Hamburg. Senator will Anteil von 50 Prozent. Erst elf Schulen haben diese Zielmarke erreicht. Wo der Mangel besonders groß ist.
Die Stadtteilschulen haben in diesem Jahr zum ersten Mal annähernd gleich viele Anmeldungen für die fünften Klassen des kommenden Schuljahres verzeichnet wie die Gymnasien. Seit ihrer Gründung im Jahr 2010 lagen die Stadtteilschulen stets mit deutlichem Abstand zurück.
Die gestiegene Attraktivität der Schulform, die aus Haupt-, Real- und Gesamtschulen sowie Aufbaugymnasien hervorgegangen ist, hängt eng mit dem Versprechen zusammen, einen Bildungsgang bis zum Abitur anzubieten. Voraussetzung für einen adäquat fördernden Unterricht in der Mittelstufe und die Einrichtung einer Oberstufe sind Lehrerinnen und Lehrer mit der Qualifikation Lehramt an Gymnasien.
40 Prozent Gymnasiallehrer
Ausweislich der Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage der CDU-Bildungspolitikerin Birgit Stöver ist der Anteil der unbefristet beschäftigten Gymnasiallehrkräfte an den 58 staatlichen Stadtteilschulen extrem unterschiedlich: Den niedrigsten Wert verzeichnet die Schule Auf der Veddel mit nur vier Prozent, den höchsten Wert die Heinrich-Hertz-Schule in Winterhude mit 60 Prozent.
Schulsenator Ties Rabe (SPD) hatte 2014 angekündigt, den Anteil der Gymnasiallehrer an der neuen Schulform deutlich erhöhen zu wollen. „Derzeit sind rund 40 Prozent der Lehrer an Stadtteilschulen Gymnasiallehrer. Das Ziel ist ein Anteil von 50 Prozent an allen Stadtteilschulen“, sagte Rabe damals.
Kaum Gymnasiallehrer an zehn Standorten
Fünf Jahre später haben erst elf Schulen die Zielmarke erreicht. Neben der Heinrich-Hertz-Schule sind es die Stadtteilschulen Bergedorf, Blankenese, Finkenwerder, Bahrenfeld und Stellingen sowie die Julius-Leber-Schule (Schnelsen), die Irena-Sendler-Schule (Wellingsbüttel), die Goethe-Schule-Harburg, die Otto-Hahn-Schule (Jenfeld) und die Lessing-Stadtteilschule (Harburg). Der Anteil liegt zwischen 50 und 56 Prozent.
An insgesamt 32 der 58 Stadtteilschulen – 55 Prozent – beträgt der Anteil der Gymnasiallehrkräfte 40 Prozent oder weniger. Darunter befinden sich zehn Standorte mit einem Anteil von nur 20 Prozent Gymnasiallehrern oder sogar weniger: Ilse-Löwenstein-Schule (Barmbek-Süd), Schule am See (Steilshoop), Brüder-Grimm-Schule (Billstedt), Schule Auf der Veddel und Schule Maretstraße (Harburg) sowie die Stadtteilschulen Wilhelmsburg. Ehestorfer Weg, Bramfeld, Stübenhofer Weg (Wilhelmsburg) und Flottbek.
Keine Chancengleichheit
Unter den Schulen mit einem sehr geringen Anteil an Gymnasiallehrern finden sich vor allem Standorte in sozial schwieriger Lage sowie ehemalige Haupt- und Realschulen, die in Stadtteilschulen umgewandelt wurden. „Dass unter den Schulen mit einem geringen Anteil vorrangig Standorte in sozial schwachen Gebieten zu finden sind, widerspricht der propagierten Chancengerechtigkeit“, kritisierte die CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Stöver.
Für das Abitur sei eine ausreichende Zahl an Gymnasiallehrern notwendig, so die CDU-Politikerin. „Bei nüchterner Betrachtung der großen Unterschiede zwischen vier und 60 Prozent muss schon die Frage nach der Vergleichbarkeit und der Qualität des Abiturs unter den Stadtteilschulen gestellt werden“, sagte Stöver. Zusätzlich sei zu fragen, wie hoch die Gymnasiallehrerquote mindestens sein müsse, damit an einem Standort überhaupt eine Oberstufe eingerichtet werden könne. Stöver kritisierte zudem, dass sich der Schulsenator bereits 2014 mit einem durchschnittlichen Anteil von 40 Prozent Gymnasiallehrern an den Stadtteilschulen „gerühmt“ hatte, obwohl viele Schulen diesen Wert bis heute noch nicht erreicht haben.
Bei Neueinstellungen erreicht der Anteil jetzt 54 Prozent
Rabe weist auf die Probleme bei der Umsteuerung hin. „Wir wollen weiterhin am Ziel festhalten, dass 50 Prozent der Lehrkräfte an Stadtteilschulen Gymnasiallehrkräfte sind“, sagte der SPD-Politiker dem Abendblatt. „Dieses Ziel kann nicht kurzfristig erreicht werden, denn einerseits arbeiten viele Haupt- und Realschullehrer an den Stadtteilschulen, sodass erst im Rahmen von Pensionierungen ein Wechsel möglich ist.“ Andererseits führe die angespannte Lage auf dem Lehrerarbeitsmarkt dazu, dass die Schulen auch weiterhin Grund-, Haupt- und Realschullehrer einstellen müssen, um ihren Personalbedarf zu decken.
Dahinter steckt die Tatsache, dass es Gymnasiallehrer gibt, die lieber an einem Gymnasium als an einer Stadtteilschule arbeiten. Hinzu kommt, dass zwar ein Teil der jungen Pädagogen aus Überzeugung Schulen in sozial schwierigen Lagen wählt, während andere genau diesen Schritt vermeiden wollen.
Rabe sieht trotz allem eine positive Tendenz. „Der Anteil der Gymnasiallehrkräfte wurde bei den Neueinstellungen an Stadtteilschulen kontinuierlich gesteigert“, sagte der Schulsenator. Im Schuljahr 2011/12 betrug der Anteil 38 Prozent und kletterte seitdem über 44 Prozent (2012/13) und 50,4 Prozent (2016/17) auf jetzt 54 Prozent. Langfristig stellt sich das Thema nicht mehr, weil es künftig nur noch ein einheitliches Lehramt für die weiterführenden Schulen gibt: das Lehramt an Gymnasien.