Jede Woche berichten Abendblatt-Redakteure über Hintergründe der Hamburger Landespolitik. Heute: Rebecca Kresse über eine Politiklehrstunde.

Die Vorschusslorbeeren waren groß. Endlich ein Mann aus der Wirtschaft im Senat, ein Seiteneinsteiger, einer, der anders denkt und frischen Wind in die Behördenstuben bringt. Und dann das: Ausgerechnet der als "Politikcoup" gefeierte Frank Horch sorgte für den ersten großen Aufreger der Scholz-Ära - und ein genervtes Augenverdrehen beim Bürgermeister. Der "Neue" im politischen Geschäft hat jedenfalls in dieser Woche eine Politiklehrstunde par excellence erhalten.

Es war eine Gebühr - die Citymaut -, die das Ganze ausgelöst hatte. Im Radiointerview mit NDR 90,3 dachte der Wirtschaftssenator laut darüber nach, wie Verkehrsprojekte künftig bezahlt werden sollen. "Horchs erster Fehler", sagt ein Polit- und Kommunikationsprofi aus dem Rathaus. Anders als ein Handelskammer-Präses dürfe ein Senator erst dann laut über Dinge nachdenken, wenn sie vier Tage später tatsächlich eingeführt werden.

Horch führte aus, dass der Behördenhaushalt jedenfalls nicht für alle anliegenden Aufgaben - darunter Straßensanierung, Schlaglöcherbeseitigung, Radwegeausbau, Verkehrsleitsystem, Hafenquerspanne - ausreichen werde. Das war Horch nach erster Durchsicht der Zahlen schnell klar. "Restlos unterfinanziert" waren Horchs genaue Worte. Dann passierte es. Horch sprach von der Möglichkeit einer Maut in der Stadt, einer Citymaut also. Sein zweiter Fehler. Nur wenige Worte sind in Hamburg so emotional aufgeladen wie eben dieses. Das Thema Citymaut lässt sich in Hamburg kaum sachlich diskutieren. Das wissen Verkehrsexperten wie Politiker seit Jahren. Nun weiß es auch Frank Horch.

Überraschend ist, was dann passierte. Horch berichtete am Dienstag seinen Senatskollegen und auch Bürgermeister Olaf Scholz von dem Interview und von der Verkehrsministerkonferenz, die er zuvor besucht hatte. Auch dort war das Thema Maut diskutiert worden. Der Senat nahm den Bericht entgegen und ging zur Tagesordnung über. Keiner, auch nicht diejenigen, die eigentlich politikerfahren genug sind, schien zu diesem Zeitpunkt zu ahnen, dass es damit nicht getan war. Zumal sich Scholz und Horch im Wahlkampf klar gegen die Maut positioniert hatten.

Die mediale Maschinerie war da längst ins Rollen gekommen. Dutzende Anrufe und Nachfragen von Journalisten in der Senatskanzlei und der Wirtschaftsbehörde machten nun auch der Regierung klar, dass da "irgendwas schiefgelaufen" war.

Ein erstes Telefonat zwischen Bürgermeister und Wirtschaftssenator folgte. Anders als es wohl bei SPD-Politprofis wie Michael Neumann, Ties Rabe oder Peter Tschentscher in einer vergleichbaren Situation der Fall gewesen wäre, blieb Scholz bei Frank Horch zurückhaltend und gab den Berater - nicht den Zuchtmeister.

Aus gutem Grund. Scholz glaubt, dass er allein der Nominierung von Frank Horch als Wirtschaftssenator etwa fünf bis sechs Prozent beim Wahlergebnis zu verdanken hat. Zudem hat Scholz ja bewusst auf einen Wirtschaftsfachmann und nicht auf einen Politprofi gesetzt. Ein riskantes Unterfangen. Viele ähnliche Versuche - Jobst Stollmann, Bundeswirtschaftsminister im Schattenkabinett Schröders, Werner Marnette, Wirtschaftsminister in Kiel, und zuletzt Ian Karan als Hamburger Wirtschaftssenator - sind gescheitert.

Dazu muss man wissen: Olaf Scholz ist keiner, der laut rumpoltert. Das Auf-den-Tisch-Hauen ist nicht seine Art. Wenn Scholz etwas nicht passt, wird er deutlich - aber nicht laut.

Nicht einmal das musste er bei Horch werden. Denn der war nicht anderer Meinung als Scholz, sondern fühlte sich einfach nur missverstanden. Es folgte Fehler Nummer drei. Anstatt die neuerlich aufkeimende Diskussion über eine Citymaut im Keim zu ersticken - schließlich hatte Scholz eine solche Gebühr ausgeschlossen - gab Horch eine Pressemitteilung heraus, worin er versuchte zu erklären, was genau er denn nun wirklich gemeint hatte. Statement des Kommunikationsprofis: "Versuche nie zu erklären, was du gemeint hast. Das geht immer schief. Abbitte leisten ist das Einzige, was geht. "

Die Quittung bekam Horch am nächsten Morgen - in Form von großen Lettern: "Senator prüft Citymaut für Hamburg", hieß es in den Zeitungen der Stadt. Ein ziemlich überraschter und etwas kleinlauter Frank Horch telefonierte erneut mit Olaf Scholz. Man kann sich das Bild regelrecht vorstellen: Frank Horch sitzt auf seinem neuen großen Behördenleiterstuhl, zuckt ratlos mit den Schultern und fragt zögerlich in den Hörer: "Und nun?"

Nun gab es nur noch einen Weg: Abbitte leisten und zwar schnellstmöglich. Der geläuterte Horch nutzte eine Pressekonferenz zur Logistikinitiative und stellte klar: "Solange ich Senator bin, wird es keine Citymaut geben." Horch hat gelernt: Keine Erklärungen, nur klare Ansagen.