Hamburg. Der Ukraine-Krieg stellt das Hamburger Amt vor Herausforderungen. Nicht nur diese Entwicklung beobachte man mit Sorge.

Der russische Angriffskrieg in der Ukraine bindet zunehmend Kapazitäten des Hamburger Verfassungsschutzes. Im Zusammenhang mit ausländischer Cyberspionage- und attacken sieht das Landesamt nun eine „erhebliche Bedrohungslage“, wie Innensenator Andy Grote (SPD) und Hamburgs Verfassungsschutzchef Torsten Voß bei der Vorstellung des Jahresberichts erklärten.

Nach dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine hätten die Beratungen zur Spionageabwehr durch das Amt deutlich zugenommen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) habe von einer „Zeitenwende“ gesprochen, und das lasse sich „auch für den Bereich des Verfassungsschutzes sagen“, sagte Grote: Eine „hybride Bedrohung“ mache sich „in ganz Europa bemerkbar“.

Verfassungsschutz Hamburg meldet mehr Spionage

Gradmesser für die zunehmende Bedrohung im Cyberspace ist die stark gestiegene Zahl der „Außenkontakte“ der Verfassungsschutz-Experten mit betroffenen Hamburger Unternehmen. Sie kletterte von rund 125 im Jahr 2020 auf 200 im Vorjahr und erreichte einen „historischen Höchststand“, so Voß. Maßgeblich beigetragen zu dieser Erhöhung habe die vom russischen Militärnachrichtendienst GRU gesteuerte Cyberangriffskampagne durch die Hacker-Gruppe Ghostwriter im vergangenen Jahr. Aktuell sei das Landesamt an vielen Stellen gefordert, sagte Grote, „nicht zuletzt, wenn es um die Abwehr möglicher russischer Cyberattacken geht“. Potenzielle Ziele solcher Attacken könnten Unternehmen oder auch der Hamburger Hafen sein.

Nicht nur diese Entwicklung beobachtet der Verfassungsschutz mit Sorge, sondern auch das Treiben der sogenannten Delegitimierer – Verschwörungsideologen, deren Ziel die Überwindung des Staates und der Demokratie sei. Bisher einte sie vor allem der Protest gegen die Corona-Auflagen – nun seien aus diesem Spek­trum zunehmend „pro-russische Attitüden“ festzustellen, so Voß.

Äußerungen des Vereins Umehr e.V. seien so eindeutig gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet, dass er die Einstufung als Verdachtsfall übersprungen habe und der Verein sofort zum Beobachtungsobjekt erhoben worden sei. Durch eine breite Aufklärungskampagne sei es gelungen, die Zahl der Teilnehmer an den Demos dieser „Verfassungsfeinde“ von 3000 auf etwa 1000 zu drücken, sagte Voß.

„Generationenwechsel“ bei Islamisten in Hamburg

In den weiteren „Phänomenbereichen“ gibt es nur leichte Verschiebungen. So registrierte der Nachrichtendienst mit 550 Salafisten zwar 120 weniger in Hamburg als 2020. Die Gesamtzahl der Islamisten blieb mit 1650 Anhängern aber praktisch identisch, weil das Amt überproportionale Zuwächse insbesondere bei der Furkan-Gemeinschaft und Hizb ut-Tahrir erfasst hat. Der Generation 2.0 – also den jetzt herangewachsenen Kindern der (auch) durch den Anschlag vom 11. September 2001 beeinflussten Islamisten – gilt das besondere Augenmerk des Nachrichtendienstes.

Als Beispiel für den „Generationenwechsel“ erwähnte Voß den 21 Jahre alten Deutsch-Marokkaner aus Hamburg, der sich mutmaßlich für einen blutigen Anschlag eine Handgranate und eine Pistole aus dem Darknet beschaffen wollte. Er wurde im August 2021 verhaftet, zurzeit steht er in Hamburg vor Gericht. Sein Vater ist den Behörden schon lange als Islamist bekannt. Vor allem die Jüngeren seien begehrte Beute von Gruppierungen wie Muslim Interaktiv, die im Vorjahr einen Marsch schwarz Uniformierter, gegen den Staat Israel hetzender Anhänger über den Steindamm initiierte.

Verfassungsschutz Hamburg meldet mehr Reichsbürger

Die Zahl der Reichsbürger stieg von 175 auf 290, was vor allem daran liegt, dass die Behörden mehr Fälle melden, etwa wenn Bußgeldbescheide aus „ideologischen Gründen“ abgelehnt werden. Praktisch unverändert ist die Zahl der Links- und Rechtsextremisten. Von den 1240 Linksextremisten stuft das Amt 940 als gewaltorientiert ein, also rund 76 Prozent. Auf das Konto dieses Spektrums gehen 727 politisch motivierte Straftaten (2020: 706).

Deutlich gesunken ist hingegen die Zahl linksextremistischer Gewaltdelikte – von 162 auf 19. Ein Grund dafür sei, dass es 2020 im Zusammenhang mit dem Strafprozess gegen die sogenannten „Drei von der Parkbank“ vermehrt zu „Resonanz-Straftaten“ gekommen sei, so Voß. 542 Straftaten, darunter 30 rechtsextremistische Gewaltdelikte, gingen auf das Konto Hamburger Rechtsextremisten. Die Zahl der judenfeindlichen Straftaten aus dieser Szene ist mit 57 (2020: 47) die seit Jahren höchste.

Insgesamt geht der Verfassungsschutz – wie schon 2020 – von 380 Rechtsextremisten in Hamburg aus, darunter 120 gewaltorientierten. Der Rechtsextremismus sei nach wie vor die „größte Bedrohung unserer Demokratie“.

Extremistische Gruppierungen wie die Identitäre Bewegung, die Interventionische Linke oder eben Umehr e.V. versuchten zudem, an Themen wie Umweltschutz oder Corona anzudocken, um ihre Ideologie in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Auch zum Schutz vor solcher Einflussnahme und Unterminierung habe sich der Verfassungsschutz als „Frühwarnsystem der Demokratie“ bewährt, so Grote.