Hamburg. SPD, Grüne, CDU und FDP beraten äußerst diskret. Es gibt Annäherungen, aber ein großer Streitpunkt ist noch offen.
Diese Verhandlungsgruppe legt auf Publicity keinen Wert. Diskretion ist oberstes Prinzip der fünf Politiker, die Stillschweigen über ihre Gespräche vereinbart haben. Auch der Ort ihrer Treffen ist bewusst gewählt: Der Raum A des Rathauses liegt etwas abseits am Ende eines Ganges neben dem Plenarsaal. Selbst Besuchergruppen landen eher selten vor der schweren Holztür des Raumes.
Die Geheimniskrämerei hat einen guten Grund, denn der Gegenstand der Gespräche und die Zusammensetzung der Runde sind durchaus brisant. Hinter der geschlossenen Tür verhandeln – ungewöhnlich genug – Regierung und Opposition über ein Top-Thema: die Schulpolitik. Die vier Fraktionsvorsitzenden Dirk Kienscherf (SPD), André Trepoll (CDU), Anjes Tjarks (Grüne) und Anna von Treuenfels-Frowein (FDP) sowie Schulsenator Ties Rabe (SPD) ringen um eine Verlängerung des zehnjährigen Schulfriedens, der 2020 ausläuft. Am Donnerstag saßen die fünf zum vierten Mal zusammen. Es war eine eher zähe Zusammenkunft über 90 Minuten.
Die Opposition will etwas „Handfestes“ herausholen
Die Lage ist komplex und etwas unübersichtlich, und nicht zuletzt wirft die Bürgerschaftswahl am 23. Februar 2020 ihre Schatten voraus. Da ist das strategische Interesse für eine Partei bisweilen wichtiger als die inhaltliche Überzeugung. SPD und Grüne wollen die Verlängerung des Schulfriedens, weil dann die Schulpolitik jedenfalls zu einem guten Teil aus dem Wahlkampf herausgenommen wäre – ein potenzielles Konfliktfeld weniger aus Sicht der Senatskoalition. Die Vertreter von CDU und FDP werden ihre Unterschrift nur dann unter eine Vereinbarung setzen, wenn etwas „Handfestes“ für sie dabei herauskommt. Linke und AfD wurden nicht gefragt, ob sie mitmachen wollten.
Die Idee des Schulfriedens ist einfach. Im Jahr 2010 vereinbarten CDU, Grüne und SPD (damals in der Opposition) unter anderem eine deutliche Verkleinerung der Schulklassen und massive Neueinstellungen von Lehrern. Im Gegenzug verpflichteten sich die drei Parteien, die Schulstruktur nicht anzutasten, die Schulen also „in Frieden“ arbeiten zu lassen.
CDU fordert Rückkehr zu G9
Die Konzentration auf die Kernaufgabe, den Unterricht, führte zu messbarem Erfolg: Hamburger Schüler haben sich im Ländervergleich der Leistungstests vom Tabellenende ins Mittelfeld und zum Teil sogar in die Spitzengruppe vorgearbeitet.
„Wo ist das Problem?“, könnte mancher denken. Dann einigen sich die vier Parteien eben auf ein paar Kompromisse und lassen die Schulen weiter in Ruhe. Das wäre einfacher gewesen, wenn die CDU nicht mit dem Gedanken spielen würde, eine Rückkehr der Gymnasien zum längeren Weg zum Abitur (G9) zu fordern. Das wäre in der Tat ein Eingriff in die Schulstruktur und ist daher mit SPD, Grünen und FDP nicht zu machen.
Nun haben sich mit der Kür des Altonaer Bundestagsabgeordneten Marcus Weinberg zum CDU-Spitzenkandidaten für die Bürgerschaftswahl die Koordinaten in der Union zwar etwas verschoben, weil Weinberg ein Gegner der Rückkehr zu G9 am Gymnasium ist. Aber der Spitzenkandidat will den innerparteilichen Diskussionsprozess wie vereinbart durchführen, was bedeutet, dass sich eine Entscheidung der Partei bis zum Sommer hinziehen wird.
Rot-Grün legt Sieben-Punkte-Plan für Gymnasien vor
Und so klammert das diskrete Quintett die alles entscheidende Frage einfach erst einmal aus und verhandelt über andere Punkte. Dabei zeigt sich, dass die vier Parteien schon recht weit gekommen sind. Einig sind sich SPD, Grüne, CDU und FDP darin, dass die Gymnasien gestärkt werden sollen. Nachdem anfangs nur die Opposition von CDU und FDP Forderungen gestellt hatte, hat nun Rot-Grün mit einem Sieben-Punkte-Plan nachgelegt. Der sieht unter anderem vor, die Ausstattung mit Lehrkräften in den Klassen fünf und sechs der Gymnasien zu verbessern.
Der Opposition reicht das noch nicht. Vor allem die Union will erreichen, dass die Klassengrößen generell abgesenkt und die Schülerhöchstzahlen auch wieder im Schulgesetz festgeschrieben werden. Derzeit sollen laut Gesetz in einer Klasse an einer Stadtteilschule höchstens 25 Schüler sitzen, in der Klasse eines Gymnasiums dagegen 28 Jungen und Mädchen. Stadtteil- und Grundschulen sind in den vergangenen Jahren in vielerlei Hinsicht personell deutlich besser ausgestattet worden, während die Gymnasien weitgehend leer ausgingen.
Abiturienten sollen mehr Kurse miteinfließen lassen
Auch beim Stichwort „Qualität des Abiturs“ sind sich beide Seiten nach Informationen des Abendblatts näher gekommen. Danach ist auch Schulsenator Rabe dafür, die sogenannten Belegauflagen für die Zulassung zum Abitur von derzeit 34 in Richtung 40 Kurse heraufzusetzen. Wenn mehr Kurse in der Oberstufe in die Abinote einfließen, können Schüler weniger Kurse mit schlechten Noten streichen.
Bewegung gibt es auch bei einer langjährigen Forderung der Opposition: der Schaffung von nicht pädagogischen Verwaltungsleitungen an Schulen, um Lehrer von diesen Aufgaben zu entlasten. Rot-Grün soll den Vorschlag gemacht haben, solche Posten an den weiterführenden Schulen und großen Grundschulen einzurichten und zur Hälfte auch zusätzlich zu finanzieren.
Auch bei den umstrittenen Präsentationsprüfungen, die im Abitur eine mündliche Prüfung ersetzen können, gibt es eine weitgehende Annäherung. Hier soll die Gewichtung des Gesprächs mit dem Prüfling im Anschluss an dessen eigentliche Präsentation bei der Gesamtnote gestärkt werden.
Doch es gibt auch eine Reihe von Knackpunkten, die nach wie vor umstritten sind. CDU und FDP wollen das Sitzenbleiben wieder einführen. SPD und Grüne teilen die Überzeugung, dass das jetzige Modell der gezielten Förderung leistungsschwächerer Schüler der bessere Weg ist, weil es das Verbleiben in der Klasse ermöglicht. Hier ist die Koalition bislang allenfalls bereit, über die Wiedereinführung des Sitzenbleibens vor den Abschlussklassen zu sprechen.
Gespräche können sich bis Sommer hinziehen
Als heißes Eisen erweist sich einmal mehr die äußere Differenzierung im Unterricht der Stadtteilschule. Bei diesem Modell wird eine Schülergruppe nach ihrer Leistung unterteilt und stärkere und schwächere Schüler zum Beispiel in den Kernfächern getrennt unterrichtet. Dagegen steht die Überzeugung vieler Pädagogen, dass leistungsstärkere und -schwächere Schüler voneinander profitieren können und deswegen am besten gemeinsam unterrichtet werden. Die meisten Stadtteilschulen gehen diesen Weg der Binnendifferenzierung.
CDU und FDP fordern die Abkehr von der Binnendifferenzierung und versprechen sich von der Trennung in zwei Leistungsgruppen bessere Förderung und Leistungen beider. Das Angebot von Rot-Grün, die Schulkonferenz jeder einzelnen Schule über die Frage entscheiden zu lassen, geht der Opposition nicht weit genug.
Weit entfernt von einem Kompromiss sind Regierungsseite und Opposition auch beim heiklen Thema Unterrichtsausfall. Dass vor allem die FDP über die gerade von Rot-Grün beschlossene Reform der Lehrerbildung wieder reden will, lehnen SPD und Grüne ab. Mit dem neuen gemeinsamen Lehramt für Gymnasien und Stadtteilschulen wird aus Sicht der Liberalen der „Einheitslehrer“ geschaffen.
Für den Mai haben die fünf Verhandler zwei weitere Termine vorgemerkt. Nach den Wahlen zu den Bezirksversammlungen am 26. Mai wird sich im Lichte der Ergebnisse zeigen, wie groß die Neigung bei dem einen oder anderen noch sein wird, weitreichende Kompromisse in der Schulpolitik einzugehen. Wie gesagt, manchmal geht Strategie vor inhaltliche Überzeugung. Und: SPD und Grüne wollen gern vor den Sommerferien zu einem Abschluss kommen. CDU und FDP wollen sich dagegen nicht unter Zeitdruck setzen lassen.