So spät wie nie berät die Bürgerschaft den Haushalt 2011/12. Gewerkschaften fordern Vermögenssteuer. Am Besenbinderhof tickt “Vermögensuhr“.
Hamburg. Der 24. November 2010 war ein denkwürdiger Tag für Hamburg. In den drei Monaten nach dem Rücktritt des damaligen Bürgermeisters Ole von Beust (CDU) hatte die schwarz-grüne Koalition im Angesicht der Finanzkrise einen Sparhaushalt verhandelt, der teilweise für Aufruhr in der Stadt gesorgt hatte - vor allem wegen relativ geringfügiger Einschnitte im Kulturbereich. An jenem Tag nun brachte Finanzsenator Carsten Frigge (CDU) seinen Doppelhaushalt 2011/2012 in die Bürgerschaft ein - und trat am Ende der Rede ebenfalls zurück. Das hatte es in Hamburg noch nicht gegeben, und das Ergebnis ist bekannt: Die GAL nahm den Rücktritt zum Anlass, das schwarz-grüne Experiment mit Pauken und Trompeten zu beenden.
Eine Folge war die Neuwahl im Februar, die der SPD die absolute Mehrheit brachte. Eine zweite, dass der schwarz-grüne Haushalt Makulatur war und der neue Senat unter Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) das Werk noch einmal aufschnürte, neu ins Parlament einbrachte und dort beraten ließ. Exakt ein Jahr später, an diesem Donnerstag, dem 24. November 2011, schließt sich der Kreis - knapp elf Monate nach Beginn des Haushaltsjahres wird das Parlament den Etat endlich verabschieden. Das sei rekordverdächtig, heißt es aus der Bürgerschaftskanzlei. Die dreitägige Sitzung, die heute um 15 Uhr im Rathaus mit der Generaldebatte beginnt, dürfte daher in die Geschichte der Stadt eingehen.
Die Haushaltsberatungen werden traditionell vom Oppositionsführer eröffnet, also CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich. Er wird die Gelegenheit zu einer Generalabrechnung mit dem Senat nutzen. Ebenso wird Bürgermeister Scholz sich nicht im Kleinklein des Etats verlieren, sondern eine etwa 25-minütige Rede zur Politik seines Senats halten. In den folgenden drei Tagen werden alle Einzeletats der Behörden debattiert und einzeln verabschiedet.
Der Doppelhaushalt sieht für 2011 Ausgaben von knapp 11,37 Milliarden Euro vor und von 11,53 Milliarden für 2012. Das Finanzierungsdefizit, also die Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben, liegt 2011 bei 1,4 Milliarden und 2012 bei einer Milliarde. Da aber noch Rücklagen existieren, soll die Nettokreditaufnahme "nur" 650 Millionen Euro 2011 und 600 Millionen 2012 betragen. Tatsächlich dürfte das aber alles Theorie bleiben. Denn da über weite Strecken dieses Jahres kein beschlossener Etat vorlag, galt die "vorläufige Haushaltsführung" - und die schreibt vor, dass maximal 75 Prozent der Ansätze ausgegeben werden dürfen. Neben den ungewöhnlich stark sprudelnden Steuereinnahmen ist das ein weiterer Grund dafür, dass die Stadt bis zum Ende des dritten Quartals noch keinen Cent neue Schulden gemacht hatte. CDU, GAL und FDP fordern daher eine frühere Einhaltung der Schuldenbremse als 2020. Aus Sicht des SPD-Senats ist das immer noch ambitioniert.
Alle Oppositionsfraktionen hatten eigene Anträge zur Änderung des Haushalts vorgelegt. SPD-Fraktionschef Andreas Dressel versprach gestern, mit diesen "konstruktiv" umzugehen: "Etwa ein Dutzend Anträge werden wir entweder annehmen oder politisch im Ausschuss weiterbewegen." So werde man sich auf die Einführung der Kulturtaxe ("Bettensteuer") ab 2013 verständigen können und sich kritisch mit der Reiterstaffel der Polizei befassen.
Förderung von Bürgerengagement wird um 250 000 Euro gekürzt
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di forderten gestern erneut die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer - für die sich auch die SPD einsetzt. "Die neue Steuer würde allein in Hamburg jährlich bis zu eine Milliarde Euro mehr in die Gemeinschaftskasse bringen", sagt Hamburgs DGB-Vorsitzender Uwe Grund. "Dann würde das Klagen über die Haushaltsnöte auf einen Schlag aufhören." Ver.di-Landeschef Wolfgang Rose betonte: "Ein einseitiges Betonen der Sparpolitik löst weder die Schuldenkrise noch die sozialen Probleme." Erst durch Steuergerechtigkeit und starke Einnahmen werde die Schlagseite in der Finanzpolitik beseitigt. Rose: "Die öffentliche Armut ist das Ergebnis des explodierenden privaten Reichtums." Die im Bund regierenden Parteien CDU und FDP dürften das Thema in Bundestag und Bundesrat nicht länger blockieren.
Im Fenster des Gewerkschaftshauses am Besenbinderhof tickt eine "Vermögensuhr", die anzeigt, wie hoch das Vermögen in Hamburg ist - ein Gegenstück zur "Schuldenuhr" des Bundes der Steuerzahler. Demnach liegt allein das private Geldvermögen in Hamburg bei 210 Milliarden Euro, und es wächst pro Minute um 22 717 Euro. Theoretisch hat jeder Hamburger Bürger 118 000 Euro auf der hohen Kante, tatsächlich konzentriert sich das Vermögen auf wenige Superreiche. Nach Gewerkschaftsangaben verfügen die 43 reichsten Hamburger über ein Vermögen von etwa 50 Milliarden Euro. Würden sie und alle anderen Millionäre jährlich nur ein Prozent Steuer auf ihr Vermögen zahlen, so Rose, "dann wäre der Haushalt weitgehend konsolidiert".