritisierte, dass Gallina erneut „zur Aufklärung der im Raum stehenden Vorwürfe wenig beigetragen“ habe. Auf Antrag der CDU beschloss der Ausschuss einstimmig ein umfangreiches Aktenvorlageersuchen.