Die Zahlen weisen nach oben. Aber ein Jahr nach der Rettung sind noch Fragen offen. Wer wusste wann was? Wurde etwas vertuscht?
Hamburg. Heute findet bei der HSH Nordbank etwas statt, was es seit zwei Jahren nicht gegeben hat: Bilanzpressekonferenz. Nachdem die wichtige Veranstaltung 2009 wegen der Turbulenzen ausgefallen war - für eine Aktiengesellschaft ein ungewöhnlicher Vorgang -, wird die Bank also erstmals seit Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise offiziell ausführlich über ihre Lage informieren.
Gut ein Jahr, nachdem Hamburg und Schleswig-Holstein die HSH mit Milliardeneinsatz gerettet haben und gleichzeitig die SPD einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) angekündigt hatte, ist zwar schon vieles bekannt. Ebenso viel muss aber noch aufgearbeitet werden - und in vielen Fällen wird dabei kräftig im Nebel gestochert, zum Teil mit Halbwahrheiten gearbeitet. Was wissen wir wirklich? Fragen und Antworten.
Schleswig-Holsteins Ex-Wirtschaftsminister Werner Marnette (CDU) hatte vergangenes Jahr mehrfach prognostiziert, die HSH brauche noch 2009 weitere Milliardenspritzen der Länder.
Diese Prognose lag schlicht daneben. Die HSH hat nach der Rettungsaktion kein weiteres Geld erhalten. Ihr Verlust in 2009, das hat Vorstandschef Dirk Jens Nonnenmacher bereits verkündet, fiel mit 679 Millionen Euro sogar nur halb so hoch aus wie erwartet. Da zudem festgelegt ist, dass die Bank Verluste von bis zu 3,2 Milliarden Euro aus eigener Kraft tragen muss, ist die Wahrscheinlichkeit auch weiterhin gering, dass die Anteilseigner noch einmal einspringen müssen.
Inwiefern hat die Rettung der HSH die Stadt finanziell belastet?
Im Prinzip noch gar nicht. Hamburg und Schleswig-Holstein haben einen Fonds gegründet, der drei Milliarden Euro als Kredit aufgenommen und der Bank als Kapital zur Verfügung gestellt hat. Dieser "HSH Finanzfonds" stellt auch die Garantie über zehn Milliarden Euro. Und da er dafür mehr Gebühren (400 Millionen Euro im Jahr) erhält, als er Zinsen für den Kredit bezahlen muss (250 Millionen), macht er jedes Jahr rund 150 Millionen Euro Plus. Wird er eines Tages aufgelöst, hat er zwar drei Milliarden Euro Schulden, aber auch HSH-Aktien in gleicher Größenordnung, die an Wert eher gewinnen dürften. Wahrscheinlich werden die Länder an der Rettung also sogar verdienen.
Richtig ist aber auch, dass die städtische Holding HGV und der Hamburgische Versorgungsfonds (HVF), die die HSH-Beteiligungen der Stadt halten, für 2008, 2009, 2010 und wohl auch 2011 auf eine Dividende der HSH verzichten müssen. Das führt dazu, dass die HGV erstmals seit Jahren wieder Verlust machte. Fazit: Zwar muss Hamburg ohne die gewohnten HSH-Ausschüttungen von mehr als 50 Millionen Euro pro Jahr auskommen, umgekehrt ist aber kein Cent aus dem Haushalt in die Bank geflossen.
War die Schieflage der Bank vor der Bürgerschaftswahl am 24. Februar 2008 bekannt?
Dafür gibt es bislang keinen Beweis. Zwar hatte die SPD im PUA aus einem Vermerk der Finanzbehörde zitiert, wonach im Dezember 2007 im Aufsichtsrat festgehalten wurde: "Die Anteilseigner beteiligen sich quotal an der Kapitalerhöhung." Daraus hatte die Opposition geschlossen, dass es der Bank schon zu diesem Zeitpunkt schlecht ging - weil sie den eigentlich geplanten Börsengang abhaken und sich stattdessen Kapital von den Eignern besorgen musste. Ein Vermerk der Finanzbehörde über die Sitzungen in dieser Zeit, der dem Abendblatt vorliegt, besagt jedoch klar, dass es damals noch keine Entscheidung über eine Kapitalerhöhung gab. Und im Gegensatz zur SPD-Interpretation enthält er auch keinen Hinweis auf eine drohende Schieflage der Bank. Geld, so die offizielle und interne Lesart, brauchte die HSH Nordbank, weil sie seit ihrer Gründung 2003 von den Anteilseignern mit zu wenig Kapital ausgestattet war und Ende 2007 deswegen eine Herabstufung durch die internationalen Ratingagenturen drohte.
Hat Ex-HSH-Vorstand Peter Rieck die Lage falsch dargestellt?
Riecks Aussage im Haushaltsausschuss der Bürgerschaft vom 17. Juni 2008, wonach im vierten Quartal 2007 von einer Kapitalerhöhung noch "überhaupt nicht die Rede" war, scheint aufgrund der dargestellten Fakten nicht haltbar. Nachdem mit Rieck, Jochen Friedrich und Frank Roth drei Vorstände entlassen worden waren, wurde das unterbesetzte Gremium gestern gestärkt: Torsten Temp (49) ist künftig für die Themen Schifffahrt, Transport und Energie zuständig. Er war zuletzt bei der Bank UniCredit.
Sollte das Thema HSH bewusst aus dem Bürgerschaftswahlkampf herausgehalten werden?
Davon kann ausgegangen werden. Schon in besagtem Vermerk der Finanzbehörde steht, dass Hamburg von allen Anteilseignern mit dem 30. Juni 2008 den spätesten Zeitpunkt anpeilte, um die Kapitalmaßnahmen zu beschließen. Und in der Aufsichtsratssitzung am 7. März räumte der damalige HSH-Chef Hans Berger ein, er sei "sehr froh", dass das Thema im Wahlkampf "nur kurz gestreift" wurde. Aus Sicht eines Bankvorstands eine verständliche Haltung. "Ausdrücklich bedankt", wie es ein Radiosender dargestellt hatte, hat sich Berger ausweislich des Protokolls aber nicht.
Hat Ex-HSH-Chef Berger vor einer "nachhaltigen Gefährdung des Geschäftsmodells" gewarnt?
Ja - aber auch das ist nur die halbe Wahrheit. Dem Aufsichtsrat hatte Berger an jenem 7. März zwei Zukunftsszenarien präsentiert. Im schlechteren, das der Vorstandschef für das wahrscheinlichere hielt, "könnte der Jahresüberschuss sogar auf 174 Millionen Euro fallen". Dann der ominöse Satz im Protokoll: "Sollte es daraufhin zu einem Downgrade kommen, sei das Geschäftsmodell nachhaltig gefährdet." Mit anderen Worten: Wenn es ganz dicke kommt, machen wir "nur" 174 Millionen Gewinn, und wenn dann noch die Kapitaldecke dünn bleibt, könnten die mächtigen Ratingagenturen die HSH schlechter benoten, was wiederum das "Geschäftsmodell" gefährden würde. Also eine Einschätzung mit ganz vielen Variablen. Tatsächlich erhöhten die Anteilseigner aber kurz darauf das HSH-Kapital um rund 1,5 Milliarden Euro, das Rating wurde nicht herabgestuft, und Bergers Warnung blieb zunächst eine nicht eingetretene Theorie.
Im Übrigen hatte der Vorstandschef in eben jener Sitzung klargestellt, wie seine Äußerung zu verstehen ist: "Es sei ihm wichtig, deutlich zu machen, dass es mit den Kapitalmaßnahmen nicht darum gehe, Verluste zu decken", so das Protokoll. Und weiter: "Ganz im Gegenteil, der Bank sei wiederholt bestätigt worden, ein funktionierendes Geschäftsmodell zu besitzen, das habe sich jetzt auch in der Krise gezeigt."
Das bedeutet: Zwar setzten die Lehman-Pleite im September 2008 und ihre Folgen für die Finanzwelt der HSH derart zu, dass sie für das Jahr 2,8 Milliarden Euro Verlust verbuchen musste. Und irgendwann muss den Verantwortlichen auch klar gewesen sein, was auf sie zukommt. Ob das tatsächlich erst im Herbst 2008 war, wie Vorstand und Aufsichtsrat beteuern, ist noch unklar. Fest steht aber: Bergers Äußerungen vom März sind kein Beweis dafür, dass die Schieflage früher bekannt war.
Was ist mit dem Vorwurf der Bilanzfälschung, den der Anwalt Gerhard Strate erhebt?
Ein ganz heikler Punkt. Nach Strates Darstellung hat die Bank Ende 2007 Geschäfte im Volumen von 17,3 Milliarden Euro ausgelagert, unter anderem mittels der bekannten Deals "Omega 55" und "St. Pancras". Beide, so der Jurist, "dienten allein dem Zweck, in der Jahresbilanz 2007 eine höhere Gesamtkapitalquote auszuweisen, als es der wirtschaftlichen Realität entsprach". Die Bank bestreitet die Geschäfte nicht, wohl aber den Vorwurf der Bilanzfälschung. Das treffe ihn persönlich, sagte Vorstandschef Dirk Jens Nonnenmacher kürzlich - er war seinerzeit der verantwortliche Finanzvorstand. Seine Version: Bei diesen Transaktionen seien lediglich Risiken mit anderen Banken getauscht und die HSH-Bilanz gar nicht verändert worden. Folglich gehe der Fälschungsvorwurf ins Leere. Strate steht mit seiner Meinung aber nicht ganz allein: "Die Aktion ist schon fragwürdig", sagt zum Beispiel Norbert Dieckmann, Professor für Management, Banken und Finanzen am Euro Business College Hamburg. "Die Kapitalquote ist ja positiv beeinflusst worden."
Die zehnköpfige Ermittlungsgruppe der Staatsanwaltschaft, die ohnehin aufgrund einer Strate-Anzeige wegen des Verdachts der schweren Untreue gegen HSH-Verantwortliche ermittelt, hat den Verdacht der Bilanzfälschung in ihre Arbeit mit einbezogen, hält sich aber bedeckt. "Das sind sehr komplexe, umfangreiche und schwierige Ermittlungen", sagt Staatsanwalt Wilhelm Möllers. "Der Ausgang ist offen."