“Wenn ich gewusst hätte, dass es drei Monate später geknallt hätte, wäre ich geblieben!“ Diese Worte von Ole von Beust gefallen nicht jedem.
Das nennt man wohl einen Kollateralschaden. In dem Bemühen, das eigene Wirken vor der Geschichte ins rechte Licht zu rücken, hat Altbürgermeister Ole von Beust (CDU) seinem Nachfolger Christoph Ahlhaus mitten in einem für ihn schwierigen Wahlkampf kräftig einen mitgegeben. Es geht ja um viel: Von Beusts politisches Erbe ist unter anderem der kühne Brückenschlag über die Lagergrenzen hinweg zu den Grünen. Als von Beust im Sommer 2010 das Rathaus amtsmüde verließ, funktionierte diese bundesweit einmalige Koalition trotz einiger deutlicher Stresssymptome, wenige Monate später ist sie Historie. Es gibt also aus von Beusts Sicht wahrlich einiges geradezurücken.
"Wenn ich gewusst hätte, dass es drei Monate später knallt, wäre ich geblieben", sagte von Beust im NDR 90,3-Interview am Donnerstag. Das ist wohlfeil, weil alle Parteifreunde ihn genau vor diesem Risiko gewarnt haben, das er nur eben nicht sehen wollte. Zu der schwarz-grünen "Entfremdung", so von Beust jetzt, wäre es nicht gekommen, wenn er und mit ihm Kultursenatorin Karin von Welck, Wirtschaftssenator Axel Gedaschko und Senatskanzlei-Chef Volkmar Schön im Amt geblieben wären. Das ist in der Analyse wohl richtig, enthält aber die implizite, natürlich nicht ausgesprochene Botschaft: "Ahlhaus kann es nicht." Nett klingt anders, zumal im Wahlkampf.
Es gibt eine zweite, inhaltliche Ebene: Von Beust warnt seine Partei vor einer "Rückkehr zu einer konservativen Politik", die Ahlhaus zum Beispiel durch die scharfe Abgrenzung vom Eben-noch-Koalitionspartner GAL ("Ideologen und Bevormunder") praktiziert. "Sich auf den eigenen Kern zu reduzieren wird einem in Wahlen die Sache vermutlich nicht erleichtern", setzt der Altbürgermeister noch hinzu. Strategisch hat er recht - zumal in einer Stadt wie Hamburg mit einer strukturellen linken Mehrheit. Von Beust hat seine Politik zumindest in den letzten Jahren an dieser Erkenntnis ausgerichtet und damit Wahlen gewonnen. Doch das soll nun für die CDU nicht mehr gelten. Auch hier kämpft also einer um die Deutungshoheit, sein Erbe und seinen Platz in der Geschichte.
Mit unerbetenen Ratschlägen und Eingriffen ihrer Vorgänger mussten Bürgermeister stets rechnen. Immer wieder drängte es Senatspräsidenten a. D., Rechtfertigungen für ihr einstiges Handeln nachzureichen. Hamburger Bürgermeister halten sich zudem in der Regel für besser als ihre Nachfolger. Und: Wer meint, die vermeintliche Fackel der Wahrheit durch die Menge tragen zu müssen, der kann schon mal jemandem den Bart versengen.
Henning Voscherau erwischte es im Wahlkampf 1997, an dessen Ende er vom Amt des Bürgermeisters zurücktrat, gleich mehrfach. Zweimal meldete sich sein Vorgänger Klaus von Dohnanyi, Sozialdemokrat wie Voscherau, ungefragt zu Wort. Dohnanyi wollte Rot-Grün verhindern (vergeblich) und rief deswegen zur Wahl der FDP auf, um ein sozialliberales Bündnis zu ermöglichen. Voscherau, der um jede Stimme kämpfte, sprach ironisch von "segensreichen Hinweisen" Dohnanyis. Nach seinem Rücktritt bekannte er: "Rückenwind war das nicht gerade."
Eine Attacke von völlig unerwarteter Seite kam für Voscherau von Helmut Schmidt, zwar kein Vorgänger im Amt, aber immerhin eine Art ideeller Über-Bürgermeister für Hamburg. "Der Stadt würde ein Wechsel gut tun. Fast jeder Wechsel ist besser als kein Wechsel", gab Schmidt nach 40 Jahren SPD-Herrschaft in einem großen Abendblatt-Interview kategorisch und sehr grundsätzlich zu Protokoll.
Zwar lobte der Altkanzler Voscherau noch, aber dem dürfte gleichwohl die Luft weggeblieben sein. "Von Zeit zu Zeit hör ich den Alten gern", zitierte der grummelnd und leicht abgewandelt Mephisto aus Goethes Faust. Nach der Wahl und seinem Rücktritt sagte Voscherau, der Satz von Helmut Schmidt habe ihm die ganze Zeit "wie ein Mühlstein um den Hals gehangen". Besonders bitter: Voscherau, mit dem Langenhorner auch privat eng verbunden, hatte sich stets als Enkel Helmut Schmidts bezeichnet - in Abgrenzung zu den "linken" Enkeln Willy Brandts.
Voscherau selbst wiederum ist alles andere als ein Waisenknabe in puncto politischer Einmischung nach dem Amtsverzicht. Kurz vor der Bürgerschaftswahl 2001, die der SPD den Machtverlust bringen sollte, warf er seiner Partei vor, Ronald Schill erst groß gemacht zu haben. Es ging um die bedrohliche Lage im Bereich der inneren Sicherheit. "Teile meiner Partei haben das Abstellen dieser Probleme immer verhindert", sagte Voscherau.
Ziel der Attacke des Altbürgermeisters war der linke SPD-Flügel, dem auch Voscheraus Nachfolger Ortwin Runde entstammte, der gerade Wahlkampf für die Fortsetzung seines rot-grünen Bündnisses machte. Voscherau hielt Runde persönlich vor, dass er sich nicht genug für die Entwicklung der HafenCity einsetze: "Bei diesem Projekt ist es unverzichtbar, dass jeder Bürgermeister es zur Chefsache macht."
Selten sind übrigens Einmischungen über die Parteigrenzen hinweg. Auch hier liefert Voscherau ein Beispiel. "Früher brannte im Arbeitszimmer des Bürgermeisters immer Licht. Bis spät in die Nacht. Und an jedem Wochenende", sagte Voscherau im Wahlkampf 2004 und attackierte die vermeintlich laxe Arbeitsmoral von Ole von Beust.
Noch immer, bekannte Voscherau erst kürzlich ironisch, falle es ihm schwer, sich daran zu gewöhnen, dass nicht mehr sein Gesicht auf Wahlplakaten zu sehen sei. Dann zitierte er den großen Golfer früherer Jahre, Jack Nicklaus, der über sich und Tiger Woods sagte: "Ich hatte mein Jahrhundert, lasst ihn seins haben." Doch so einfach ist es wahrlich nicht zwischen Altbürgermeistern und ihren Nachfolgern.