Hamburg. Dieses Treffen stand nicht im offiziellen Terminkalender des Senats. Auf Öffentlichkeit legten die Teilnehmer der illustren Runde denn auch ausnahmsweise keinen Wert. Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hatte am Mittwochabend die Vorsitzenden der acht Gewerkschaften unter dem Dach des DGB und DGB-Chef Uwe Grund zum Meinungsaustausch eingeladen. Die diskrete Begegnung im exklusiven Kreis - Scholz hatte nur seinen Staatsrat Christoph Krupp mitgebracht - war als vertrauensbildende Maßnahme mit hohem Symbolwert gedacht.
Wenn der Senat es gut meint mit seinen Gesprächspartnern, wenn er ihnen seine Wertschätzung ausdrücken will, dann lädt er sie in das edel-gediegene Ambiente des Senatsgästehauses an der Schönen Aussicht ein. Aus den hohen, lichtdurchfluteten Räumen der Gründerzeitvilla geht der Blick auf die Alster und den Feenteich. Wer am großen Tisch unter dem Kronleuchter Platz nimmt, dem steht der Sinn nicht sofort nach politischer Rauferei. Dass Kartoffelsuppe und belegte Brote serviert wurden, mag im großbürgerlichen Rahmen als proletarische Konzession durchgehen.
Scholz nimmt mit dem Treffen nach zehn Jahren eine Tradition wieder auf. Bis zum Regierungswechsel 2001 luden seine Vorgänger Henning Voscherau und Ortwin Runde (beide SPD) die Gewerkschaftsbosse wie selbstverständlich zu regelmäßigen Runden ein. Man kannte sich, schließlich gehörten und gehören viele Topgewerkschafter der SPD an. Der Gesprächsfaden riss mit der Amtsübernahme von Ole von Beust (CDU) ab. "Der alte Senat hat mit uns nur geredet, wenn er musste", sagt ein Teilnehmer der Gästehausrunde. "Jetzt hat eine andere Ära begonnen." Die Gewerkschafter fühlen sich wieder ernst genommen.
Dabei hatten nicht wenige Arbeitnehmervertreter schlimme Befürchtungen, was die Gewerkschaftsnähe dieses Bürgermeisters angeht. Scholz hatte im Wahlkampf ziemlich unverhohlen die Wirtschaftsbosse umworben. Mit dem Reeder Erck Rickmers zog ein Unternehmer für die SPD in die Bürgerschaft ein. Und mit dem Industriemanager und Ex-Handelskammer-Präses Frank Horch (parteilos) wurde ein Arbeitgeber Wirtschaftssenator.
Doch Scholz will nicht allein der "Genosse der Bosse" sein wie einst sein Mentor Gerhard Schröder. Der Bürgermeister zieht die Doppelstrategie vor: Schulterschluss mit den Kammern und Wirtschaftsverbänden, aber ebenso die ausgestreckte Hand und das offene Ohr für die Gewerkschafter.
Das rund dreistündige Gespräch im Gästehaus verlief nach übereinstimmenden Berichten in lockerer und sachlich-engagierter Atmosphäre. Die inhaltliche Annäherung ist unübersehbar: Die SPD hat nach der Regierungsübernahme mit zwei Punkten den konkreten Kursschwenk in Richtung Arbeitnehmerinteressen deutlich gemacht. Der Senat will das Personalvertretungsgesetz ändern und die Mitbestimmung der Beschäftigten stärken. 2005 hatte der damalige CDU-Senat den entgegengesetzten Weg angetreten. Und die Hamburger Sozialdemokraten wollen sich auf Bundesebene für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer einsetzen - eine langjährige Gewerkschaftsforderung. Auch bei einer Herzensangelegenheit des Bürgermeisters in der Bildungspolitik sicherten die Gewerkschafter ihre Unterstützung zu: Nach dem Willen von Scholz soll jeder Jugendliche die Schule mit einem Abschluss verlassen und anschließend eine Ausbildung machen können.
Aber es gibt durchaus auch Konfliktpotenzial. Scholz will den öffentlichen Haushalt bekanntlich durch eine strikte Begrenzung des Ausgabenwachstums auf ein Prozent langfristig sanieren. Dass dafür auch 250 Planstellen pro Jahr im öffentlichen Dienst abgebaut werden sollen, stößt schon auf massive Kritik der Gewerkschafter.
Teilnehmer der Gästehausrunde empfanden es jedoch als "Provokation", dass Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) in dieser Woche mit weiterem Personalabbau gedroht hat. Dass das so kommen kann, hat mit einem Erfolg der Gewerkschaften zu tun. DGB und Beamtenbund konnten am Montag in Gesprächen mit dem Senat durchsetzen, dass künftig alle Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst für die Beamten übernommen werden. Aber, so die einfache Logik, je höher die Personalkostensteigerung, desto höher der Personalabbau. Für Scholz hat die Sanierung des Haushalts absolute Priorität.
Auch beim Weihnachtsgeld für die Beamten herrscht kein Burgfrieden. Zwar ist der große Kahlschlag ausgeblieben, den Schwarz-Grün noch geplant hatte. DGB und Beamtenbund konnten erreichen, dass aktive Staatsdiener 1000 Euro bekommen plus 300 Euro pro Kind. Allerdings gehen die besser bezahlten Pensionäre (wie Lehrer) leer aus. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) nannte die Regelung "grob und unfair", der sonst eher zahme Deutsche Lehrerverband sprach gar von "Lohnraub".
Das alles klingt nicht nach einem Kuschelkurs zwischen SPD und Gewerkschaften. Aber dafür bleibt man im Gespräch. Künftig wollen sich Scholz und die Gewerkschaftsbosse alle sechs Monate treffen. Wohl im Gästehaus.