Mareile Kirsch und Stefanie Krüger von der Initiative „G9-Jetzt-HH“ erheben schwere Vorwürfe gegen Schulsenator Ties Rabe. Dessen Vorgehen halten sie für Wahlkampftaktik.
Hamburg. Die SPD hat angekündigt, der Volksinitiative „G9-Jetzt-HH“ kein Kompromissangebot zur Einführung des längeren Wegs zum Abitur am Gymnasium vorzulegen. Damit ist klar, dass es nach den Sommerferien zum Volksbegehren über die Wiedereinführung von G9 kommt. Das Abendblatt sprach mit Initiativengründerin Mareile Kirsch und Stefanie Krüger, die zum Kernteam von „G9-Jetzt-HH“ gehört.
Hamburger Abendblatt: Hat es Sie überrascht, dass die SPD jetzt nicht mehr mit Ihnen verhandeln will?
Mareile Kirsch: Das hat sich bereits länger abgezeichnet. Mir war das in dem Moment klar, als Schulsenator Ties Rabe ankündigte, die Schulen nach ihrer Meinung zu G9 zu befragen. Das ist eine Methode, uns auszutricksen und unserem Volksbegehren den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Was ist Ihrer Ansicht nach die Strategie der SPD?
Kirsch: Im Grunde müssen Sie das die SPD fragen. Aber mir scheint der Plan der SPD so zu sein: Wir sollen das Volksbegehren durchführen. Wenn wir erfolgreich sind, springt die SPD auf und wird einen Vorschlag aus dem Hut zaubern, mit dem sie bei der Bürgerschaftswahl versucht, Stimmen zu holen.
Warum geht die SPD so vor?
Kirsch: Die SPD will sich eine Option für die Vorwahlzeit erhalten. Da geht es vorrangig um Wahltaktik.
Fühlen Sie sich verschaukelt – immerhin war ja sehr lang von ergebnisoffenen Verhandlungen die Rede?
Kirsch: Ich bewerte das Ganze nicht gern, sondern nehme es so hin, wie es ist. Uns ist auch daran gelegen, dass der Gesprächsfaden zur SPD nicht abreißt. Wir haben eine gute Gesprächsgrundlage mit dem Fraktionsvorsitzenden Andreas Dressel. Die bleibt uns erhalten.
Umso erstaunlicher ist die Entwicklung.
Kirsch: Das ist Herr Rabe. Auch Herr Dressel ist ein geschickter Taktierer. Aber die beiden spielen ein bisschen guter Polizist – böser Polizist. Für Herrn Rabe ist diese Rolle allerdings maßgeschneidert. Er kann Dinge so böse verdrehen, dass es mir manchmal die Sprache verschlägt.
Woran denken Sie?
Kirsch: Was er in seinen Texten behauptet, entspricht bisweilen einfach nicht der Wahrheit. So sollen die erforderlichen Um- und Neubauten von Schulen bei Einführung von G9 insgesamt 80 Millionen Euro kosten – angeblich wegen zusätzlicher Schüler. Doch beim letzten Jahrgang des neunjährigen Abiturs vor vier Jahren hatten wir genau diese 3000 Schüler mehr, die laut Rechnung von Herrn Rabe nun ein Jahr länger in den Schulen blieben. Das ist Panikmache und Schreckensverbreitung, die ich nicht ernst nehmen kann, aber bedenklich finde.
Ist Ihre Position nicht schwächer geworden als noch vor einigen Monaten? Anfang des Jahres waren 70 Prozent in einer Meinungsumfrage für G9 am Gymnasium, jetzt nur noch 42 Prozent.
Kirsch: Die jüngste Umfrage ist für uns eine absolute Ermutigung. Das Ergebnis ist zustande gekommen trotz gigantischer Kampagne an den Schulen gegen die Wiedereinführung des G9. Es ist richtig, dass die Gruppe der G9-Befürworter kleiner geworden ist, aber sie sind zum größten Teil nicht zu G8-Befürwortern geworden, sondern gehören zu den 22 Prozent Unentschiedenen. Sie wurden verunsichert – ein Ergebnis der Anti-G9-Kampagne des Senats. Das ist eine erschreckende Politik, die die Wünsche der Eltern nicht ernst nimmt.
Stefanie Krüger: Ich habe als Elternratsvorsitzende in Bergedorf viele Kontakte zur Basis. Viele Eltern sind verunsichert, auch weil Herr Rabe behauptet hat, dass der Schulbau sofort gestoppt würde, wenn der Volksentscheid zu unseren Gunsten ausgeht. Ich spüre aber jetzt in vielen Gesprächen mehr Zustimmung als vorher. Viele kommen zu mir, um sich auf unseren Listen registrieren zu lassen.
Kirsch: Ich beobachte eine Trotzreaktion, viele haben die tägliche Berieselung mit Katastrophenszenarien an den Gymnasien satt. So etwas Ähnliches haben wir schon einmal bei der Diskussion um die Primarschule erlebt, als Senat und Bürgerschaft auch eine gigantische Propagandamaschine in Gang gesetzt haben. Irgendwann werden die Menschen ärgerlich.
Wie gehen Sie nun weiter vor?
Kirsch: Wir sind weiterhin offen für Gespräche, falls man auf uns zukommen sollte, bereiten uns aber nun mit ganzer Kraft auf das Volksbegehren im September vor. Dabei ist uns ein enger Kontakt zur Basis am wichtigsten. An die kommen wir über die Schulen nicht heran, vielfach wurden unsere Informationen dort gar nicht an die Eltern weitergeleitet. Deshalb gehen wir auf die Straße und sprechen mit den Menschen. Am Wochenende waren wir auf zwei Kinderfesten, eines davon in den Wallanlagen. Da sind wir auf unheimlich große Resonanz gestoßen.
Wie sieht Ihre Kampagne aus?
Kirsch: Wir haben viele Hundert Leute in unseren Verteilern, die sich angemeldet haben, damit wir ihnen im September die Unterschriftenformulare zuschicken. Wir rechnen damit, dass jeder Unterstützer mindestens 30 Unterschriften sammelt. In drei Wochen 70.000 Unterschriften zusammenzubekommen ist eine echte Herausforderung für eine Gruppe ehrenamtlich engagierter Eltern, Schüler und Lehrer, wie wir es sind.
Krüger: Aber wir sind kampagnenerfahren. Einige von uns haben das bei der Primarschulreform oder auch bei anderen Volksbegehren schon mal gemacht und wissen, wie es funktioniert.
Kirsch: Wir haben eine Spendenplattform gegründet. Bei uns melden sich zudem Leute, die schon jetzt ankündigen, dass sie im September an einem, zwei oder mehr Sammlertagen bereitstehen.
Mit welcher genauen Forderung gehen Sie in das Volksbegehren? Es heißt, Sie werden den Wortlaut noch ändern.
Kirsch: Wir werden unsere Forderung modifizieren und konkretisieren, aber nur in sehr begrenztem Umgang – da gibt es enge rechtliche Grenzen. Wir bringen ein, zwei Punkte hinein, die klarstellen werden, dass manches, was in unser Anliegen hineininterpretiert wird, falsch ist.
Seit wir vor eineinhalb Jahren angetreten sind, hat sich viel getan. Es gibt viele Vorschläge zur konkreten Umsetzung, beispielsweise vom bayerischen Philologenverband. Der schlägt vor, G8 in Form des begleiteten Springens anzubieten. Da kann ein Kind in der höheren Mittelstufe eine Klasse überspringen und wird dabei intensiv pädagogisch betreut. Das ist ideal für kleine Schulen, die nicht G8- und G9-Züge parallel anbieten können.
Mögliche Umsetzungsmodelle werden wir im Begleitmaterial zum Volksbegehren erläutern. Unsere Grundforderung bleibt, dass alle Eltern in Hamburg jeweils für ihr Kind ein G8- und ein G9-Modell finden sollen.
Ein kritischer Punkt ist der Zeitpunkt der Einführung. Bei Ihnen heißt es „unverzüglich“. Das hält die SPD für schwer umsetzbar.
Kirsch: Wir haben uns immer für unterschiedliche Modelle offen gezeigt. In Baden-Württemberg beispielsweise haben sich zunächst 22 Schulen umgestellt, und eine zweite Tranche folgte dann ein Jahr später. Den genauen Text des Volksbegehrens werden wir in den kommenden Wochen vorstellen. Eins ist aber klar: Das G9 an Gymnasien werden Eltern in Hamburg nur mit einem erfolgreichen Volksbegehren bekommen.