Hamburgs Bürgermeister spricht im Interview über die Schulreform und gibt eine Empfehlung für eine Koalition im Saarland ab.
Hamburger Abendblatt:
Herr von Beust, wird es nach den Erfolgen der Linkspartei bei den Landtagswahlen nun eine neue "Rote Socken"-Kampagne der CDU geben oder geben müssen?
Ole von Beust:
Nein, mit Sicherheit nicht. Die Wahlkampfstrategie der Union setzt auf die Kanzlerin, Inhalte und eine Koalition mit der FDP. Nebenbei: Es hat ja schon Warnungen vor der Linkspartei im Saarland und Thüringen gegeben - ohne Erfolg.
Abendblatt:
Sollte Angela Merkel ihre Zurückhaltung im Wahlkampf jetzt ablegen, mehr Profil zeigen und kämpfen?
Von Beust:
Sie hat doch Profil. Sie führt mit großem Abstand in der Beliebtheitsskala vor ihrem Gegenkandidaten. Sich im Wahlkampf als anderer Mensch zu geben und plötzlich mit Schaum vorm Mund aufzutreten - das ist unglaubwürdig. Ihr Kapital ist ihre Glaubwürdigkeit.
Abendblatt:
Empfehlen Sie aufgrund Ihrer Erfahrungen mit der GAL in Hamburg dem saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller, jetzt eine Jamaika-Koalition anzustreben?
Von Beust:
Unbedingt. Hamburg zeigt, dass Länder mit einem Bündnis von CDU und Grünen sehr gut fahren können. Eine Regierungsbeteiligung der Grünen führt keinesfalls zu Nachteilen, im Gegenteil. Ich habe dem Kollegen Müller gesagt, dass ich gern mit Rat und Tat zur Seite stehe, wenn es zu ernsthaften Gesprächen mit FDP und Grünen im Saarland kommen sollte.
Abendblatt:
So ein Bündnis gibt es aber nicht zum Nulltarif.
Von Beust:
Ich habe Herrn Müller auch gesagt, dass ein wichtiges Thema der Grünen das längere gemeinsame Lernen ist. Da wird sich die CDU bewegen müssen. Übrigens hat auch die FDP in Sachsen längeres gemeinsames Lernen zum zentralen Ziel der Koalitionsverhandlungen mit der CDU erklärt.
Abendblatt:
Wird Hamburg mit seiner Schulreform zum Modell oder Vorbild für Deutschland?
Von Beust:
Das würde mich freuen! Das Schulsystem, das wir jetzt haben, ist nicht gerecht. Das neue System mit Primar-, Stadtteilschulen und Gymnasien wird die Chancen aller Schülerinnen und Schüler verbessern. Davon bin ich überzeugt.
Abendblatt:
Was kann die CDU in Hamburg bei der Bundestagswahl erreichen?
Von Beust:
Ich hoffe, dass wir zumindest das Ergebnis von vor vier Jahren wiederholen können. Damals haben wir 28,9 Prozent der Stimmen geholt.
Abendblatt:
Vor vier Jahren hat die SPD alle sechs Direktmandate gewonnen. Wie viele kann die CDU der SPD diesmal abjagen?
Von Beust:
Unser Ziel sind drei Direktmandate: In Nord ist das drin, in Eimsbüttel auch, und in Wandsbek gibt es immer ein großes Potenzial.
Abendblatt:
Seit zwei Monaten ist das AKW Krümmel wegen eines Störfalls erneut abgeschaltet. Sollte der Reaktor überhaupt wieder ans Netz gehen?
Von Beust:
Das ist weniger eine Frage der Politik als eine des Rechts. Wenn die Aufsichtsbehörde in Schleswig-Holstein zu dem Ergebnis kommt, dass Vattenfall die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Betriebs geschaffen hat, wird man das nicht verhindern können. Ich will allerdings nicht, dass Krümmel über das vorgesehene Ende der Laufzeit 2012 hinaus betrieben wird.
Abendblatt:
Halten Sie Vattenfall noch für einen verlässlichen, seriösen Kraftwerksbetreiber?
Von Beust:
Ich denke schon. Meiner Einschätzung nach ist Vattenfall nach den ganzen Vorkommnissen in den Kraftwerken aufgewacht. Die Zerknirschung darüber ging bis in höchsten Spitzen des Unternehmens hinein. Ich halte nichts davon, das Unternehmen zu verdammen. Schließlich geht es auch um rund 1000 Arbeitsplätze in Hamburg, da sind übrigens auch zahlreiche frühere HEW-Mitarbeiter dabei.
Abendblatt:
Für Ihren Koalitionspartner ist Vattenfall ein Hauptgegner.
Von Beust:
Ich will keinen Krieg gegen das Unternehmen führen. Ich will nicht, dass die Arbeitsplätze verloren gehen. Im Gegenteil: Ich hoffe, dass die Schwierigkeiten bei Vattenfall zu einem Umdenken geführt haben.
Abendblatt:
Haben die Störfälle in Krümmel und anderen Kraftwerken Ihre Haltung zur Atomenergie verändert?
Von Beust:
Nein. So unschön die Störfälle waren, es hat keine Gefahr für die Bevölkerung bestanden. Trotzdem ist das Grundvertrauen in dieses Kraftwerk bei der Bevölkerung nicht mehr vorhanden. Deswegen wird dieses Kraftwerk bei der von der CDU geforderten Verlängerung von Laufzeiten nicht dabei sein.
Abendblatt:
Bis 2013 muss Hamburg voraussichtlich sechs Milliarden Euro neue Schulden machen - das ist einsamer Negativrekord. Ist das schon das Ende des politischen Gestaltens?
Von Beust:
Nein. Wir gestalten ja weiter - zum Beispiel in der Bildungs- oder Verkehrspolitik. Aber es ist eine enorme Aufgabe sicherzustellen, dass die Schulden möglichst schnell zurückgezahlt werden. Zudem wollen wir die Zinsen für die neuen Schulden aus dem laufenden Haushalt bezahlen. Das werden am Ende 500 Millionen Euro sein. Wir werden Investitionen streichen oder auf später verschieben müssen und es wird Einsparungen im Betriebshaushalt geben.
Abendblatt:
Nennen Sie uns doch mal die Tabubereiche!
Von Beust:
Es gibt keine Tabubereiche. Unsere Schwerpunkte sind Bildung, Klimaschutz und verkehrliche Infrastruktur. Das heißt aber nicht, dass nicht auch in diesen Bereichen gespart werden kann.
Abendblatt:
Hamburg hat eines der teuersten Systeme der Kinderbetreuung. Das ist ein wichtiger Standortfaktor, aber kann sich die Stadt das noch leisten in der Krise?
Von Beust:
Ich warne davor, in diesem Bereich irgendetwas zurückzudrehen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hängt maßgeblich von verlässlicher Kinderbetreuung ab. Nicht zuletzt geht es aber auch um die Frage der Integration von Kindern mit Migrationshintergrund. In einigen Stadtteilen liegt deren Anteil bei 70 Prozent. Bildung und Integration sind die Schlüssel der Politik, gerade in Ballungsgebieten.
Abendblatt:
Wird die Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Kita-Besuch für die Zweijährigen verschoben, wie es Sozialsenator Dietrich Wersich vorgeschlagen hat? So ließen sich etliche Millionen einsparen.
Von Beust:
Eine schwungvolle Idee, wie eine Reihe anderer auch. Wir werden das intern beraten und Ende Oktober, Anfang November entscheiden.
Abendblatt:
Was halten Sie von einem neuen Versuch, die NPD zu verbieten, wie es die Hamburger SPD jetzt gefordert hat?
Von Beust:
Der Versuch ist dann sinnvoll, wenn man mit 99-prozentiger Sicherheit sagen kann, dass er erfolgreich sein wird. Das Hauptproblem ist, dass wir Erkenntnisse von V-Leuten des Verfassungsschutzes nicht verwenden dürfen. Man muss abwägen: Entweder öffentliche Kontrolle oder Verbot und Illegalität der Partei mit der Folge, dass die Kontrolle schwieriger wird. Ich bin in dieser Frage offen.
Abendblatt:
Warum gerät der Senat in der HSH-Nordbank-Krise immer wieder in die Defensive? Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Wahrheit stets scheibchenweise ans Licht kommt, wie zuletzt beim Thema Halteprämien.
Von Beust:
Ich teile den Eindruck nicht so ganz. Im Fall der Sonderzahlung an Vorstandschef Nonnenmacher haben wir selbst den Vorgang bekannt gemacht. Eine Schwierigkeit in den zurückliegenden Monaten war aber sicher, dass es noch keinen Aufsichtsrat gab. Dadurch entstand ein gewisses Vakuum, das die Politik füllen sollte. Dazu gilt es jedoch festzuhalten: Zwar sind wir beteiligt an der Bank, aber es ist damit noch lange keine volkseigene Bank. Rechtlich handelt es sich um eine Privatbank.
Abendblatt:
Ist es nicht so: Die Politiker sind auf Transparenz angewiesen, weil sie ihr Handeln plausibel begründen müssen. Das Geschäftsinteresse der Bank ist auf Diskretion ausgerichtet.
Von Beust:
Ich warne vor einer Einmischung in das operative Geschäft der Bank. Auch die Saga, die anders als die Bank wirklich ein städtisches Unternehmen ist, macht ihre eigene Geschäftspolitik. Ich rate der Bank aber dringend, mit großer Offenheit vorzugehen. Die Bank ist im Blickpunkt der Öffentlichkeit, Geheimniskrämerei hilft nicht weiter und schafft kein Vertrauen.
Abendblatt:
Der Unterschied zur Saga ist, dass es bei der HSH Nordbank nicht läuft.
Von Beust:
Uns geht es nicht um die Bank, sondern um die Kunden. Wenn wir die Bank nicht gestützt hätten, dann wären vor allem im maritimen Bereich viele Firmen mit Tausenden von Arbeitsplätzen in Schwierigkeiten geraten. Sie zu stabilisieren und zu unterstützen ist eine der Kernaufgaben der Bank. Wir reden dabei von insgesamt rund 150 000 Arbeitsplätzen. Wenn die gefährdet wären, wäre das ein Fiasko.
Abendblatt:
Wollen Sie persönlich Schwarz-Grün in Hamburg zum Erfolg führen?
Von Beust:
Das kann ich noch nicht sagen. Das entscheidet sich 2012. Ich rate der CDU dringend, dieses Bündnis fortzusetzen. Die Grünen müssen wissen, was sie machen. Was mich persönlich angeht: Ich muss für mich in einem angemessenem Zeitraum vor der Wahl entscheiden, ob ich noch einmal antrete oder nicht.
Abendblatt:
Heißt das, Sie schließen einen Wechsel nach Berlin nach der Bundestagswahl aus?
Von Beust:
Ich fühle mich in Hamburg wohl. Mich zieht nichts nach Berlin. Und es gibt keine Anfragen. Ehrlich gesagt, die Wahrscheinlichkeit ist gering, sowohl was meine eigene Lust angeht als auch das Angebot aus Berlin.
Abendblatt:
Kann es aus Sicht der Kanzlerin und CDU-Vorsitzenden eventuell vorrangig sein, dass Ole von Beust in Hamburg bleibt, um die Stabilität von Schwarz-Grün zu garantieren?
Von Beust:
Das kann durchaus sein. Aber niemand ist unersetzbar. Nochmal: Ich mache das gern und will gar nicht weg.