Hamburg. Die Schülerzahl steigt um 25 Prozent bis 2030. Senator Ties Rabe kündigt einen neuen Schulentwicklungsplan an.

Der markante und repräsentative Bau aus dem Jahr 1909 ist eines der schönsten Hamburger Schulgebäude: In dem Backsteinhaus Ecke Bundesstraße/Beim Schlump gegenüber dem Geomatikum in Rotherbaum war die Berufsschule William Lindley untergebracht. Über Jahrzehnte wurden in der Schule Gas- und Wasserinstallateure ausgebildet, deswegen auch „Klempnerfachschule“ genannt. Seit zwei Jahren steht das Gebäude weitgehend leer.

Doch das könnte sich bald ändern, weil die Schulbehörde wegen des enormen Schüleranstiegs dringend zusätz­lichen Schulraum benötigt. Schon in wenigen Jahren könnte in dem historischen Gebäude eine weiterführende Schule untergebracht werden, die damit an die ursprüngliche Nutzung des Gebäudes anknüpfte: Hier war seit 1910 das Heinrich-Hertz-Realgymnasium beheimatet, das viele jüdische Schüler hatte. Die Nationalsozialisten schlossen die Schule 1937 und fusionierten sie mit der Lichtwarkschule am Grasweg in Winterhude, heute die Heinrich-Hertz-Schule.

Angesichts der Dimension des Projekts, das vor der Stadt liegt, wird es darum gehen, alle vorhandenen Ressourcen zu überprüfen. Dennoch wird die Nutzung leer stehender Schulgebäude eher eine nebensächliche Rolle spielen. Nach aktuellen Prognosen wird die Zahl der Schüler bis 2030 um 25 Prozent wachsen. Derzeit besuchen rund 195.000 Schülerinnen und Schüler die allgemeinbildenden Schulen. „Künftige Prognosen laufen darauf hinaus, dass wir in den nächsten elf Jahren auf 240.000 anwachsen werden. Davon werden gut 40.000 in den staatlichen Schulen erwartet, die anderen 4000 bis 5000 in den Privatschulen. Das ist aus unserer Sicht eine sehr erfreuliche Entwicklung“, sagte Schulsenator Ties Rabe (SPD) im Gespräch mit dem Abendblatt.

Geburtenzahlen steigen

Entscheidend für den sehr großen Anstieg ist in erster Linie die Entwicklung der Geburtenzahlen. Laut Statistikamt wurden 2018 genau 21.388 Jungen und Mädchen geboren, die in fünf oder sechs Jahren auch eingeschult werden. Zum Vergleich: 2011 kamen 16.732 Kinder in Hamburg zur Welt – seitdem gab es also ein Plus von 28 Prozent. „Das ist ein gewaltiger Anstieg, der um drei- bis viermal so hoch liegt wie das parallel laufende Wachstum der Bevölkerung“, sagt Rabe. Laut aktueller Prognose werden Anfang der 30er-Jahre 1,983 Millionen Menschen in Hamburg leben.

„Die Schulbehörde entwickelt ein großes Ausbauprogramm für die Hamburger Schulen. Dazu zählt, dass wir 30 bis 40 neue Schulen gründen, Schulen erweitern und bestehende Schulen optimiert nutzen wollen“, sagte Rabe, der in den nächsten elf Jahren insgesamt mit einem „Volumen von mindestens vier Milliarden Euro“ rechnet. „Das wird eines der größten Investitionsprojekte der Stadt“, sagte der SPD-Politiker.

„Die Summe ist deswegen nötig, weil wir uns entschieden haben, dass an der Qualität nicht gespart wird. In vielen anderen Bundesländern wird das Wachstum abgepuffert, indem die Klassengrößen angehoben werden. Das wollen wir nicht. Und wenn wir das nicht wollen, dann brauchen wir mehr Schulgebäude“, sagte Rabe.

Schulen erweitern

Die Neugründungen werden Grund-, Stadtteilschulen und Gymnasien umfassen, ohne dass jetzt schon gesagt werden könnte, zu welchen Anteilen und wo. Ein Problem für die Planer liegt darin, dass das Schülerwachstum nicht gleichmäßig über die Stadt verteilt ist. „Das Wachstum ist besonders stark zum Beispiel in den Innenstadtbereichen, also etwa in den Kerngebieten Altona und Eimsbüttel, die eigentlich schon immer dicht bebaut waren. Da nützt es mir nichts, wenn in Billstedt oder Neuallermöhe ein Schulgebäude leer steht“, erläuterte der Senator. Mit einem erheblichen Schülerwachstum wird etwa auch in Neugraben gerechnet, weil dort viele Wohnungen gebaut werden.

Abseits von den Neubaugebieten wird es vielfach darum gehen, Schulen auf den vorhandenen Grundstücken zu erweitern. „Schließlich können wir aber auch an vielen Standorten Raumreserven aktivieren“, sagte Rabe. Gerade viele Grundschulen befänden sich in einem Gebäude, das früher eine Grund-, Haupt- und Realschule beherbergt habe. „Diese Raumreserven kann man nicht sofort eins zu eins sofort nutzen. Man muss vielleicht Kantinen vergrößern, oder die Schulturnhallen passen nicht mehr“, so Rabe. Aber das Gebäude habe eine Grundstruktur, die auch mehr Schüler aufnehmen könne.

Neuer Schulentwicklungsplan

„Am Ende steht ein neuer Schulentwicklungsplan. Intern brauchen wir kein halbes Jahr mehr, um etwas vorzulegen. Dann wird es eine gründliche öffentliche Beteiligung geben“, sagte Rabe. Für das Verfahren gibt es feste Regeln. So werden die Eltern-, Schüler- und Lehrerkammer, die Schulen und die Bezirke angehört und der Schulausschuss der Bürgerschaft beteiligt. Über den Plan entscheidet letztlich die Schuldeputation, nicht die Bürgerschaft. „Wir machen keine Hektik. Das Ziel ist, dass alle sagen: Das ist ein guter Plan“, sagte Rabe.

Der SPD-Politiker verwies darauf, dass Schulen schon in den zurückliegenden Jahren zum Teil stark ausgebaut wurden. „Bis auf wenige Einzelbeispiele ist das auf sehr viel Wohlwollen in den Schulgemeinschaften getroffen. Ich will ja keine Schulen schließen. Deswegen rechne ich in Zukunft nicht mit so großen Konflikten“, sagte Rabe.

3500 zusätzliche Lehrer werden benötigt

Zuletzt hatte es Proteste von Eltern, Lehrern und Schülern der Max-Brauer-Schule in Bahrenfeld gegen den Plan gegeben, die dortige Grundschule von drei auf sechs Züge zu erweitern. Obwohl etliche Schulen vor vergleichbaren Erweiterungen stehen, erwartet Rabe keine signifikante Zunahme solcher Proteste. „Wir sollten uns nicht von einer kleinen Minderheit eine Diskussion aufdrängen lassen, die im Schulsystem bislang eigentlich keine Rolle spielt“, sagt Rabe.

Es gebe schon seit Längerem Grundschulen mit sechs oder sogar sieben Parallelklassen. „Das stört Eltern und Kinder überhaupt nicht. Im Gegenteil: Gerade unsere größten Schulen gehören zu den beliebtesten. Größe führt auch nicht zu Einbußen bei der Qualität“, sagte der SPD-Politiker, der allerdings hinzufügte: „Bei den Grundschulen werden wir über sechs, sieben Züge nicht hinausgehen. Bei den weiterführenden Schulen sehe ich die Grenze bei acht Parallelklassen, die einige schon jetzt erreicht haben.“

Rabe kündigte an, auch bei der Lehrerausbildung „noch mal eine Schippe drauflegen zu müssen“. Bei der Referendarsausbildung sei das bereits geschehen, in der ersten Phase, dem Lehramtsstudium an der Universität, noch nicht. „Wir werden mehr als 3500 zusätzliche Lehrerstellen benötigen. Der Senat hat sich auch hier vorgenommen, nicht an der Qualität zu sparen“, sagte Rabe.