Anhörung im Schulausschuss der Bürgerschaft zeigt auch Mängel beim Turbo-Abi auf. Die Schülerkammer fordert längere und sinnvolle Pausen am G8-Gymnasium.
Hamburg. So viel Einigkeit ist unter Experten selten: Alle zehn Sachverständigen, die der Schulausschuss der Bürgerschaft am gestrigen Dienstagabend befragte, lehnen die Rückkehr zum längeren Weg zum Abitur (G9) am Gymnasium ab. Die meisten sehen allerdings durchaus Verbesserungsbedarf beim bestehenden Bildungsgang G8.
Selbst der Erziehungswissenschaftler Prof. Matthias von Saldern von der Leuphana Universität in Lüneburg, der im Prinzip für längere Schulzeiten ist, wandte sich gegen das von der Volksinitiative „G9-Jetzt-HH“ vorgeschlagene Modell für alle Hamburger Gymnasien. „Ich war vor zehn Jahren gegen die Einführung von G8, und die Argumente gelten für mich bis heute“, sagte von Saldern vor rund 80 Zuhörern im Festsaal des Rathauses. Bildung brauche Zeit.
„Aber in Hamburg ist die Schulsituation eine völlig andere als in den meisten Ländern: Hier gibt es bereits flächendeckend G9 an den Stadtteilschulen“, sagte der Wissenschaftler. „Hören Sie in Hamburg bloß auf, Ihr Schulsystem schlechtzureden.“ Allerdings gebe es durchaus Nachbesserungsbedarf bei G8. Die Politik müsse die Argumente der G9-Befürworter etwa hinsichtlich der Belastungen für die Schüler ernst nehmen und für Minderungen sorgen.
„Für fast alle Befürchtungen der G8-Gegner fehlen empirische Belege“, sagte Prof. Olaf Köller vom Kieler Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik. Es gebe kaum Leistungsunterschiede zwischen G8- und G9-Schülern, G8 schließe die sozial Benachteiligten nicht aus, und ob G8-Schüler stärker belastet seien, ließe sich wissenschaftlich seriös nicht beurteilen. „Aber eines unterscheidet beide Gruppen: G8-Schüler haben weniger Freizeit“, sagte Köller.
Die Schülerkammer fordert längere und sinnvolle Pausen am G8-Gymnasium
Die Eltern-, Lehrer- und Schülervertreter, die der Ausschuss eingeladen hatte, waren sich weitgehend einig darin, dass die Gymnasien nach etlichen Reformjahren keine neue Strukturdebatte brauchen. „Wenn wir am Gymnasium G9 einführen, lautet die Frage, was diese Schulform eigentlich von der Stadtteilschule unterscheidet?“, sagte Egon Tegge von der Vereinigung der Leitungen Hamburger Gymnasien und Studienseminare. Es gebe eine „gewisse Reformmüdigkeit“ unter den Lehrern.
Helge Pepperling (Deutscher Lehrerverband) wies auf die ebenfalls hohe Stundenbelastung der Stadtteilschüler hin. „Und so schlimm kann es am Gymnasium nicht sein, die Anmeldezahlen sind deutlich gestiegen.“ Auch die Elternkammer lehnt die Rückkehr zu G9 ab. „Stress ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. G9 kann nicht helfen, Stress zu verringern“, sagte der Vorsitzende Gerrit Petrich. „Der Unterschied zwischen der Stadtteilschule und dem Gymnasium mit G9 wäre nicht mehr klar“, sagte Melissa Kleist von der Schülerkammer. Wichtig seien längere und sinnvolle Pausen bei G8.