Anwälte lehnen Auslieferung ab - Gericht entscheidet Anfang Juni. Die Piraten hatten an Ostern den Frachter “Taipan“ entführt.

Amsterdam/Hamburg. Sie klagen über Magenverstimmung wegen des holländischen Gefängnisessens. Über Schlaflosigkeit und Heimweh nach ihren Familien in Somalia, auch wenn das Land völlig zerrüttet sei. Mit Hilfe von vier erfahrenen Anwälten wehren sich zehn mutmaßliche somalische Seeräuber in den Niederlanden gegen ihre Überstellung an die Justiz in Hamburg. Mit teils haarsträubenden Argumenten, wie am Freitag die Anhörung zum deutschen Auslieferungsersuchen im Amsterdamer Hochsicherheitsgericht mit dem durchaus treffenden Beinamen „De Bunker“ zeigte.

Als ein Hauptargument für den Widerspruch der zehn Verdächtigen gegen die Auslieferung an Deutschland machte der prominente Amsterdamer Verteidiger Michiel Balemans geltend, das gekaperte Containerschiff sei vielleicht gar kein deutsches. Jedenfalls fänden sich im Internet und in Schiffsregistern zur „Taipan“, die kurz vor Ostern 500 Seemeilen vor Somalia überfallen wurde, verschiedene Angaben. Mal heiße es, die „Taipan“ fahre unter deutscher Flagge, dann wieder unter der Bahamas oder auch Liberias. Möglicherweise seien also gar nicht Richter in Hamburg, sondern auf den Bahamas oder in Liberia zuständig – Länder, an die Holland niemanden ausliefern würde.

Zwar widersprach die Hamburger Reederei Komrowski, der die „Taipan“ gehört, umgehend. Das gekaperte Containerschiff sei eindeutig unter deutscher Flagge unterwegs gewesen, sagte Geschäftsführer Roland Höger. Doch im Gerichtssaal zählt das nicht. Abgesehen vom noch amtlich zu klärenden Flaggenstreit, so die Verteidiger übereinstimmend, habe der niederländische Staat den Fall „de facto“ bereits übernommen und könne ihn nun nicht mehr an Deutschland abgeben. Begründung: Nachdem die mutmaßlichen Piraten am Ostermontag (5. April) auf der „Taipan“ von Marinesoldaten der Niederlande nach einem kurzen Gefecht überwältigt worden waren, seien sie von Offizieren verhört worden. „Dabei ging es nicht nur um die Personalien, sondern bereits um potenzielle Straftatbestände“, sagt einer der Anwälte. „Damit haben die Niederlande das Verfahren praktisch eröffnet."

Die Vorsitzende Richterin Ans Davids sieht nicht wirklich zufrieden aus, als sie dieser juristischen Argumentation zuhört. Staatsanwältin Marianne Lenars verweist sie denn auch in das Reich von Fabeln. Es gebe keinerlei Zweifel an der Redlichkeit des deutschen Auslieferungsbegehrens, sagt sie. „Es entspricht zudem der üblichen europäischen Praxis und den Verträgen, die wir mit Deutschland haben.“ Dass die niederländische Marine bei der ersten Befragung der Piraten zu weit gegangen sei, treffe einfach nicht zu. Am 4. Juni, erklärt schließlich die Richterin, werde es ein Urteil geben. Bis dahin werde das Gericht alle Argumente prüfen. Dann fragt sie die Verdächtigen, ob sie selbst noch etwas hinzuzufügen haben. Was nun folgt, war ein Vorgeschmack darauf, dass ein Piratenprozess gegen Verdächtige aus Somalia in Hamburg mindestens ebenso viele Emotionen freisetzen könnte wie vor 600 Jahren das Verfahren gegen den legendären Seeräuber Klaus Störtebeker und seine Mannen.

„Wenn ich nach Deutschland muss, dann bringe ich mich vielleicht eher in meiner Zelle um“, sagt der Verdächtige Abdel Kader Abdullei Sahal. Was an Deutschland schrecklicher sein soll als an den Niederlanden, sagt er nicht. Dann kommt der Jüngste zu Wort. Abdelkader Ahmed Warsami. Er sei erst 13, hatte er behauptet. Ein Gutachter fand, er wirke eher wie 16. Egal, befand das Gericht. Unter 18 sei er jedenfalls, daher müsse sein Fall unbedingt nach dem Jugendstrafrecht gehandhabt werden.

Vor den Anwesenden im „Bunker“ kommen dem Jugendlichen die Tränen. „Ich kann nicht schlafen hier“, sagt er. „Ich denke immer an meine Familie, an meine Mutter. Ich will nach Hause, ich will meine Freiheit.“ Am längsten spricht Hussein Arab Mohammed. Er behält als einziger seine Mütze auf und redet auch, als sei er der Anführer der Truppe: „Bei uns in Somalia geht es den Menschen schlecht. 30 Prozent der Bevölkerung sind schon im Krieg getötet worden.“ Auch seine Eltern und eine Schwester seien umgekommen. Er müsse „in einem wirklich armen Land“ für eine Frau und drei Kinder sorgen. „Das ist die Wahrheit, was soll ich tun?“ Eine Antwort bekommt er nicht.