Der Senat wolle nur noch bei straffällig gewordenen Ausreisepflichtigen Antrag auf Zurückschiebungshaft stellen, sagte der Innensenator.
Hamburg. Schnell hatte Innensenator Christoph Ahlhaus reagiert - so schnell und deutlich, dass sich auch der politische Gegner ein sparsames Lob nicht verkneifen konnte. "Es ist gut", sagte der SPD-Innenpolitiker Andreas Dressel, "wenn Schwarz-Grün hier ein Zeichen setzt und die Humanität eine Chance bekommt."Nachdem sich ein 17-jähriger Abschiebehäftling am Sonntag das Leben genommen hatte, war die Ausländerpolitik des Hamburger Senats bundesweit unter Beschuss geraten. Ahlhaus ging gestern in die Offensive. "Wir werden grundsätzlich bei minderjährigen Ausreisepflichtigen keinen Antrag auf Zurückschiebungs- und Abschiebehaft beim Amtsgericht mehr stellen.
Es sei denn, die Jugendlichen sind straffällig geworden", teilte Ahlhaus mit. Die neue Regelung betrifft minderjährige Abschiebehäftlinge, die zuvor in einem Drittland Asyl beantragt, ein solches durchquert haben und dorthin "zurückgeschoben" werden sollen. Gleichzeitig soll es künftig auch keine minderjährigen Häftlinge mehr geben, denen die erzwungene Ausreise in ihr Heimatland droht.
Er bedauere den Tod des Jungen zutiefst, sagte Ahlhaus. Gleichwohl habe es "keinerlei Fehlverhalten der Ausländerbehörde im vorliegenden Fall gegeben". Justizsenator Till Steffen, dessen Behörde bei Abschiebehaftsachen zur Amtshilfe verpflichtet ist, zeigte sich erfreut: "Das ist eine gute Entscheidung." Antje Möller, flüchtlingspolitische Sprecherin der GAL, regte an: "Jetzt müssen wir auch zur Einzelfallbetrachtung bei den Erwachsenen kommen."
Auslöser der politischen 180-Grad-Wende war der Selbstmord eines 17-jährigen Jungen, der auf sich allein gestellt über die Schweiz und Polen illegal nach Deutschland gereist war. Am 9. Februar trat er die (Zivil-)Haft in der Jugendstrafanstalt Hahnöfersand an. Wie berichtet hatte sich der aus Georgien stammende Junge im Krankenhaus des Untersuchungsgefängnisses erhängt, nachdem er zuvor aus Verzweiflung über die drohende Abschiebung in den Hungerstreik getreten war. Vorwürfe, niemand habe sich um den Jungen gekümmert, wies die Justizbehörde zurück. Es seien zahlreiche Gespräche mit ihm geführt worden. "Je drei mit einem Psychologen und dem Anstaltsarzt, vier mit einem Krankenpfleger und jeweils eins mit einem Ausländerberater und einem Kinder- und Jugendpsychiater." Zwei Tage nach seinem Selbstmord - am 9. März - sollte David im Einklang mit der Drittstaatenregelung nach Polen abgeschoben werden.
"Es ist sehr traurig, dass erst jemand sterben muss, bevor diese offensichtlich unmenschliche Abschiebehaft-Praxis vom Senator überprüft und endlich beendet wird", sagte Mehmet Yildiz, migrationspolitischer Sprecher der "Linken". Es sei jetzt an der Zeit, dass an einem runden Tisch gezielt Lösungen für die Probleme der minderjährigen Flüchtlinge gefunden werden, sagte Fanny Dethloff, Flüchtlingsbeauftragte der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche.
Wie die Pastorin hatten auch mehrere Verbände die Ausländerpolitik des Hamburger Senats heftig kritisiert. "Alle Kinderschutzmechanismen haben in Hamburg versagt und einen jungen Menschen das Leben gekostet", teilte etwa der Bundesfachverband "Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge" mit. Ähnlich äußerte sich auch Pro Asyl. 450 Demonstranten protestierten gestern zudem mit der Parole "Abschiebung ist Mord" vor dem Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis gegen die bisherige Abschiebepraxis.
Künftig erhalten Minderjährige, die abgeschoben werden sollen, eine kurzfristige Duldung. "Sollten sie keine Anlaufstation in Deutschland haben, wird sich der Kinder- und Jugendnotdienst um sie kümmern", hieß es aus der Innenbehörde. Außerdem sollen sie einer Meldepflicht unterliegen. Gegenwärtig befinden sich zwei Minderjährige unter 18 Jahren in Abschiebehaft. Ein weiterer Junge im Alter von 15 Jahren ist nach Abendblatt-Informationen gestern nach Ungarn abgeschoben worden.