Die Schulsenatorin und Zweite Bürgermeisterin will versuchen Schul-Reformpläne besser zu erklären. Schlaflose Nächte hatte sie vor der Entscheidung über die Hilfen für die HSH Nordbank.

Hamburger Abendblatt:

Frau Goetsch, was haben Sie am vorvergangenen Sonnabend zwischen 11 und 13 Uhr gemacht?

Christa Goetsch:

Ich war auf dem Weg zur Klausurtagung der GAL-Bürgerschaftsfraktion in der Lüneburger Heide.



Abendblatt:

In dieser Zeit haben rund 5000 Hamburger gegen Ihre Schulreform demonstriert. Welchen Stellenwert hat dieser Protest für Sie?

Goetsch:

Es ist völlig legitim und ein demokratisches Recht zu demonstrieren. Ein bestimmter Ausschnitt der Hamburger Elternschaft hat protestiert. Ich persönlich und mein Team nehmen die Kritik und die Besorgnis ernst. Mir ist allerdings wichtig, dass die in der Stadt verbreiteten Fehlinformationen über die Reform ausgeräumt werden.



Abendblatt:

Woran denken Sie?

Goetsch:

Es wird zum Beispiel behauptet, dass die Klassenlehrer abgeschafft werden sollen. Das entbehrt jeglicher Grundlage. Ich sage ganz klar: Die Klassenverbände in der Primarschule werden nicht aufgelöst.



Abendblatt:

Glauben Sie, dass Sie auch nur einen einzigen der 5000 noch von der Primarschulreform überzeugen können?

Goetsch:

Es waren ja über 1000 Kinder dabei, insofern sind die Chancen groß. Im Ernst: Ich glaube, die Zeit wird für uns arbeiten, wenn man erst einmal die Verbesserungen in den Schulen sieht: die kleineren Klassen, die gut fortgebildeten Lehrer und die Ganztagsschulen.



Abendblatt:

Was können Sie Ihren Kritikern anbieten, um sie zu überzeugen? Wo ist noch Luft in Ihrem Konzept?

Goetsch:

Die Grundlinien stehen fest und stehen im Koalitionsvertrag. Es wird eine fachliche und parlamentarische Diskussion über den Schulgesetz-Entwurf geben. Wir werden zum Beispiel die Stellungnahmen der Eltern-, Lehrer- und Schülerkammer einarbeiten. Das ist ein Prozess, der bis zum Herbst andauern wird.



Abendblatt:

Ist Herr Scheuerl, der Sprecher der Volksinitiative gegen die Primarschule, für Sie ein Gesprächspartner?

Goetsch:

Herr Scheuerl ist ein eifriger Besucher meiner Veranstaltungen, deshalb habe ich schon ab und zu mit ihm diskutiert.



Abendblatt:

Stehen wir jetzt vor einer Art Klassenkampf in der Schulpolitik? Auf der einen Seite die (Bildungs-)Elite, die das Gymnasium unverändert lassen will. Auf der anderen Seite die Reformer wie Sie, die im Namen der Benachteiligten das Schulsystem gerechter machen wollen?

Goetsch:

Das ist zu einfach gedacht. Sehr viele bildungsinteressierte Eltern oder auch Menschen ohne Kinder sagen, dass wir nicht im ständischen System des vorletzten Jahrhunderts bleiben können. Wir müssen unser Bildungssystem nicht nur gerechter, sondern auch leistungsfähiger machen. Im Übrigen: Wir krempeln nicht das ganze Schulsystem um, sondern entwickeln es weiter.



Abendblatt:

Sie müssten eigentlich einen Rochus auf Banker haben ...

Goetsch (lacht):

Ich weiß, worauf Ihre Frage zielt ...



Abendblatt:

Die durch die Banken ausgelöste Weltwirtschaftskrise schränkt ihren finanziellen Spielraum ein. Dann noch das Milliarden-Stützungspaket für die HSH Nordbank.

Goetsch:

Das alles hat uns viele schlaflose Nächte bereitet. Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht. Aber Sie spielen ja darauf an, ob das Auswirkungen auf die Schulpolitik hat. Es gibt in der Koalition die klare Verabredung, dass wir bei Kita, Schule und Hochschule keine finanziellen Abstriche machen. Es wäre gerade in der Krise völlig falsch, die Bildungsausgaben zu senken.



Abendblatt:

Ist das Regieren in der Krise schwieriger als in ruhigen Zeiten?

Goetsch:

Solange ich im Amt bin, war es nie ruhig. Insofern kann ich die Frage nicht beantworten. Wir haben uns von Anfang an Krisen stellen müssen und sind damit, wie ich finde, professionell umgegangen: der Fall Morsal, die Auseinandersetzung um das Kraftwerk Moorburg und dann die HSH Nordbank.



Abendblatt:

Wie lautet Ihre Bilanz nach einem Jahr Schwarz-Grün?

Goetsch:

Ganz ordentlich. Wir haben die Hauptschule abgeschafft, neue Lehrer eingestellt und die Ganztagsschulen ausgebaut. Und weiter: Wir haben das kostenlose letzte Kita-Jahr beschlossen, die Stadtbahn auf den Weg gebracht, der A-7-Deckel und das Fahrradleihsystem kommen. Wir haben ein Klimaschutzkonzept beschlossen, und Hamburg ist Umwelthauptstadt Europas 2010. Oder, auch wenn das nicht grün-typisch ist: Endlich wird die Ortsumgehung Finkenwerder gebaut. Das Heim Feuerbergstraße ist geschlossen, und wir haben eine Wende in der Justizpolitik eingeleitet.



Abendblatt:

Kein Koalitionsausschuss, keine lauten Konflikte - wie lautet das Geheimrezept?

Goetsch:

Wir brauchten keine Mediatoren in dieser Koalition! (lacht) Ein zentraler Punkt ist sicherlich Verlässlichkeit und gleiche Augenhöhe. Wenn es inhaltliche Konflikte gibt, dann tragen wir das intern aus.



Abendblatt:

Wie stark lebt dieses Bündnis von der programmatischen Distanz der beiden Parteien?

Goetsch:

Die programmatische Distanz zwingt in der Regierungsarbeit zu pragmatischen Lösungen, die wir konstruktiv auch immer wieder finden. Es gibt auf vielen Politikfeldern keine direkte Konkurrenz, weil die Positionen sich nicht überschneiden, wie zum Beispiel in der Großen Koalition in Berlin zu beobachten ist. Die Distanz erleichtert die Situation aber auch im Hinblick auf die kommenden Wahlkämpfe Europa und Bundestag. Jeder geht mit seinem eigenen Programm auf die Straße.

Abendblatt:

Wie stark hängt der Erfolg der Koalition von den beiden Führungsfiguren - also Ihnen und Ole von Beus - ab?

Goetsch:

Die Akzeptanz von uns beiden auch im anderen Lager spielt eine Rolle. Gegenseitiger Respekt zwischen CDU und GAL entsteht auch über Personen. Dazu tragen Herr von Beust und ich sicher bei.



Abendblatt:

Was funktioniert bei Schwarz-Grün weniger gut?

Goetsch:

Da fällt mir so schnell nichts ein.



Abendblatt:

Trifft es Sie, wenn Unternehmer Sie in einem Senatoren-Ranking, wie jetzt geschehen, als Schlusslicht sehen?

Goetsch:

Da haben 50 Unternehmen geantwortet. Das ist ein bestimmter Ausschnitt. Es ist sicherlich sinnvoll, mit ihnen ins Gespräch zu kommen.



Abendblatt:

Was sagt der altlinke GAL-Wähler aus Ottensen, wenn er Sie trifft?

Goetsch:

Der trifft mich regelmäßig sonnabends auf dem Markt. Er spricht mich sofort an, wenn er einen Konflikt sieht oder eine Frage hat. Ich habe aber bislang nicht erlebt, dass es dabei um ein grundsätzliches Problem mit dem CDU-Bündnis geht. Und ich kenne viele GALier, die schon lange dabei sind. Manchmal gehen die Diskussionen darüber, ob wir nicht doch noch mehr in den Koalitionsverhandlungen herausholen hätten können. Wenn jemand richtig sauer ist, dann sind das meistens lokale Themen.



Abendblatt:

Können Sie sich eine Fortsetzung des Bündnisses über die nächste Wahl hinaus vorstellen?

Goetsch:

Jetzt haben wir erst einmal drei Jahre vor uns bis zur nächsten Bürgerschaftswahl. Was dann sein wird, kann ich nicht sagen.



Abendblatt:

Die letzte Frage sollte lauten: Mit Ihnen als Zweiter Bürgermeisterin?

Goetsch (lacht):

Warten wir ab.