Freie Demokraten wollen nach zwei erfolglosen Anläufen wieder ins Parlament einziehen. Wenn sie sich nicht selbst zerfleischen.
Hamburg. Manchmal sagen es ihm die Leute direkt ins Gesicht. "Deine Wahlplakate, die brauchst du hier gar nicht erst aufzustellen." Wenn Heinrich-Otto Patzer in diesen Wochen auf Tour ist, dann wird er selten mit offenen Armen empfangen.
Mit Schiffermütze und Brille steht der 70 Jahre alte Immobilienkaufmann bei Wind und Wetter an den Infoständen. Die sind blau-gelb und befinden sich in Hamburg-Mitte. Wahlkreis 1. "Mein Kampfgebiet", sagt Patzer und lächelt verschmitzt. So wie auf seinen Handzetteln, auf denen er zusätzlich noch die rechte Faust ballt.
Patzer ist ein Liberaler zum Anfassen und ein auffälliger Gegenentwurf zu den jungen und schönen Menschen auf den FDP-Plakaten. "Ich kann auch mit Menschen, die ruppig werden", sagt der FDP-Kandidat in Hamburgs spannendstem Bezirk. Mit Reeperbahn und Langer Reihe, Hamm und Wilhelmsburg, HafenCity und Hauptbahnhof.
Hier braucht es wohl auch ein Urgestein wie ihn. Denn hier tummeln sich die Handfesten, die ihm allemal lieber sind als jene, die jegliches Interesse an Gestaltung verloren haben. "Es ist erschreckend, wie weit sich die Bürger von der Politik entfernt haben", sagt Patzer. Bei der letzten Wahl habe in "seinem" Bezirk die Hälfte der Berechtigten den Gang zur Urne verweigert.
Also müsse man jetzt auf die zugehen, die wenig Interesse zeigen. Auch "wenn der Wind schärfer geworden ist". Warum ist das so? Patzer ist keiner, der sich lange mit Analysen aufhält. Er guckt lieber nach vorne. Es geht ihm um Lösungen, wenn Probleme erkannt sind. "Wenn du am Boden liegst, musst du ja auch wieder hochkommen."
Patzer ist länger als ein Vierteljahrhundert in der Partei, die mit Ingo von Münch vor einer gefühlten Ewigkeit einmal einen hoch geschätzten Senator und Zweiten Bürgermeister in einer sozialliberalen Koalition aufweisen konnte. Und in der Zeit danach war das Dümpeln am Boden das Beständigste, was Hamburgs Liberale zustande brachten.
Warum er sich das so lange angetan hat? Patzer, der seit über 40 Jahren verheiratet ist und drei Kinder großgezogen hat, schnappt laut lachend nach Luft: "Hach, wissen Sie. Die Golfspieler, die am Wochenende nach Sylt fahren, gucken mich auch immer mit großen Augen an, wenn ich ihnen erzähle, dass ich an der Zukunft unserer Kinder interessiert bin." Pause. "Aber ohne unseren Einsatz würde die Gesellschaft nicht funktionieren. Wir können nicht alles schleifen lassen. Wir müssen uns kümmern. Und es müssten viel mehr sein, die sich einmischen."
Wenn man sie denn lässt. "Sieben Jahre ohne" könnte man die liberale Fastenzeit im Hamburger Rathaus heute titeln. Auch 1993 und 1997 reichte es nicht zum Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde. 2004 dann der Tiefpunkt mit 2,8 Prozent. FDP stand plötzlich für "fast drei Prozent". Während sich die Grünen gar auf den Senatorenbänken breitmachten, versank Blau-Gelb in der Bedeutungslosigkeit.
"Daran waren wir auch selbst Schuld", sagt Wieland Schinnenburg, 52. "Die Wähler mögen nämlich keine Parteien, die keinen geschlossenen Eindruck machen." Wobei das ziemlich höflich formuliert ist für den Zustand einer zerrissenen Partei, die 1325 Mitglieder zählt. Und die vor drei Jahren in Hamburg 36 953 Stimmen erhielt.
Experten schätzen das liberale Wählerpotenzial in der Freien und Hansestadt auf weit über zehn Prozent. Sie meinen, dass es genügend Anhänger für eine Partei geben müsste, die das freie Spiel der Kräfte betont, Leistungsträger liebt und den Staat eher als störend empfindet. Die es den Gastwirten auf St. Pauli überlassen will, ob in ihren Lokalen geraucht werden darf, und den Eltern, auf welche Schule sie ihr Kind schicken. Die Eigenverantwortung hervorhebt, Bürokratie abbauen und Staatsunternehmen privatisieren will, wenn dadurch der Wettbewerb gefördert wird.
Solch eine Partei, prognostizieren Wahlforscher regelmäßig, müsste sich normalerweise im Rathaus wiederfinden. Und auch wenn die CDU unter Ole von Beust kräftig nach links gelaufen ist und die SPD unter Olaf Scholz heftig nach rechts rutscht, bliebe dazwischen dennoch ein komfortables Plätzchen.
Es sei denn, man zerfleischt sich seit Jahren selbst.
Schinnenburg, praktizierender Zahnarzt und Anwalt, weiß, wie sich das anfühlt. Er ist als Landesvorsitzender der Hamburger Liberalen selbst mal weggemobbt worden. Zu Zeiten, als man über die endlosen Grabenkämpfe in der "Chaos-Truppe" FDP lesen konnte: "Landesvorstand zerlegt sich" oder "FDP watscht ihren Chef ab". Ja welchen denn nun schon wiede?, fragte sich der interessierte Beobachter angesichts der ständig wechselnden Belegschaft.
Und heute? "Der Zustand der Partei ist deutlich besser als ihr Image", sagt Schinnenburg, der nun wieder auf Listenplatz sieben kandidiert. Er spricht dabei im Grunde über eine Zwei-Drittel-Partei. Denn so ziemlich jede Kandidatenabstimmung bei den Liberalen endet mit 65 zu 35. Letzterer Gruppe gehören die Anhänger der FDP-Bundestagsabgeordneten Burkhardt Müller-Sönksen und Sylvia Canel an. Und man möchte sich nicht das innerparteiliche Gemetzel vorstellen, wenn die Liberalen in Hamburg erneut an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern sollten.
Zwei Drittel aber stehen hinter Rolf Salo, 61. Und Salo ist vielleicht der, den dieser zerstrittene Haufen gebraucht hat, um nach dem 20. Februar eventuell wieder ins Parlament einzuziehen. Seit 2009 Chef der Liberalen und Streitschlichter. Etwas ungelenk im Auftritt, sehr uneitel im Umgang. Anfangs belächelt, heute geschätzt, so das Urteil vieler Mitglieder. Weil er ein Mannschaftsspieler sei und unter Führung versteht, die Leute mitzunehmen. Weil er lobende E-Mails an tatkräftige Mitglieder verschickt und motivieren kann.
Und weil er die Jungen fördert. Katja Suding, 35, die er als Spitzenkandidatin ins Rennen geschickt hat. Oder einen wie Robert Bläsing, 28. FDP-Fraktionschef im Bezirk Nord und auf Platz drei auf der Kandidatenliste für die Bürgerschaft. "Bei den Jungen herrscht großes Unverständnis darüber, dass man sich als FDP immer das Leben selbst so schwer macht und sich ständig Knüppel zwischen die Beine wirft", sagt der Diplom-Verwaltungswirt.
Seine Generation sei an pragmatischen Lösungen und nicht an endlosen Debatten interessiert. Bläsing kümmert sich beruflich in der Wirtschaftsbehörde um die Einführung der digitalen Akte und hatte sein politisches "Erweckungserlebnis", als er eines Tages von der gewaltigen Schuldenlast der Deutschen erfuhr. "Wie kann man als Politiker ruhig schlafen, wenn die Schuldenuhr so schnell tickt?", hat er sich gefragt. Seitdem ist Haushaltskonsolidierung sein Thema.
Nun weiß auch er, dass die Bundes-FDP als Regierungspartner in Berlin bisher nicht dadurch auffällig geworden ist, dass sie das stündliche Anwachsen des Schuldenbergs aufgehalten hätte. Von Konsolidierung ganz zu schweigen.
Aber die Freie Demokratische Partei in Hamburg, sagt Robert Bläsing, ist die Partei, die das an der Elbe vielleicht hinkriegen könnte. Indem sie die Anzahl der Fachbehörden reduziert, Stellen in der Verwaltung einspart und im öffentlichen Dienst eine leistungsorientierte Bezahlung einführt.
Wenn man sie denn lässt.