Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) verteidigt den Etat 2011/2012. Die Opposition wirft dem Senat “Schuldenpolitik“ vor.
Hamburg. Es war ein bisschen verkehrte Welt in der Generaldebatte über den Haushalt 2011/12 in der Bürgerschaft: Normalerweise ist der Auftakt zum dreitägigen Haushaltsmarathon die Stunde, in der die Opposition hart und nicht zuletzt auch emotional mit dem Senat ins Gericht geht. Doch gestern sorgte ausgerechnet Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), sonst eher für seinen zurückhaltenden Redestil bekannt, für den temperamentvollsten Auftritt und verbale Attacken in Richtung der Opposition - vor allem der CDU, bis vor neun Monaten noch selbst in der Regierungsverantwortung.
Beispiel Wohnungsbau: Scholz stellte einmal mehr das Programm von jährlich 6000 neuen Wohnungen als zentralen Baustein der Senatspolitik heraus. Dann nahm er die CDU-Politik seit 2001 ins Visier. "Wie man über eine wachsende Stadt reden, dann aber zehn Jahre lang vergessen kann, die nötigen Wohnungen zu bauen, ist mir bis heute ein Rätsel", rief der Bürgermeister und erntete dafür starken Beifall in den eigenen Reihen. "Wir haben den Ehrgeiz, dafür zu sorgen, dass diejenigen, die eine Wohnung in Hamburg suchen, auch eine finden", sagte er recht plakativ.
Es sei für ihn eine "frohe Botschaft", dass Hamburg gegen den Bundestrend wachsen werde. Schon bald könnte die Marke von 1,8 Millionen Einwohnern überschritten werden. "Wir müssen dieses Wachstum mitgestalten", forderte Scholz. Dabei stand er noch stark unter dem Eindruck seiner Fernostreise, von der er am Wochenende zurückgekehrt war. "In Shanghai werden Baugenehmigungen in einem Tempo erteilt, in dem hier nicht einmal die Antragsformulare ausgedruckt werden." Als Ansporn vielleicht, aber nicht als Vorbild will er die chinesische Partnerstadt nehmen. "Wir leben in einer Demokratie, und zur Demokratie gehört die Bürgerbeteiligung."
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Dann wurde er grundsätzlich. "Das ist ein Schwerpunkt der Arbeit des Senats: Jeder hier soll ein selbstbestimmtes und, ja, selbstbewusstes Leben führen können." Er sei bisweilen kritisiert worden, weil er keine großen Würfe in seiner Politik hinlege. Ausreichend Wohnraum, gute Bildungschancen und ein attraktives Kita-Angebot - das alles zusammen sei "eine Vision für eine bessere Zukunft".
Mit dem Landeshaushalt und dessen Problemen beschäftigte sich der Bürgermeister nur am Rande. Die langfristige Entwicklung der Einnahmen sei die "Messlatte" der Haushaltspolitik. Auch wenn die Steuereinnahmen derzeit konjunkturell bedingt sprudelten, bleibe es dabei, dass der SPD-Senat die Schuldenbremse erst 2020 einführen wolle. Die Begrenzung auf eine Steigerung der Ausgaben um nur ein Prozent pro Jahr bedeute "zehn Jahre Konsolidierung mit harten Konsequenzen". Mit Blick auf die Opposition sagte Scholz: "Statt Sprüche zu machen, wollen wir den Haushalt wirklich in Ordnung bringen." Das sei eine "verdammt ernste Angelegenheit". Am Ende werde auch die Opposition die Regierung loben, so Scholz - was ihm die Opposition als Überheblichkeit auslegte.
Mit der Kritik an der Haushaltspolitik des Senats gab sich der Bürgermeister nicht ab. Dabei hatten die vier Oppositionsfraktionen reichlich kritisiert. Im Kern ging es um vier Vorwürfe. Erstens: Indem sie mehrere Hundert Millionen Euro in Löcher außerhalb des Haushalts stopfe, etwa den Versorgungsfonds für pensionierte Beamte, blähe die SPD den Haushalt künstlich auf und verschaffe sich so für 2013/2014 ein Wahlkampfpolster, weil diese einmaligen Ausgaben dann nicht mehr anfielen. Zweitens: Weil sie die Steuermehreinnahmen 2011/2012 nicht komplett in die Reduzierung der Kreditaufnahme stecke, sondern teilweise ausgebe, werde sie ihre eigene Vorgabe reißen, die Ausgabe nie um mehr als ein Prozent steigen zu lassen. Und drittens: Das Prinzip "Pay as you go", wonach für jede neue Ausgabe Einsparungen an anderer Stelle benannt werden sollen, werde nicht eingehalten. Über allem schwebte der Vorwurf, der Scholz-Senat zeige nicht genug Ehrgeiz bei der Haushaltssanierung, weil er erst 2020 keine Schulden mehr machen wolle.
"2020 ist gesetzt für die schwächsten Länder, nicht für Hamburg", sagte CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich. Selbst Berlin sei ehrgeiziger - was ihm als Hamburger schwer über die Lippen komme, so der Oppositionsführer. "Geben Sie zu: Die SPD will noch neun Jahre lang Schulden machen", rief Wersich. Sie habe nicht den Mut, auf teure Geschenke wie die Abschaffung von Kita- und Studiengebühren zu verzichten.
"Heute ist der Tag der Wahrheit", sagte GAL-Fraktionschef Jens Kerstan. Und die Wahrheit sei, dass die Ausgaben gegenüber 2010 nicht um ein, sondern um 4,6 Prozent stiegen. Statt das Defizit abzubauen, weite die SPD es noch aus. Der Bürgermeister setze wohl darauf, dass niemand so genau hinschaue. "Wer das aber tut, wird feststellen, dass bei Ihnen Anspruch und Wirklichkeit dramatisch auseinanderklaffen."
FDP-Fraktionschefin Katja Suding hielt dem Senat vor, aus "Pay as you go" mache er "Spend as you like" (Gib so viel aus, wie du willst). Suding monierte vor allem daran, dass statt des angekündigten Personalabbaus in der Verwaltung diese de facto weiter anwachse.
Als einzige Oppositionsfraktion forderte die Linkspartei keine Verschärfung des Konsolidierungskurses. Man bekenne sich zwar zur Schuldenbremse 2020, sagte ihr Finanzexperte Joachim Bischoff. Aber er teile nicht den Weg, dies vor allem durch unsoziale Kürzungen erreichen zu wollen. "Nur mit Steueränderungen werden Sie aus der Schuldenfalle herauskommen."
SPD-Fraktionschef Andreas Dressel wies die Vorwürfe der Opposition zurück. Dass die CDU der SPD die Einhaltung von Wahlversprechen vorwerfe, finde er "witzig", normalerweise sei es umgekehrt, so Dressel. Forderungen nach einer früheren Einhaltung der Schuldenbremse erteilte er eine Absage: "Wenn wir jetzt eine Vollbremsung einleiten, wird das Verletzte fordern bei Schulen, Polizei, Feuerwehr und Kindertagsstätten - das können und wollen wir nicht." Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) stieß ins gleiche Horn: Er habe offene Rechnungen über vier Milliarden Euro vorgefunden. "Ich sage Ihnen ehrlich, dass wir das nicht alles auf einmal schaffen." Immerhin tilge er mit den Mehreinnahmen schon 880 Millionen Euro an Schulden außerhalb des Kernhaushalts - von denen wolle die CDU natürlich nichts mehr wissen, sagte Tschentscher.
Die ersten Einzeletats, unter anderem für Justiz, Bezirke, Senat und Rechnungshof, wurden gestern Abend bereits verabschiedet. Heute stehen die Etats für Schule, Inneres, Wirtschaft und Verkehr sowie Stadtentwicklung und Umwelt auf der Tagesordnung.