Die Umstellung der Buchführung macht mehr Probleme als erwartet. Hamburgs Finanzsenator Carsten Frigge braucht weitere Millionen.
Hamburg. Es ist ein Phänomen der Politik, dass sie über vergleichsweise kleine Summen, sagen wir 1000 Euro für den Bolzplatz an der Ecke, gern monate- oder jahrelang diskutiert. Riesige Summen, zum Beispiel die Verdreifachung der Kosten der Elbphilharmonie auf 323 Millionen Euro oder 13 Milliarden für die Rettung der HSH Nordbank, werden dagegen mitunter im Handumdrehen zur Verfügung gestellt. In diesem Sinne und zudem fast unbemerkt hat der Hamburger Senat jetzt auch seine Haushaltsklemme gelöst - scheinbar. Denn in Wahrheit hat er ein weiteres Problem aufgedeckt.
Das lief so. Erst im Mai hatten Bürgermeister Ole von Beust und Finanzsenator Carsten Frigge (beide CDU) verkündet, dass die Stadt Jahr für Jahr 500 Millionen Euro mehr ausgebe, als sie einnehme, diese Summe müsse "tabulos" eingespart werden. Der Großteil, so viel war sofort klar, wird im Personalbereich gekürzt werden müssen. Doch während die Debatte, ob eher in den Behörden oder in den Bezirken Personal abgebaut werden kann, erst anläuft, war der Ansatz für Personalausgaben für dieses Jahr (!) schon vier Wochen nach dem Auftritt von Beust und Frigge wie von Geisterhand um 550 Millionen Euro gesunken. Im Haushaltsplan 2010 noch mit 3,56 Milliarden Euro veranschlagt, sind es laut einer Senatsdrucksache vom 16. Juni nur noch 3,01 Milliarden. Also alles wieder gut?
Selbst Experten wie Peter Tschentscher, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, waren zunächst verwirrt - zumal in besagter Drucksache auch andere Haushaltsansätze dramatisch verschoben wurden. So steigen die "übrigen Sach- und Fachausgaben" um 640 Millionen an. Warum, das wird in dem Papier nicht erklärt. Auf Abendblatt-Anfrage teilte die Finanzbehörde mit: "Wesentliche Ursache ist die Umstellung der Justizbehörde und der Polizei auf das Neue Haushaltswesen Hamburg (NHH)." Die Darstellung nach doppischen Grundsätzen (siehe Info-Artikel) führe dazu, dass im Haushalt der Stadt nur noch der Nettobedarf (also Aufwendungen minus Erträge) dieser Bereiche ausgewiesen werde. Und der gelte in der neuen NHH-Haushaltssystematik halt als "sonstige Sach- und Fachausgaben". Daher wächst diese Position so rasant an, während die Personalausgaben deutlich sinken.
Verzwickt wird die Lage, weil erst zwei Behörden umgestellt haben und daher mit NHH und der guten alten Kameralistik zwei Systeme parallel laufen. "Ich bin verwirrt", räumte Tschentscher jüngst im Haushaltsausschuss der Bürgerschaft ein. Er könne die Zahlen "schlicht nicht mehr beurteilen". Finanzsenator Frigge musste Geraune entgegentreten, das sei dem Senat gar nicht mal so unrecht: "Stimmt", entgegnete er Tschentscher, "übergangsweise ist das vergleichsweise intransparent." Er wolle die Phase der Umstellung daher "so kurz wie möglich halten".
Dennoch segneten CDU und GAL gegen die Stimmen der SPD (die Linke enthielt sich) Frigges Vorschlag ab, die Einführung von NHH um ein Jahr zu strecken. Als letzte Behörden sollen die Senatskanzlei, das Personalamt und der Rechnungshof erst Anfang 2014 umstellen. Gleichzeitig ließ sich der Finanzsenator für das NHH-Projekt weitere neun Millionen Euro genehmigen, weil die allein für 2010 veranschlagten 8,2 Millionen nicht ausreichten.
Die Ausgaben würden zwar nur vorgezogen, erklärte Frigge, aber die Botschaft war deutlich: Das von seinen Vorgängern Wolfgang Peiner und Michael Freytag (beide CDU) angeschobene Projekt wurde unterschätzt. Die Drucksache, mit der die neun Millionen nachgefordert werden, lässt kaum Fragen offen. "Nur vergleichsweise wenige Mitarbeiter verfügen über vertiefte Kenntnisse des kaufmännischen Rechnungswesens", heißt es dort, qualifiziertes Personal vom freien Markt sei nur schwer zu rekrutieren. Das führe "zu einer permanenten Überforderung des vorhandenen Personals" und zu Abwerbungen innerhalb der Verwaltung. Zudem habe auch die NHH-Zentrale in der Finanzbehörde Fehler gemacht. Ihre Konzepte zur Vermittlung von NHH in den Behörden, heißt es schonungslos, seien viel zu detailliert und daher "für diesen Zweck nicht geeignet". Stattdessen mussten neue, diesmal "allgemein verständliche" Unterlagen erstellt werden. Das kostete Zeit und Geld.
In der Politik wachsen nun die Zweifel. Vielleicht sollte man nur die Doppik einführen und auf die weiteren NHH-Aspekte verzichten, sagte GAL-Fraktionschef Jens Kerstan im Haushaltsausschuss. Er frage sich, ob man der mit Sparprogrammen belasteten Verwaltung ausgerechnet jetzt die Erarbeitung sogenannter Wirkungskennziffern aufbürden sollte, zumal das "verdammt viel Geld kosten" würde. Möglicherweise sei es aber sogar gerade das richtige Mittel in der Haushaltskrise. Einig sind sich alle Fraktionen immerhin, dass NHH ohne diese Wirkungskennziffern kaum Sinn macht. Frigge beschrieb den Kern des neuen Haushaltswesens so: "Wir wollen eine bestimmte Wirkung erzielen, nicht eine bestimmte Menge Geld ausgeben." Doch wer nicht misst, wo er jetzt steht, wird nie erfahren, ob er eine Wirkung erzielt. Wer kein Ziel vorgibt, kann sich nicht daran messen lassen.
Tschentscher verwies darauf, dass schon 70 Millionen Euro für die Einführung von Doppik und NHH ausgegeben wurden. Daher müsse so schnell wie möglich festgelegt werden, wie das Projekt zu Ende gebracht werden soll - und nicht erst im Frühjahr 2011, wie vom Senat angestrebt. Bei CDU und GAL gab es dezentes Nicken. Aber auf ein Ziel, wann die Entscheidung fällt, mochte man sich nicht festlegen.